Ukraine

Fragen, die man nicht stellen will

Nadiia Masiutina flüchtete über Polen nach Österreich. Was von in ihrem Haus in Dnipro übrig ist, traut sie sich nicht zu fragen.

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Nadiia Masiutina stammt aus einem kleinen Dorf in der Nähe von Dnipro im Osten der Ukraine. Gemeinsam mit ihrem Mann bewirtschaftete sie einen Bauernhof mit 22 Schafen. Ihr Mann arbeitete nebenbei als Spediteur für Stahltransporte. Das kleine Anwesen liegt in der Nähe des Militärflughafens, über den zu Beginn des Krieges täglich Jets donnerten. Eine Woche wartete das Paar mit seinen vier Kindern ab. Dann flüchtete die Familie nach Polen. Ein Freund eines Freundes kannte jemanden in Österreich, der jemanden kannte, bei dem sie unterkommen könnten. So landete die Familie in Linz.

Masiutina stellte sich auf eine kurze Kriegsdauer ein, wie in Georgien 2008. Stattdessen wohnte sie ein Jahr lang in einem privaten Notquartier in einem ehemaligen Bürogebäude. Nach einigen Monaten verlor sie die Hoffnung, nach Hause zurückkehren zu können. Ihr Mann wollte der Tatsache erst ins Auge sehen, als das zweite Kriegsjahr begann. Die Familie fand eine Wohnung, der Mann fing als Hilfsarbeiter bei einem Bauern an. Viele Pläne wurden gefasst und platzten. Wege waren umsonst. Auskünfte führten in die Irre. „Unser größtes Problem ist, dass wir nichts erfahren und deshalb so viel Zeit verlieren“, sagt Masiutina: „Mit richtigen Informationen könnten wir auch die richtigen Entscheidungen treffen.“

Seit drei Wochen arbeitet die studierte Landschaftsplanerin als Gärtnerin beim Magistrat Linz. Sie hatte das unwahrscheinliche Glück, sowohl eine Tagesmutter für ihre zweijährige als auch einen Hortplatz für ihre siebenjährige Tochter zu finden. Ihre Älteste ist 17 und geht ins Gymnasium. „Es ist nicht sicher, ob sie hier die Matura schafft, deshalb macht sie auch die ukrainische Matura“, sagt Masiutina. Die Kinder können fließend Deutsch, ihr Mann steht am Anfang. Seine Kollegen am Bauernhof stammen alle aus Polen. „Sein Polnisch ist inzwischen ganz gut“, sagt Masiutina. Zu Hause spricht die Familie Russisch, so wie die Großeltern und Urgroßeltern, die in Dnipro geblieben sind. Wie es dort jetzt ist? Masiutina wagt nicht, die Nachbarn zu fragen, ob ihr Haus noch steht. Zu groß ist die Angst vor der Antwort.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges