10 Burschen verlasen nach Freispruch das Gericht
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Von der „Gruppenvergewaltigung“ zum glatten Freisprüchen. Was ist da passiert?

Zehn Burschen saßen auf der Anklagebank, weil ihnen monatelange Sexualdelikte gegen eine Zwölfjährige vorgeworfen wurden. Am Ende wurde den Medien der Prozess gemacht.

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Sie nehmen ihre Jacken, verlassen den Verhandlungssaal 303 im Wiener Landesgericht und lachen vor Erleichterung. „Ich darf nicht lachen, weil sonst heißt es wieder, dass wir uns lustig machen“, sagt einer der Freigesprochenen zu seiner Mutter und setzt wieder eine ernste Mine auf. Dahinter kommt die Mutter von Anna geknickt aus dem Saal.

Wie die zehn Burschen im Alter zwischen 16 und 21 an diesem Freitag Nachmittag aus dem Gericht spazieren, frei von Handschellen, Strafen oder sonstigen Auflagen, steht im völligen Kontrast zur Erwartungshaltung in der breiteren Öffentlichkeit.

Sogar Elon Musk empörte sich über den Fall

Serienvergewaltigt in Parkgaragen, Stiegenhäusern, Hotelzimmern. Immer wieder. Über Monate. Erpresst, zu schweigen. Bis alles aufflog und sie mit ihrer Mutter zur Polizei ging. Das Opfer ein damals 12-jähriges Mädchen. Die vermeintlichen Täter eine multiethnische Park-Gang aus Wien Favoriten, die „Antons“, benannt nach dem Antonspark.

So lasen sich die ersten Boulevard-Berichte Anfang 2024 über den von Medien getauften Fall Anna“. Empörungswellen gingen durchs Land und riefen sogar Elon Musk auf den Plan. Mit den Worten „this is crazy!“ verstärkte der Tesla-Gründer und damaliger Berater von US-Präsident Trump einen Shitstorm gegen eine Wiener Richterin auf seiner Plattform „X“ . 

Unter dem Vorsitz der Richterin war Anfang 2025 ein erster Freispruch gegen einen 17-jähriger Syrer erfolgt. Ihm war vorgeworfen worden, Anna zum Oralverkehr genötigt zu haben. „Es passiert oft, dass man erst nein sagt und sich dann durch Zärtlichkeiten überzeugen lässt“, begründete die Richterin. 

Der Satz ging mit ihrem Konterfei durchs Netz und diente einem rechten Empörium als Beweis für die Kuscheljustiz im Westen gegenüber ausländischen Vergewaltigern. Nach dem Shitstorm erklärte sich die Richterin für den Showdown im Fall Anna befangen.

Glatte Freisprüche nach dem Showdown

Am Donnerstag und Freitag ging der Prozess gegen zehn Angeklagte zwischen 16 und 21 über die Bühne – und endete mit glatten Freisprüchen für alle Angeklagten (nicht rechtskräftig).

Am Beginn seiner Urteilsbegründung kritisierte der neue Vorsitzende Richter, Daniel Schmitzberger, die mediale Fallhöhe in der Causa. Vorverurteilung inklusive. Von einer Gruppenvergewaltigung habe die damals Zwölfjährige in Einvernahmen selbst nie gesprochen. 

Auch für den sexuellen Missbrauch einer Minderjährigen habe selbst die Staatsanwaltschaft keine Beweise gesehen und das Delikt gar nicht angeklagt (Anna soll sich glaubhaft als 14-Jährige ausgegeben haben). Die Angeklagten seien zum Teil selbst erst 14 gewesen in diesen Monaten des Jahres 2023, bemühte sich der Richter auch das medial verfestigte Bild der männlichen Übermacht gegenüber einem 12-jährigen Mädchen zu dekonstruieren.

Freundin Annas entlastete die Angeklagten

Angeklagt blieb am Ende die geschlechtliche Nötigung und der Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung. Dabei geht es um Geschlechtsverkehr gegen den Willen einer Person. Doch der Schöffensenat kam zum Schluss, dass die vielfachen sexuellen Kontakte zu den Angeklagten nicht erzwungen waren. 

Besonders schwer wogen für den Schöffensenat die Aussagen einer früheren Freundin. Sie sprach von freiwilligen „Sex-Treffs“ Annas mit den jungen Männern und belastete diese in keinster Weise . Aber auch die ersten und entlastenden Einvernahmen der damals Zwölfjährigen bei der Polizei gaben einen Ausschlag. Die später deutlich schärferen Vorwürfe Annas hätten laut Richter Schmitzberger „vorbereitet und nicht altersadäquat“ gewirkt.

Ein Prozess als Sittenbild und die Folgen

Am Ende fasste der Richter den Fall Anna sehr treffend so zusammen: Sie sei in einer Situation gewesen, in der sie sich hätte nie befinden sollen. Und das erklärt wohl auch die extreme Flughöhe des Falles, der nun auf dem Boden der strafrechtlich relevanten Tatsachen landete. Ein extrem medienaffiner, von den jungen Männern persönlich empörter Anwalt des Mädchens sowie ein Boulevard, der maximal aufdrehte, taten ihr Übriges. 

Doch was folgt nun aus dem Sittenbild? Eine Zwölfjährige geht wochenlang nicht in die Schule, was offenbar nicht entsprechend gemeldet wurde, und trifft sich laufend mit Burschen, die schon damals zum Teil auf die schiefe Bahn geraten sind. Ein Teil ist heute vorbestraft wegen anderer Delikte, beschäftigungslos" war die häufigste Antwort bei der Frage des Richters nach der Tätigkeit.

Durch die glatten Freisprüche fällt das Schlaglicht aber rein auf Anna und ihre Erziehungsberechtigten. Deren Verfehlungen betonten auch die Anwälte in ihren Schlussplädoyers teils süffisant (ich habe selbst Töchter, das gäbe es bei uns nicht"). Doch entlastet das die Gruppe nicht zu sehr auf einer grundsätzlichen Ebene? 

Dazu kommt: Dass Anna in manchen Situationen erst mehrfach Nein sagte, bis sie dann - angebettelt - doch Ja sagte zum Sex, blieb unwidersprochen. Fragt sich, wann ist ein Nein ein Nein, besonders von einer 12- oder 14-Jährigen? In Schweden besagt das sogenannte Zustimmungsgesetz, dass Sex als Übergriff gilt, wenn nicht eindeutig mündlich oder durch eine Handlung Ja signalisiert wird.

Der Prozess um Anna zeigte ein Sittenbild, das sich nicht wiederholen darf und mehr Folgen haben sollte als ein kühles, warum haben die Eltern nicht besser aufgepasst"? Das entsprechende, gesellschaftspolitische Signal an die zehn freigesprochenen Burschen und ihre Eltern, blieb im Prozess jedenfalls aus.

(Das Bild stammt vom Donnerstag, am Freitag herrschte ein Fotoverbot).

Clemens Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.