Was die Sparmaßnahmen der SPÖ Wien für Suchtkranke bedeuten
Donnerstag, kurz vor neun Uhr morgens, U6-Station Gumpendorfer Straße. Das weiß-grüne Gebäude ist genau wie andere Stationen entlang der alten Stadtbahn ein architektonisches Meisterwerk, von Otto Wagner im Jugendstil des 19. Jahrhunderts entworfen. Wenn heute allerdings über die U6-Station gesprochen wird, geht es selten um die vier fast festungsartigen Türme, die den Bahnsteig flankieren, und auch kaum um die eleganten Lampenhalter, an deren Ende zwei weiße Kugeln über dem Eingang leuchten. Stattdessen ist die Gumpendorfer für viele Wienerinnen und Wiener ein Synonym für Wiens Drogen- und Suchtszene.
Denn die Jugendstil-Station wird von einem Neubau auf der gegenüberliegenden Straßenseite überragt. „Das gelbe Haus“, die Zentrale der Suchthilfe Wien. Dort gibt es eine Notschlafstelle, ein Ambulatorium und einen Spritzentausch, der die ganze Nacht in Betrieb ist. Im selben Gebäude ist auch die Beratungsstelle untergebracht, wo sich Drogen- und Alkoholkranke hinwenden können. Dementsprechend voll ist die Gegend um die U6-Station von Personen, die auf die Hilfe der Wiener Suchthilfe angewiesen sind. Wie auch an jenem Donnerstagmorgen, als sechs Polizisten und drei Securitys zwei Männern mit Wodkaflaschen in der Hand, einen davon an einen Rollator gelehnt, befragen und kontrollieren. Wenn man die Gumpendorfer Straße und ihren Ruf kennt, weiß man, dass die Stimmung vor Ort meist aufgeladen ist. Das große Aufgebot an Polizei und Securitys, die Schülerinnen und Schüler, die die benachbarte Berufsschule besuchen, Menschen, die ins Büro eilen und dazwischen Klienten der Suchthilfe, die konsumieren oder darauf warten, bis sie ins „gelbe Haus“ können.
Ausnahmezustand
Im „gelben Haus“ gegenüber herrscht Krisenstimmung – bei Mitarbeitern und Klienten. Der SPÖ-Sozialstadtrat Peter Hacker verkündete, dass es zu Einsparungen in den Betrieben der Wiener Suchthilfe kommen wird. Konkret betroffen sind die arbeitsintegrativen Maßnahmen der Suchthilfe, darunter das Angebot „standfest“ von „Dialog – individuelle Suchthilfe“, der sozialökonomische Betrieb „fix und fertig“, der Verein „gabarage“ und das regionale Kompetenzzentrum der Suchthilfe Wien. Alle Einrichtungen unterstützen Menschen mit Suchterkrankungen dabei, wieder Stabilität zu erlangen, unter anderem durch psychosozialer Beratung, Einzelbetreuung, Workshops oder bei der Arbeitssuche. Der Betrieb „fix und fertig“ vermittelt den Betroffenen Jobs in den Bereichen Renovierung, Textildruck, Postversand und Facilitymanagement. Bei „gabarage“ werden Betroffene beschäftigt, die aus Lkw-Planen Taschen und Möbel herstellen. All das soll jetzt eingespart werden. „gabarage“ etwa verliert die Hälfte seiner Fördermittel und ist nur für sechs statt zwölf Monate gesichert. Das Projekt dient dazu, chronisch Suchtkranke, junge Erwachsene und Jugendliche mit psychiatrischen Diagnosen und problematischem Suchtmittelkonsum zu unterstützen.
Insgesamt 380 Menschen mit Suchterkrankung nehmen die Angebote in Anspruch. 51 Mitarbeiterinnen der Wiener Suchthilfe könnten nun ihren Job verlieren.
Somit fallen quasi alle Angebote der Stadt Wien weg, die Suchtkranken zurück in den Arbeitsmarkt helfen. Zusätzlich wird auch noch in der Suchtprävention gespart. Bei einem Träger, der hauptsächlich in der schulischen Suchtprävention tätig ist, wurde das Budget um zehn Prozent gekürzt: „Wir sparen da, wo aus unserer Sicht die negativen Auswirkungen auf die Betroffenen, auf die Mitarbeiter, aber auch auf die gesamte Bevölkerung so gering wie möglich ist“, sagt Ewald Lochner, Koordinator für Psychiatrie, Sucht- und Drogenfragen der Stadt Wien, „aber so gering wie möglich heißt nicht, dass es keine negativen Auswirkungen gibt.“
Dass diese gering gehalten werden können, sehen manche allerdings anders. Zum Beispiel die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter der betroffenen Einrichtungen.
Demos und Petitionen
Vergangenen Donnerstag fand eine Kundgebung der Beschäftigten statt, mit der klaren Forderung an Politik, Sucht- und Drogenkoordination, die geplanten Kürzungen zu stoppen und noch einmal neu zu verhandeln. Vor zwei Wochen forderten die betroffenen Arbeitnehmer dasselbe in einem offenen Brief an Bürgermeister Michael Ludwig, Finanzstadträtin Barbara Novak, Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (alle SPÖ) und Ewald Lochner, Chef der Sucht- und Drogenkoordination. Zusätzlich wurde eine Online-Petition gestartet, die über 20.000 Personen unterschrieben haben.
„Mir ist es wichtig, Stellung zu beziehen“, sagt Kathrin Luger, Sozialarbeiterin und Betriebsrätin bei „gabarage“ – einem der betroffenen Unternehmen. 33 ihrer Kolleginnen und Kollegen wurden seit dem Beschluss der Kürzungen bereits ins Frühwarnsystem des Arbeitsmarktservices (AMS) geschickt. Betroffen seien laut Luger auch einige „Peers“, also Personen, die selbst ehemals suchtkrank waren und mit ihren Erfahrungen andere Suchtkranke motivieren sollen, clean zu werden. Personen, die aufgrund ihrer Lücken im Lebenslauf, ihrer Suchterkrankung oder ihres Leumundszeugnisses eine geringe Vermittlungsfähigkeit aufweisen können.
Dasselbe gilt auch für Klientinnen, die seit Jahren Teil der Projekte sind. „Wir mussten in den vergangenen Wochen schon einige Krisengespräche führen“, sagt Stefanie Schmeiser, Betriebsrätin und Sozialarbeiterin bei „standfest“. Der Standort am Wiener Gasometer muss im Jänner 2026 nach 29 Jahren Bestand schließen. „Kommendes Jahr hätten wir 30-Jähriges gefeiert“, sagt Schmeiser.
„Mir ist es wichtig, Stellung zu beziehen“
Kathrin Luger, Sozialarbeiterin und Betriebsrätin „gabarage“
Viele der Personen, die „standfest“ besuchen, sind jahrzehntelang arbeitslos – im Schnitt zwölf Jahre. Die Gründe dafür sind, neben der Drogensucht, oft körperliche oder psychische Erkrankungen, mangelnde Ausbildung oder Straffälligkeit: „Das sind Personen, die zum Teil nur einen Pflichtschulabschluss haben und Randgruppen, die eh schon wenig Perspektiven haben“, sagt Schmeiser. Sie befürchtet, dass es schwer wird, die Menschen künftig zu motivieren: „Sie sind auf sich allein gestellt.“
Tragische Folgen befürchtet
Wenn das Projekt im Jänner aufgelassen wird, könnten Folgen für diese Personen verheerend sein: Armut wird wachsen, Betroffene werden Wohnungen verlieren. Auch mit verstärkten Rückfällen rechnen die Sozialarbeiterinnen – infolgedessen könnte der Konsum wieder mehr in den öffentlichen Raum kommen und Menschen würden sich gezwungen sehen, Geld auf illegalem Weg zu beschaffen. Zusätzlich würde es über eine höhere Rückfallrate auch einen erhöhten medizinischen Bedarf geben: „Die Folgekosten werden klar höher, weil der Betreuungsaufwand in der Medizin aufgrund der zu befürchteten Rückfallquote steigen wird“, erklärt Isabel Tanzer, Sozialarbeiterin und Betriebsratsvorsitzende der Suchthilfe Wien.
„Die Zahl der Drogentoten steigt an. Es gibt Jugendliche, die an einer Überdosis gestorben sind. Solche Zustände wären früher undenkbar gewesen.“
Isabel Tanzer, Betriebsratsvorsitzende und Sozialarbeiterin, Suchthilfe Wien
Auch Junge betroffen
Vor allem um eine Personengruppe macht man sich große Sorgen: Jugendliche und junge Erwachsene würden seit der Coronapandemie mehr Drogen konsumieren als noch vor fünf Jahren: „Die Zahl der Drogentoten steigt an. Es gibt Jugendliche, die an einer Überdosis gestorben sind. Solche Zustände wären früher undenkbar gewesen“, sagt Isabel Tanzer.
Die von den Sozialarbeiterinnen angemerkte Sorge ist auch dem Sucht- und Drogenkoordinator bewusst. Daher ist es Lochner wichtig zu betonen, dass es im medizinischen Bereich keine Einsparungen gibt: „So können wir, wenn diese Menschen, aufgrund ihrer anstehenden oder möglichen Arbeitslosigkeit wieder erkranken, ihnen eine Behandlung anbieten. Und das in höchster Qualität.“
Ewald Lochner und Stadtrat Peter Hacker argumentierten gegenüber profil, dass eine verstärkte Zusammenarbeit mit dem AMS dafür sorgen wird, dass es weiterhin Angebote und Tagesstruktur für die Klienten geben wird – so wird die Wiener Berufsbörse etwa zukünftig komplett vom AMS finanziert. Die Wiener Berufsbörse sei, laut den Betriebsrätinnen, im Vergleich zu den anderen Angeboten viel hochschwelliger für die Betroffenen.
Zoff in der Stadtpolitik
Die Kürzungen sorgen seit ihrer Einführung zudem nicht nur zwischen den Betroffenen für Auseinandersetzungen, auch zwischen den Grünen Wien und der SPÖ wird gestritten. Judith Pühringer, Klubchefin der Wiener Grünen, wirft der Stadtregierung vor, den sozialen Frieden der Stadt aufs Spiel zu setzen: „Einsparungen dort, wo direkt die Menschen betroffen sind, die Hilfe und Unterstützung brauchen, sind völlig falsch.“ Man könnte stattdessen am ehesten in der großen Verwaltungsstruktur der Sucht- und Drogenhilfe sparen, meint Pühringer.
Aus dem Büro von Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) heißt es zu den Vorwürfen der Grünen, die rote Stadtregierung habe die „nun notwendigen erheblichen Einsparungen nicht verursacht.“ Verantwortlich dafür sei zu großen Teilen die frühere schwarz-grüne Bundesregierung. Außerdem wird argumentiert, dass die Versorgung von Sucht- und Drogenkranken im Vergleich zu anderen Bundesländern nach wie vor auf einem sehr hohen Niveau ist und dass sich daran nichts ändern wird. „Wir werden in der Therapie keine Einschnitte machen“, sagt Hacker. Man wolle daher bei „bei Leistungen, für die eigentlich andere Träger verantwortlich sind, genauer hinschauen.“
Die Betriebsrätinnen fordern jedenfalls, dass Lochner, Hacker und Finanzstadträtin Barbara Novak mit ihnen gemeinsam eine neue Lösung ausarbeiten. Direkten Kontakt gab es allerdings bisher nicht.
Auch über einen Streik der Mitarbeiter wurde intern diskutiert. Und in der Zwischenzeit? Betriebsräte arbeiten in Hochtouren daran, die von den Kündigungen betroffenen 51 Mitarbeiter so gut wie möglich zu unterstützen. Es gäbe einen Sozialplan für die Betroffenen, eine Arbeitsstiftung wurde beim „Wiener Arbeitnehmer*innen Förderungsfonds“ (Waff) angefragt, oder man versucht, die Kolleginnen innerbetrieblich bei offenen Stellen unterzubringen, erklärt Betriebsratsvorsitzende der Suchthilfe Wien Isabel Tanzer.
Mittlerweile ist es kurz vor zehn Uhr. Die drei Polizeiwagen haben die Gumpendorfer Straße inzwischen verlassen. Zurück bleiben die beiden Männer, die vorher noch mit den Polizisten diskutiert haben. Werden künftig mehr solcher Einsätze nötig sein? Die Sozialarbeiterinnen befürchten es jedenfalls.