Im Namen des Vaters

Wie Ulrike Haider den Namen ihres Vaters reinwaschen will

Titelgeschichte. Wie Ulrike Haider den Namen ihres Vaters reinwaschen will

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Eine halbe Ewigkeit hat Jörg Haider die Republik in Atem gehalten. Vom rechten Putsch am Innsbrucker Parteitag 1986 bis zu seiner Todesfahrt in einer Nacht im Oktober 2008 ist er – wie man es nur Gespenstern oder Monstern nachsagt – immer wieder aufgetaucht. Jetzt betritt seine älteste Tochter Ulrike die Bühne der Politik, mit einer aussichtslos scheinenden Kandidatur für das Europäische Parlament, dem Hort der „vaterlandslosen Gesellen“, wie Haider es in seinen wilden Jahren nannte.

Charme und Härte
Die 37-jährige promovierte Juristin und Politologin ist anders als der Vater. Keine Spur von Rebellion gegen das System. Keine euphorisierende Show. Aber die banaleren Tricks des politischen Handwerks beherrscht sie, sie hat Charme und Härte, spielt mit Naivität und Durchtriebenheit. Ihr Resonanzboden ist nicht jene Art von Volksgemeinschaft, die ihr Vater zum Klingen brachte. Ulrike Haider spricht lieber vom europäischen Traum, den sie gehegt hat, als sie eingetaucht sei in fremde Sprachen, fremde Welten und die Internationalität Westeuropas. Da war sie Austauschstudentin in Paris.

Jetzt ist sie von der Mission beseelt, die Familie vom Vorwurf der rechten Hetze und des eigenen Vorteils reinzuwaschen und die Legende vom umsichtigen Staatsmann Jörg Haider in die Welt zu setzen und sie zu verbreiten. Papa war ein Opfer der Umstände. So lautet der unausgesprochene Familienauftrag.

„Wer ist denn nun diese Ulrike Haider-Quercia?“, begann sie vor zwei Wochen ihre Antrittsrede im prächtigen Redoutensaal der Wiener Hofburg: „Sie trägt einen bekannten Namen. Ihr kennt ihn alle. Den Namen eines herausragenden Politikers!“

„Symbol der Kraft und der Beständigkeit!”
Die Stimme zitterte, einzelne Worte wurden gedehnt und übertrieben betont, wie man es von genervten Grundschullehrerinnen kennt. Dann etwas zu viel Pathos: „Sie ist eine Juristin, die mitten in ihrer akademischen Karriere steht. Sie ist Mutter eines zweijährigen und bereits zweisprachigen Sohnes. Sie ist mit Paolo Quercia verheiratet. Damit führt sie nun auch die Eiche – auf italienisch Quercia – in ihrem Namen: Symbol der Kraft und der Beständigkeit!“

Das Publikum – eine BZÖ-Resteversammlung – harrte geduldig aus. Viele waren nicht gekommen. Obgleich mit einer Trennwand verkleinert, war der Saal schütter vor allem mit älteren Damen und Herren, engen Freunden der Familie und Haider-Nos-talgikern besetzt. Einige von ihnen sah man unlängst noch bei Stronach. Herbert Scheibner und Peter Westenthaler waren auch da, ob aus alter Verbundenheit oder wegen geschäftlicher Kontaktpflege ist unklar.

Eine Woche später in Graz: Alte Haudegen und Ausländerhasser sitzen im Gösser Bräu. Paul Tremmel, der schon 1986 Haiders Putschpläne von Graz aus in die Hand genommen hatte und den nationalen Andreas Mölzer noch immer sehr schätzt, blickt ratlos hinauf zu der jungen Frau am Rednerpult. Unroutiniert ist sie noch, unsicher und daher sympathisch. Sie sieht dem frühen Haider ziemlich ähnlich.

Als prominenter Vatertochter fehlt es ihr nicht an Selbstwertgefühl. Sie hat es nicht nötig, sich künstlich aufzubrezeln und auf ihr Aussehen zu setzen. Frisur und Kleidung sind schlicht. Sie wirkt unkapriziös. Sie habe das Talent ihres Vaters, sagt Tremmel mit Kennermiene.

Auch wenn es nicht das ist, was die letzten Getreuen hier hören wollen, folgen sie ihr halbinteressiert, wenn Ulrike Haider von ihrer Jugendzeit im Ausland schwärmt, der sogenannten „Erasmus“-Generation, der Personenfreizügigkeit und dem besseren Europa: „Wir dachten: Es geht bergauf, Länder und Menschen wachsen zusammen. Wir haben an Europa geglaubt. Wir mussten das glauben, wir sollten das ja glauben. Denn das war das Märchen vom gemeinsamen Europa, das damals die Herrschenden uns erzählt haben!“ Sie verschärft den Ton. „Unsere Illusion wurde verkauft … Schönrednerei für eigene Machtinteressen und persönliche Eitelkeiten … Die europäische Politik hat uns verraten!“

Eine glühende Europäerin?
Die Haider-Anhänger runzelten zu Beginn die Stirn. Eine glühende Europäerin? Erasmus? Freizügigkeit? Besseres Europa? Sie hätten lieber gar keins. Stöhnen, Füße scharren, Stühle knarren. Ulrike Haider hört das Murren, schaut ins Leere oder sucht raschen Blickkontakt mit Paolo, ihrem Mann, der sie im Wahlkampf von einem Termin zum anderen chauffiert.
Gerald Grosz, derzeitiger BZÖ-Chef, nennt die junge Haider unseren „Feingeist“ und heizt die Stimmung auf Rabauken-Art an. „EU-Diktatur“, „Zu uns kommen die, die wir nicht wollen.“ „Ja, die Sandler“, ruft einer dazwischen. Ulrike Haider kaut selbstvergessen an einer Brezel.

Ulrike Haider hätte eigentlich in New York zur Welt kommen sollen. Ihr Vater, Assistent an der Juridischen Fakultät in Wien, hatte sich schon als blutjunger Maulheld in der FPÖ einen Namen gemacht und sollte weggelobt werden. Er hatte bereits ein Fulbright-Stipendium für die Columbia Universität in der Tasche, doch dann kam in letzter Sekunde das Angebot, Parteisekretär in Kärnten zu werden.

Im Herbst 1976, zwei Wochen nach der Geburt der ersten Tochter Ulrike, trat Haider seinen Job an. Mit einem so üppigen Gehalt, dass es in der Partei rumorte. Später kam noch das Salär für ein Nationalratsmandat dazu. Haider nahm Kredite auf, kaufte einen Grund, baute ein Haus. Der Wahlspruch an der Tür des Eigenheims in Klagenfurt zeugt von bodenständigem Biedersinn: „Dies Haus ist nur ein kleines / In Gottes großer Welt / Doch ist es eine ganze Welt / Wenn es dein Glück enthält“.

1979 wurde die zweite Tochter, Cornelia, geboren, und Haiders Ehefrau, die Publizistikstudentin Claudia, blieb fortan daheim oder war an der Seite ihres Mannes unterwegs. Mehr als ein Jahrzehnt lang saß sie selbst für die FPÖ im Gemeinderat von Feistritz im Rosental. Die Großeltern, vor allem Dorothea Haider, kümmerten sich oft um die Kinder.

Die Haiders sind nun schon in der dritten Generation eine durch und durch politische Familie. Die Großeltern Haider waren zuerst im deutschnationalen, dann im nationalsozialistischen Lager, Vater Jörg machte schließlich den Rechtspopulismus in Österreich „salonfähig“, wie er einst stolz vermerkte. Claudia Haiders Vorfahren schlagen aus der Art. Sie haben nach Auskunft von Ulrike Haider einen katholischen Widerstandskämpfer gegen Adolf Hitler in ihren Reihen.

Jörg Haider hatte schon als Kind gelernt, dass die Überzeugung seiner Eltern, glühende Nationalsozialisten, nicht schlecht gewesen ist und nur die Sache mit den Juden etwas aus dem Ruder lief. Die Eltern hätten nur ihre „Pflicht“ getan und von den Gräueln des Nationalsozialismus „nichts gewusst“. „Alle haben das mit dem akzeptiert“ (mit den Juden wollte sie offenbar sagen), diktierte Dorothea Haider in den 1990er-Jahren auf ein Tonband, dessen Abschrift profil vorliegt. Aus der Distanz eines langen Lebens habe sich das geändert, sie könne „die Dinge jetzt so sehen, wie sie wirklich waren“, sagt Ulrike Haider.

Dorothea Haider ist 95 und lebt im Bad Goiserner Altersheim direkt am Hauptplatz, nicht weit von ihrem Haus. Sie sammelt eifrig Unterstützungserklärungen für ihre Enkelin.

Ihre Ehe war für die damalige Zeit bemerkenswert: die Verbindung zwischen Dorothea Rupp, der Tochter aus einer großbürgerlichen-nationalen Südtiroler Kaufmannsdynastie, und Robert Haider, einem armen Schusterbuben, der als uneheliches Kind bei den Großeltern aufwuchs. Die reiche Verwandtschaft sah die Heirat anfangs als Mesalliance.

Zusammengehalten wurde die Ehe nicht zuletzt durch die gemeinsame Verstrickung in den Nationalsozialismus und die bitteren Nachkriegsjahre. Robert Haider war 17, als er sich der illegalen SA ­angeschlossen und in Oberösterreich am NS-Putschversuch vom Juli 1934 beteiligt hatte. Nach 1945 musste sich Robert Haider vor einer Entnazifizierungs-Kommission rechtfertigen. Beide Eheleute wurden zu Sühnemaßnahmen verurteilt. In den ersten Nachkriegsjahren lebten sie von der Arbeit Robert Haiders in einer Schuhfabrik, doch bald verdiente der als Parteisekretär der FPÖ sein Geld.

Der aufstrebende Jungpolitiker Jörg Haider bekam 1986 von seinem reichen deutschnationalen Großonkel Wilhelm Webhofer – ein Verwandter mütterlicherseits – das Kärntner Bärental geschenkt, einen ehemals jüdischen Besitz, der durch den Kauf des ­Südtirolers „entjudet“ worden war. Die jüdischen Holzhändler Roifer, die glücklich nach Palästina entkamen, waren italienische Staatsbürger. Die einzige Bedingung der NS-Verwaltung, die an die billige Übernahme geknüpft war, lautete, „das Deutschtum“ in diesem gemischtsprachigen Teil Kärntens hochzuhalten.

Anfang der 1950er-Jahre versuchten die Roifers eine Entschädigung zu bekommen. Die enteigneten Holzhändler hatten bis dahin keinen Groschen gesehen, weil das Geld auf einem Sperrkonto gelandet und wertlos geworden war. Unter dem Druck der Umstände begnügten sich die in Israel lebende Mathilde Roifer und ihre Kinder 1954 mit einer Abschlagszahlung. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Jahr 2000 hatte keinen Erfolg.
Auch bei Ulrike Haider gibt es bei diesem Thema einen blinden Fleck. Das war „keine Arisierung“ sagt sie, und 1954 sei alles „gelöst“ worden...

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Christa   Zöchling

Christa Zöchling