Terror in Wien

Wiener Islamisten-Szene: "Schwach halt, ein Mitläufer"

Ein junger Tschetschene kennt die Wiener Islamisten-Szene. Dort begegnete er auch dem späteren Attentäter.

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Wie Burschen in den Abgrund des islamistischen Terrors kippen, muss man dem 23-jährigen Tschetschenen Aslan nicht erklären. Er war selbst so nahe dran, dass er fast verloren war. Als Jugendlicher hatte er sich im Gefängnis radikalisiert. Dass er es letztlich nicht nach Syrien schaffte, hat viel mit Zufällen zu tun. Und damit, dass die richtigen Leute zur richtigen Zeit einfach nicht locker ließen. Wenn er heute merkt, dass jemand - so wie er damals - falsch abbiegt, versucht er, einer von diesen richtigen Leuten zur richtigen Zeit zu sein.
 

Am Abend des 2. November ging Aslan mit einem Freund am Donaukanal spazieren. Es war die letzte Chance vor dem Lockdown, spät draußen zu sein. "Auf einmal kam urviel Polizei." Im Internet habe er von einer Schießerei am Schwedenplatz gelesen. "Verdammt, ein Terroranschlag", plötzlich sei das Unvorstellbare riesengroß im Raum gestanden. "Wie? Was? In Wien? Wir waren echt schockiert", sagt er. Wichtiger noch als das, was ihm passieren könnte, sei in diesem Moment für ihn gewesen, dass das "verdammt, hoffentlich kein Muslim ist, zumindest kein Tschetschene."

Bald darauf kursierten erste Videos und Fotos. Aslan und sein Freund zoomten in die Bilder, um das Gesicht des Angreifers zu sehen. "Und dann haben wir seinen Vollbart entdeckt", sagt er. Er habe es nicht fassen können: "Das kann nicht dieser Typ sein!" Der 23-Jährige kennt den Attentäter aus einer Zeit, als er selbst in der dschihadistischen Szene rund um den radikalen Prediger Ebu Temja war. K. sei "ein richtiger Loser gewesen, ein Opfer, jemand, der keine eigene Meinung hatte und nur nach Aufmerksamkeit gierte". Er habe Steroide gespritzt, um sich aufzupumpen, und versucht, bei radikalen Gruppen anzudocken, sei aber von allen belächelt worden. Er selbst habe ihn vom Sehen gekannt, sich aber nicht weiter für ihn interessiert. K. sei ein "Irgendwer" gewesen, sagt Aslan. Ein Irgendwer? "Schwach halt, ein Mitläufer. Aber das heißt natürlich nicht, dass so jemand nicht gefährlich ist."

Der 23-Jährige spielte K.s Video mit dem Treueschwur an den IS ab, bemerkte dessen selbstverliebtes, eitles Lächeln, als er am Schluss nach seinem Handy greift und schwört sich, "nie wieder jemanden zu unterschätzen". Nachsatz: "Wegen ihm müssen wir jetzt die ganze Scheiße ausbaden."

In Aslans Augen war K. F. kein Muslim: "Aber das ist nicht wichtig. Muslim war er für die ganze Welt. "Dass er kein Tschetschene war, kümmerte die Online-Ausgabe der "Kronen Zeitung" allerdings nicht. In Paris hatte zwei Wochen zuvor ein Tschetschene einen Lehrer enthauptet. Die Identität des Angreifers von Wien war noch nicht geklärt, postete krone.at bereits ein erstes Bild des Täters und schrieb - groß und rot - "TSCHETSCHENE" darunter: "Inoffiziell bestätigt wurde der 'Krone', dass es sich bei dem getöteten Attentäter um einen in Österreich lebenden Tschetschenen handeln soll. Er war Kriegsflüchtling und seit mehr als zehn Jahren im Land."

Nichts davon stimmte. Der Text ist inzwischen gelöscht, eine Entschuldigung ist nicht überliefert.

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges