Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich

Wirtschaftsminister Mahrer: Der digitale Dandy

Harald Mahrer ist Minister, Vordenker und Innovationsfreak. Im Wahlkampf muss er die Schwachstelle von Sebastian Kurz abdecken: Wirtschaftspolitik.

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Harald Mahrer hat oft Würfelzucker im Hosensack - zu Showzwecken. So auch vergangenen Dienstagabend im Hotel Maritime in Berlin. Der CDU-nahe Wirtschaftsrat hat den österreichischen Wirtschaftsminister als Gastredner zu seiner Jahrestagung geladen. Eine Stunde später wird die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auftreten. Mahrer spricht über sein Paradethema: Innovation. Das Pult bleibt leer; Mahrer steht, spaziert und redet vorn auf offener Bühne. Der coole Chef von Amazon Germany wird es später auch so halten. Jetzt kommt die Nummer mit dem Zucker: Mahrer hält ihn hoch, die Kamera fängt ihn ein, auf der Leinwand im Saal können ihn die etwa 1000 Manager und Unternehmer sehen. Das Wissen aller europäischen Forschungseinrichtungen werde bald auf einem Speicher in der Größe eines Zuckerwürfels Platz haben, sagt Mahrer. Die wahre digitale Revolution stehe erst bevor. Stilles Staunen im Saal. Richtig Applaus erhält der Gast aus Österreich allerdings für eine Weisheit aus der analogen Vergangenheit: "Wir müssen das Geld erst verdienen, bevor wir es verteilen können.“

Showeinlage, Hightech-Gadgets, Schwäbische-Hausfrau-Rhetorik: Der Auftritt in Berlin umfasst die gesamte politische Existenz des Harald Mahrer, der versteht, wovon der frisch gewählte ÖVP-Obmann Sebastian Kurz eher geringe Ahnung hat: Wirtschaftspolitik. Als Testimonial für die neue Volkspartei ist er im Wahlkampf damit unverzichtbar.

Als Mahrer, 44, am 17. Mai sein Amt als Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft antrat, passierte ihm ein kleines Malheur. Im Nationalrat wurde der Tagesordnungspunkt "Vorstellung der neuen Regierungsmitglieder“ aufgerufen - doch der frisch angelobte Wirtschaftsminister fehlte. Mahrer steckte im Stau auf der Ringstraße. Zuvor hatte er im Marmorsaal des Wirtschaftsministeriums das Amt von Reinhold Mitterlehner übernommen, der als Minister, Vizekanzler und ÖVP-Obmann zurückgetreten war. Mahrer war in zweifacher Hinsicht Mitterlehners natürlicher Nachfolger: Seit September 2014 hatte er schon als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium gedient. Man musste ihn für die verbleibende Regierungszeit bis zur Wahl am 15. Oktober nicht mehr eigens anlernen. Und obwohl er nicht zu Sebastian Kurz’ Kernteam zählte, passt er perfekt zu dem, was Kurz die "neue Volkspartei“ nennt. Mehr noch: Mahrer hat sie miterfunden.

Fleißiger Autor

Politische Wechsel benötigen intellektuelle Vorarbeiten. Schon 2004 präsentierte Mahrer ein Buch mit dem Titel "Österreich 2050“. Einer seiner Koautoren war der Volkwirtschafter Gottfried Haber von der Donau-Uni Krems, der in ÖVP-Zirkeln derzeit als fixer Kandidat für das Finanzministeramt gehandelt wird. Ein gutes Dutzend weiterer Büchlein folgte, die allesamt von Reformen und dem bürgerlichen Themenkomplex "Freiheit, Leistung, Eigentum“ handeln - und natürlich von der digitalen Revolution.

Der Glaube an Veränderung ist Mahrers zweite Religion, Innovation das dazugehörige Bekenntnis. Ein solches Bedürfnis nach Wandel und Umbruch kommt bei einem konservativen Politiker eigentlich überraschend. "Konservativ zu sein, heißt heute vor allem, skeptisch zu sein. Wir glauben nicht alles, was uns als neu, besser und anders verkauft wird. Wir wollen immer wissen, ob das alles auch vernünftig und richtig ist“, schreibt Mahrer in seinem jüngsten Werk "Mehr Mitte, bitte!“, in dem er "elitären Pessimismus“, "mangelnde Balance“ und "staatlichen Zwang“ geißelt.

Es kann einem Politiker im Arbeitsalltag nicht schaden, wenn er Artikel und Schriften angesagter Politikwissenschafter und Soziologen liest. Mahrer kennt die klassische und aktuelle politische Philosophie und lässt es seine Umwelt auch wissen. Man schmeichelt ihm sicherlich, wenn man ihn als "Vordenker“ bezeichnet. 2011 wurde er Präsident der Julius-Raab-Stiftung, des liberalen Thinktanks des ÖVP-Wirtschaftsbunds.

Nach der krachenden Wahlniederlage 2013 unter Obmann Michael Spindelegger beschlossen einige Vertreter der zweiten Reihe, dass die ÖVP eine Runderneuerung benötige - neben Mahrer auch der Leiter der Parteiakademie Dietmar Halper, der niederösterreichische Landesrat Stephan Pernkopf und auch der damalige Integrations-Staatssekretär Sebastian Kurz. Spindelegger beauftragte seinen Generalsekretär Gernot Blümel mit der Ausarbeitung eines neuen Parteiprogramms unter dem Titel "Evolution Volkspartei“. Harald Mahrer war federführend beteiligt.

Spindelegger ist Geschichte, Pernkopf seit April Landeshauptfrau-Stellvertreter in Niederösterreich, Blümel ÖVP-Obmann in Wien und Sebastian Kurz gefeierter neuer Bewegungsleiter. Die Konzepte zur Erneuerung der Volkspartei, die Kurz nun umsetzen will, wurden schon seit einigen Jahren in der Parteiakademie erarbeitet, deren Vorsitzender Sebastian Kurz ist - mit Harald Mahrer als seinem Stellvertreter.

Karriere am Rande der Partei

Dabei stammt Mahrer nicht aus der Tiefenstruktur der Partei. Erste politische Erfahrungen erwarb er als Vorsitzender der Hochschülerschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien, in der Jungen ÖVP war er allerdings ebenso wenig wie im Cartellverband. Seine Karriere verlief am Rande der Partei. Auch im ÖVP-Wirtschaftsbund fand er keine Hausmacht. Bei der Nationalratswahl 2013 bewarb sich Mahrer forsch um ein Mandat auf der Wiener Landesliste, blieb aber chancenlos. Auch für die Wahl am 15. Oktober wird er aus derzeitiger Sicht eher nicht auf einer Liste auftauchen.

Allerdings wird Mahrer für höhere Funktionen in der ÖVP gehandelt. So gilt er als heißer Anwärter auf die Nachfolge von Christoph Leitl als Präsident des Wirtschaftsbunds. Auf sein Unternehmertum ist Mahrer stolz. Nach seiner Zeit als Forschungsassistent an der Wirtschaftsuniversität war er geschäftsführender Gesellschafter verschiedener Consulting-Unternehmen im PR- und Digital-Business, um das er sich schon Ende der 1990er-Jahre kümmerte. Skepsis könnte ihm allerdings aus dem traditionellen Milieu der Wirtschaftsbundmitglieder - Händler, Handwerker, Gastronomen - drohen, die mit Mahrers New-Economy-Prioritäten vielleicht weniger anfangen können.

Für die breite Masse scheint der Wirtschaftsminister ohnehin weniger geeignet zu sein. Wer Maßanzüge auch in originellen Mustern, bunt geblümte Krawatten und lila Kniestrümpfe zum hochwertigen Schuhwerk trägt, tanzt eher nicht auf jedem Kirtag. Man schmeichelt Mahrer sicherlich, wenn man ihn als "Dandy“ bezeichnet.

Auch inhaltlich mutet der Wirtschaftsminister dem breiten Publikum einiges zu. Unter den aufgeweckten jungen Männern, die nun die ÖVP dominieren, ist Mahrer der marktliberalste, der vor "Staatsfetischismus“ warnt und wirtschaftspolitische Diskussionen gern mit Zitaten von Margaret Thatcher ("There is no such thing as public money, there is only taxpayers’ money“) würzt. Die frühere britische Premierministerin hätte die von der Koalition beschlossene Abschaffung des Pflegeregresses allerdings kaum gutgeheißen.

Ohnehin brachte die letzte Woche neben Erfolgserlebnissen wie in Berlin auch Rückschläge. Im Parlament stimmten SPÖ, FPÖ, Grüne und NEOS gegen die ÖVP für eine Erhöhung der Uni-Budgets ohne Studienplatzfinanzierung - eine Niederlage für den Wissenschaftsminister Mahrer, der einen vom Rektor der Uni Linz, Meinhard Lukas, in letzter Sekunde ausformulierten Kompromiss zurückgewiesen hatte. "Geld ohne Strategie löst keine Probleme“, sagte Mahrer bei der parlamentarischen Debatte. Die SPÖ wolle nur "Theaterpolitik“ betreiben.

Und wie Theater funktioniert, weiß der Minister mit dem Zuckerwürfel genau.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.