Festsaal im Palaus Ferstel
Pflege

„Ausbeutung“? Kritik an WKO-Imageaktion für 24-Stunden-Betreuerinnen

Mit Sachertorten, einer Werbekampagne und dem neuen „Daheim Betreut Award“ will die Wirtschaftskammer 24-Stunden-Betreuerinnen ins Rampenlicht stellen. In der Branche sehen das einige als Alibi-Aktion.

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Vor dem Palais Ferstel im ersten Wiener Gemeindebezirk spricht eine Frau mittleren Alters in die Handykamera, sie unterhält sich in einer slawischen Sprache. Sie trägt eine weiße Bluse, ist festlich geschminkt – und lacht erwartungsvoll. Später wird sie mit 17 weiteren Frauen auf einer Bühne stehen und den „Daheim Betreut Award“ entgegennehmen. Das war in der Vorwoche, als die Wirtschaftskammer (WKO) an jeweils zwei 24-Stundenbetreuerinnen pro Bundesland eine Sachertorte und 1500 Euro verliehen hat.

Der Award soll als Zeichen der Wertschätzung verstanden werden, sorgt jedoch auch für Irritation in der Branche und innerhalb der Wirtschaftskammer.

WKO im Spannungsverhältnis

Im prunkvollen Stiegenhaus in der Nähe der Herrengasse werden Fotos von den Preisträgerinnen gemacht. Auch später sind alle Kameras auf die Betreuerinnen gerichtet. Sie stehen stellvertretend für eine Branche, in der Arbeitszeiten nicht geregelt sind und strukturelle Abhängigkeiten Realität sind. Die Gewinnerinnen wurden aus einem Pool von 500 Einreichungen ausgewählt, dabei hatte jedes Jurymitglied fünf Punkte zu vergeben. Jene 18 Nominierten mit der höchsten Punkteanzahl – und die Familien, die sie nominiert haben – lud der Gastgeber und Obmann des Fachverbandes Personenbetreuung in der Kammer, Andreas Herz, zur Verleihung ein. Insgesamt waren 150 Gäste anwesend.

Dabei kann auch der pompöse WKO-Award nicht über einen Interessenskonflikt der Kammer hinwegtäuschen. Denn die WKO vertritt nicht nur die 24-Stunden-Betreuerinnen, die freie Gewerbetreibende sind, sondern gleichzeitig auch mehr als 900 Agenturen, die sie an Klientinnen und Klienten vermitteln. Die Machtposition, die Agenturen gegenüber den Betreuerinnen haben, wurde oft kritisiert.

Ein Beispiel: Als Selbstständige sollten die Betreuerinnen ihre Honorare theoretisch selbst bestimmen dürfen. In der Praxis hängt das Einkommen der Betreuer:innen vom Budget und Wohlwollen der Familien ab – das ist meist Verhandlungssache zwischen den Agenturen und den Klient:innen. Selbstständig sind die Pflegekräfte also oft nur am Papier. Auch was Überstunden und Urlaubsanspruch angeht, gibt es keine bindenden Regelungen. 

„Der Fachverbandsobmann hätte viel mehr Spielraum, die Anliegen der 24-Stunden-Betreuerinnen aufzugreifen“, sagt Sabine Jungwirth, Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft. Allerdings: „Weder bei Missständen zwischen Betreuerinnen und Agenturen noch bei prekären Arbeitsbedingungen, nutzt er seine Möglichkeiten als Interessensvertretung.“

Für ihre angebliche Agenturen-Nähe wird die Kammer heftig kritisiert. Ist der erstmals vergebene Award nur ein Versuch der WKO, ihr Image zu polieren?

Den Vorwurf, dass die WKO parteiisch sei, wenn es zwischen Agenturen und Betreuerinnen zu Interessenskonflikten kommt, weist Fachverbandsobmann Herz, der als ÖVP-nah gilt, zurück. Seine Begründung: Der Fachverband vertritt auch Personenberater – dazu zählen Life-Coaches sowie Sport- und Ernährungsberater. „Von allen Bundesländern gibt es nur einen Obmann, der auch eine Vermittlungsagentur betreibt. Darum kann es keine Interessenskonflikte geben.“ Seiner Argumentation nach können also diejenigen, die Entscheidungen für die Branche treffen, nicht befangen sein.

Award verschweigt Strukturprobleme

Auch wenn das nicht im Sinne der Erfinder war, wurde bei der Preisverleihung die Problematik der Branche spürbar. „Neben der Betreuung meiner Mutter kümmert sie sich um das Haus und den Garten. Sie setzt meine Mutter in den Rollstuhl und diese kann zusehen, wie die Preisträgerin beispielsweise den Rasen mäht“, wurde aus einem Nominierungstext vorgelesen. Die Preisträgerin wird anschließend für ihre „hervorragende Arbeit“ und Kompetenz gelobt – und auf die Bühne gebeten. Eine weitere Gewinnerin helfe „auch mal um vier Uhr in der Früh beim Einstellen des passenden Fernsehprogramms“.

Doch diese Tätigkeiten fallen nicht offiziell ins Berufsbild. „Wir raten der Community sogar davon ab, solche Aufgaben zu übernehmen“, erklärt Flavia Matei von IG24, einer Interessenvertretung für 24-Stunden-Betreuung. Die Betreuer:innen seien „in ständiger Rufbereitschaft“ und hätten kaum Zeit für Entspannung. Sie etwa fürs Rasenmähen auszuzeichnen, bezeichnet die Aktivistin als „nonchalanter Ausbeutung“: „Diese Einreichungen hätten vielmehr disqualifiziert werden sollen.“ Andere Preisträgerinnen werden für ihre Kochkünste oder psychische Betreuung hervorgehoben, Eigenschaften, die Personenbetreuer:innen auch mitbringen müssen.

Laut Interessensvertreterin Matei gehe die WKO nicht genug auf die Bedürfnisse der Community ein: „Die Betreuerinnen wünschen sich mehr Mitsprache in den Kammerstrukturen, wo alle Entscheidungen ohne sie getroffen werden.“ Es gehe auch um rechtliche Unterstützung und Beratung in der jeweiligen Muttersprache.

„Daheim Betreut“ ist auch der Name einer Plattform für Vermittlungsagenturen und selbstständige Personenbetreuer:innen. Viele Selbstständige wüssten nicht, wie sie ihre Kontaktdaten im WKO-Verzeichnis eintragen können, führt Matei aus – für Familien sei es also naheliegend, eine Agentur aufzusuchen. Das sei „eines von vielen Beispielen, wo die WKO es verabsäumt, den Betreuerinnen ausführliche Information bereitzustellen.“ So trage die WKO weiter zur Abhängigkeit der Betreuer:innen von Vermittlungsagenturen bei.

Kritik an Intransparenz

In Österreich benötigen rund 30.000 Menschen rund um die Uhr Unterstützung zu Hause. Dafür braucht es doppelt so viele Betreuerinnen (aktuell rund 58.000), die sich dann alle zwei bis vier Wochen abwechseln. Sie sind rund um die Uhr für Menschen da, die ihren Alltag nicht mehr selbstständig bewältigen können.

Helmut Lutz, Geschäftsführer der Hilfsorganisation Malteser Care, bemängelt das „politische Desinteresse“ an 24-Stunden-Betreuung, die sich anhand einer „chronischen Schlechterstellung“ bei Förderungen durch die öffentliche Hand zeige. Den Nutzen des WKO-Awards stellt auch er in Frage. Es habe „de facto keinerlei Auswirkung, wenn einmal jährlich 18 Menschen von 58.000 Personenbetreuer:innnen vor den Vorhang geholt werden“.

Lutz kritisiert außerdem das Auswahlverfahren der Gewinnerinnen, das „nicht transparent“ sei. Währenddessen würde „die größte Masse der Betreuungspersonen weiter in einem Schattendasein verbleiben“. Seiner Ansicht hätte es für diese Form der „Pflege und Betreuung“ einen viel höheren Nutzen, wenn die WKO als Interessensvertretung „einen sicheren Boden für die 24-Stunden-Betreuerinnnen aufbereiten“ würde, damit sie „unter fairen Bedingungen und qualitätsgesichert ihre wichtige Arbeit für die Menschen in Österreich ausüben können“. Über ein Gütesiegel verfügen rund 50 Vermittlungsagenturen, gewisse Arbeitsbedingungen werden vom Gesundheitsministerium nur überprüft, wenn die Familien eine Förderung für die Betreuung zu Hause erhalten.

Jurymitglieder nicht öffentlich

Die Personenbetreuer:innen sind für viele ein wichtiger Bestandteil des näheren Familienkreises geworden. Ein Teil der Familie, der aber unter Vertrag und ständigem Abruf steht. Sie verüben teilweise „Pflegetätigkeiten, wie wir sie aus der Intensivmedizin kennen“, sagt Karin Hamminger, Präsidentin der Österreichischen Bundesinteressensgemeinschaft der Agenturen zur Organisation für Personenbetreuung, die gemeinsam mit einer Jury die Gewinerinnen des „Daheim Betreut Awards“ aus 500 Einreichungen ausgesucht hat. Die Betreuerinnen wurden von den Familien nominiert, für die sie arbeiteten.

Die Jury bestand laut Verbandsobmann Herz aus Vertreterinnen von Agenturen, Trägerorganisationen wie Caritas und Diakonie, der Gewerkschaft Vida und aus jeder politischen Fraktion in der Wirtschaftskammer. Die Geschichten der 18 Gewinnerinnen lasen Herz und andere Fachverbandsvertreter aus den Bundesländern während der Verleihung auszugsweise vor. Die Namen der Jurymitglieder sind allerdings nicht öffentlich bekannt.

„Der Sinn der Veranstaltung ist, dass wir die Öffentlichkeit sensibilisieren, welche wertvolle Arbeit die Personenbetreuer:innen quer durch die Bundesländer leisten“, sagt Andreas Herz, Fachverbandobmann in der WKO, gegenüber profil. Klassische Medien waren bei dem Event nicht anwesend, auch profil musste sich erst über eine interne Anmeldeplattform registrieren – eine offizielle Einladung, wie üblicherweise bei öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen, ist nicht erfolgt.

Was sich die WKO die Kampagne kosten lässt

Über dieses Event hinaus hat die WKO 68.400 Euro an die PR-Agentur danberg&danberg für die „Imagekampagne Personenbetreuung“ in Auftrag gegeben. Agentursprecher Stefan Ratzenberger (während der Corona-Pandemie ist er auch als Nachtgastro-Branchensprecher medial aufgetreten) sieht nun seine Aufgabe darin, die „Interessen des Fachverbandes in der öffentlichen Wahrnehmung [zu] stärken und die Bevölkerung und Keyplayer über die Wichtigkeit und Notwendigkeit sensibilisieren“. Der Auftrag gilt für einen Zeitraum von 18 Monaten.

„Dieses Event ist der Höhepunkt unserer täglichen Arbeit, um die Öffentlichkeit zu erreichen“, sagt Herz über den „Daheim Betreut Award“, welcher von einer weiteren Werbeagentur mit zusätzlichen Budgetmitteln organisiert wurde.

Über die tatsächlichen Kosten des Awards will die WKO nichts sagen. Das Budget des Fachverbands speist sich jedenfalls auch aus den Mitgliedsbeiträgen der Personenbetreuerinnen. Die WKO-Mitgliedschaft ist verpflichtend und variiert je nach Bundesland zwischen 70 und 96 Euro pro Jahr.

Das Argument, dass er sich zu wenig für die Frauen einsetzt, lässt Herz nicht gelten: „Wir verhandeln seit zwei Jahren mit Innen- und Gesundheitsministerium und mit dem Gemeindebund, damit die Betreuerinnen bei den Passausstellungsbehörden ihre Fotos für die E-Cards anfertigen lassen können“, so Herz. 

Die meisten 24-Stunden-Betreuer:innen kommen aus Osteuropa und haben keine österreichische Staatsbürgerschaft oder ein Foto bei den Behörden hinterlegt. Die E-Card gilt bekanntlich nur noch mit einem Foto. Bisher konnten die Betreuerinnen ein Passfoto nur bei der Fremdenpolizei abgeben, am Land gibt es nur vereinzelt Dienststellen. Ohne eigenes Auto und mit Betreuungspflichten rund um die Uhr ist der Weg dorthin nicht zu bewältigen. Auf eine diesbezüglich im Nationalrat heuer beschlossene Lösung, bei der die WKO mitgewirkt hat, ist Herz besonders stolz. Die beauftragte Pressekampagne an danberg&danberg habe dazu beigetragen und diene weiters dazu, „die Öffentlichkeit darauf aufmerksam zu machen, welche Bedürfnisse unsere Betreuerinnen haben.“

WKO-Wahlen: Betreuerinnen 10 Prozent der Stimmen

Der „Daheim Betreut Award“ zeige, „wie verschwenderisch der Fachverband der Personenbetreuerinnen mit seinem Budget umgeht“, kritisiert Jungwirth. Die Sprecherin der Grünen Fraktion in der Wirtschaftskammer vermutet hinter dem „plötzlichen Interesse“ an den Personenbetreuer:innen die versteckte Absicht, die Wahlbeteiligung zu erhöhen: „Ein Jahr vor der Wahl wird Aktivität vorgetäuscht. Offensichtlich bemühen sich einige Funktionäre plötzlich um die 24-Stunden-Betreuerinnen – mit Geld aus den Mitgliedsbeiträgen.“

Auch das sieht Herz erwartungsgemäß anders. Bei den Personenbetreuer:innen gebe es eine hohe Fluktuation und eine niedrige Wahlbeteiligung, da viele zum Zeitpunkt der Wahlen zurück bei ihren Familien im Ausland wären.

Diese Umstände hat die Fachgruppe bei der vergangenen Wahl 2020 jedenfalls nicht vor jenem Skandal bewahrt, bei dem sich Funktionäre mittels Stimmenfälschung nachweislich von 24-Stunden-Betreuerinnen in die Fachgruppe hineingeschummelt haben lassen. Die Personenbetreuerinnen sind eine wichtige Wahlgruppe für die WKO. Sie machen rund zehn Prozent der Wählerschaft aus – ein Gewerbeschein bedeutet eine Stimme.

Elena Crisan

Elena Crisan

Wenn sie nicht gerade für den Newsletter "Ballhausplatz" mit Politiker:innen chattet, schreibt sie im Online-Ressort über Wirtschaft und Politik.