Österreich

Wolfgang Sobotka: Der Rosenkrieger

Sebastian Kurz ist weg, Wolfgang Sobotka bleibt. Der Nationalratspräsident verkörpert die Malaise der ÖVP, bei der sturer Machtanspruch stärker ausgeprägt ist als das Unrechtsbewusstsein.

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Mittwoch, 26. Oktober, Nationalfeiertag, zehn Uhr Vormittag. Ein Genusstermin für ÖVP-Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka: Auf dem Josefsplatz in der Wiener Innenstadt stehen die Menschen bereits Schlange vor dem Eingang zur Hofburg, die noch bis Jänner als Ausweichquartier für das Parlament dient. Nationalrat und Bundesrat haben zum Tag der offenen Tür geladen. Die ersten Bürgerinnen und Bürger begrüßt Sobotka persönlich. Ein junger Mann aus Kirchdorf in Oberösterreich spricht ihn an. Er sei überzeugt, dass an den Vorwürfen gegen den Präsidenten nichts dran sei. Sobotka sagt, was er in dieser Causa meistens sagt: "Es gab sechs Anzeigen gegen mich, davon sind fünf bereits eingestellt."

Wolfgang Sobotka, 66, ist keiner, der Zuspruch in schwierigen Phasen dringend benötigt. Der Nationalratspräsident zählt zu den robusteren Spitzenpolitikern im Land. Je schärfer die Vorhalte, desto sturer reagiert er. Damit ist Sobotka zum Testimonial der ÖVP geworden, allerdings im negativen Sinn. Er verkörpert eine Partei, deren Machtinstinkt stärker ausgeprägt ist als das Unrechtsbewusstsein.

Der Präsident ist auch eine personifizierte Unvereinbarkeit. Seit knapp einem Jahr ist er Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses, der Korruptionsvorwürfe gegen die ÖVP klären soll - und deswegen auch den eigenen Vorsitzenden vorlud. Nicht aus parteipolitischem Jux: Der Nationalratspräsident aus den Reihen der niederösterreichischen ÖVP ließ das von ihm präsidierte, mittlerweile aufgelöste Alois-Mock-Institut von Unternehmen im Einflussbereich des Landes fördern. Auch der Glücksspielkonzern Novomatic stellte sich mit Zahlungen ein.

Vor dem U-Ausschuss musste Sobotka im Juli Auskunft über Interventionslisten und Personalwünsche aus seiner Amtszeit als Innenminister (2016 bis 2017) erteilen. Was die Opposition "Freunderlwirtschaft" nennt, bezeichnet Sobotka als "Dienstleistungsdenken" und "Bürgerservice". Die Korruptionsstaatsanwaltschaft ist diesbezüglich humorlos. Sie führt Sobotka als Beschuldigten aufgrund einer parteipolitisch motivierten Besetzung im Wiener Polizeipräsidium im Jahr 2017.

Am 3. November wird erstmals jener Mann vor dem U-Ausschuss erscheinen, der neben Sobotka viele andere ÖVP-Politiker und damit die gesamte Partei in Schwierigkeiten brachte: Thomas Schmid, ehemaliger Generalsekretär im Finanzministerium und ausgeschiedener Chef der staatlichen Beteiligungsholding ÖBAG. Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass Schmid vor der WKStA ein umfassendes Geständnis ablegte.

Wolfgang Sobotka wird den Auftritt des Hauptbelastungszeugen gegen die ÖVP versäumen. Der Nationalratspräsident weilt am 3. November im Ausland. Eine größere Peinlichkeit bleibt ihm damit erspart. Die Abgeordneten von SPÖ, FPÖ, Grünen und NEOS werden Schmid auch zu dessen Vorwürfen gegen Sobotka gegenüber der WKStA befragen wollen. Laut Schmid habe Sobotka bei ihm interveniert, um Steuerprüfungen beim Alois-Mock-Institut und der Erwin-Pröll-Stiftung abzudrehen. Die Angelegenheit sei auch "im Sinne von Mag. Sobotka erledigt worden". Der Präsident kündigte eine Klage an. Schmids Behauptungen seien "frei erfunden".

Die Rücktrittsaufforderungen aller Oppositionsparteien beeindruckten Sobotka nicht: "Die Opposition wird jedes noch so unscheinbare Pflänzchen nutzen, um mich in irgendeiner Form aus dem Amt zu drängen. Ich bin ihnen einfach unangenehm, das muss man zur Kenntnis nehmen." ÖVP-Bundesparteiobmann Karl Nehammer erklärte, "keinen Zweifel an Sobotka als Nationalratspräsident" zu haben. Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner verteidigte Sobotka eher dezent - und bloß schriftlich: "Wir leben in einem Rechtsstaat. Das heißt, Gerichte allein entscheiden, wer sich etwas zuschulden hat kommen lassen und wer nicht."

Wolfgang Sobotka sieht den U-Ausschuss wohl als Teil des "Vernichtungsfeldzugs gegen die ÖVP", den er in einem profil-Interview im August beklagte. Und er fand es "bedenklich, unter welchen Bedingungen Sebastian Kurz schlussendlich weichen musste". Noch in der Zeit der Großen Koalition hatten der damalige Innenminister und der Außenminister zueinandergefunden. Sobotka ebnete Kurz den Weg an die Macht, indem er die rot-schwarze Zusammenarbeit sabotierte. Als "Abrissbirne" bezeichnete ihn der frühere SPÖ-Kanzler Christian Kern. Und Kurz' Vorgänger als ÖVP-Chef, Ex-Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, meinte über Sobotka, es sei "unmöglich, einerseits Regierungsarbeit zu leisten und gleichzeitig Opposition zu sein".

Nach seinem Wahlsieg 2017 machte Kurz Sobotka zum Nationalratspräsidenten. Das zweithöchste Amt im Staat verlangt Unparteilichkeit, diplomatisches Geschick und ein Talent für Mediation. Insofern ist Wolfgang Sobotka für den Job so ungeeignet wie ein Zivildiener zum Verteidigungsminister. Der Niederösterreicher macht den Abgeordneten der anderen Parteien im U-Ausschuss das Leben schwer, hat Freude am Konflikt und ist fest im Freund-Feind-Schema verhaftet. In Sobotkas Welt will man "den Sozen zeigen, wo der Hammer hängt", wie es der langjährige Kabinettschef im Innenministerium, Michael Kloibmüller, in einem publik gewordenen Chat formulierte.

Machtexpansion ist die Leitidee des Wolfgang Sobotka. Wo Landnahme möglich ist, wird sie umgesetzt, ob bei Jobs in der Verwaltung oder Spitzenämtern in der Politik. Dass rohes Machtstreben und Feinsinnigkeit keine Widersprüche sind, zeigt Sobotkas Biografie: Er ist Historiker, studierte Violoncello und Musikpädagogik und dirigiert das Kammerorchester Waidhofen an der Ybbs. Als Präsident des Vereins "European Garden Association-Natur im Garten International" traf er im Mai mit dem heutigen König Charles III. in England zusammen und schenkte diesem eine selbstgezüchtete Rose.

Wolfgang Sobotka erklärt seinen Gesprächspartnern gern die Welt, weil er überzeugt ist, über sie besser Bescheid zu wissen als die meisten anderen. Der Hang zur Selbsterhöhung zeigt sich auch in Sobotkas Umgang mit den Aufforderungen, den Vorsitz im U-Ausschuss wegen Befangenheit abzugeben. Ein Rücktritt wäre aus seiner Sicht ein für die Demokratie gefährlicher Präzedenzfall, argumentiert er. In einem Interview verstieg er sich so weit, die Rücktrittsaufforderung mit den Ereignissen des Jahres 1933 zu vergleichen, als Kanzler Engelbert Dollfuß nach der Demission der drei Nationalratspräsidenten das Parlament ausschaltete. Doch einer wie er lässt sich "mit permanenten Unterstellungen nicht rauskicken". Schon gar nicht jetzt: Der Höhepunkt seiner Karriere als Nationalratspräsident steht unmittelbar bevor. Am 12. Jänner wird das Parlament am Wiener Karl-Renner-Ring nach fünfjähriger Renovierung wiedereröffnet.

Die Rückkehr sollten die Parlamentsparteien dazu nützen, "im Umgangston miteinander wieder eine moderatere Haltung einzunehmen", wie Sobotka am Nationalfeiertag meinte. Die Auseinandersetzungen würden die Demokratie schwächen. Ganz Unrecht hat er nicht. Die Korruptionsvorwürfe ließen zwar die Umfragewerte der ÖVP stark sinken, schaden aber auch den politischen Mitbewerbern. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Unique research für profil meinen 48 Prozent der Bürgerinnen und Bürger, alle Parteien würden früher oder später für Korruption empfänglich werden. Nur 35 Prozent geben an, die ÖVP würde sich in ihrer Korruptionsanfälligkeit von den anderen Parteien unterscheiden.

Der oppositionelle Konter auf Sobotkas Anstandsappell folgte umgehend. Der stellvertretende SPÖ-Klubobmann Jörg Leichtfried richtete dem Nationalratspräsidenten aus, "in sich zu gehen und zu überlegen, inwieweit sein Verhalten mit der Würde des Hauses vereinbar ist".

 

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.