Zwei Jahre Wiener Zeitung neu: Kürzungen und Millionen-Rücklagen
Vor zwei Jahren erschien die letzte Ausgabe der Wiener Zeitung. Die Politik gab dem neuen Medium viel Geld und wenig Auflagen. Nun wird das Budget gekürzt, der Rechnungshof prüft.
Der 30. Juni 2023 war „ein bitterer Tag für Österreich als Medienstandort und Kulturland und ein trauriger Tag für alle, die seriösen Qualitätsjournalismus schätzen“. Zumindest laut SPÖ-Chef Andreas Babler. Am 30. Juni 2023 erschien die letzte Ausgabe der ältesten Tageszeitung der Welt. Das Ende der Wiener Zeitung hatten ÖVP und Grüne per Gesetz beschlossen. „Dieses kaltschnäuzige Aus“ werde er nicht akzeptieren, richtete Babler per Aussendung aus und versprach: „Wenn wir wieder in Regierungsverantwortung sind, dann werden wir jedenfalls Mittel und Wege suchen, um die Wiener Zeitung als gedruckte Tageszeitung zurückzuholen.“
Zwei Jahre sind seither vergangen. Andreas Babler ist Vizekanzler und Medienminister, die Wiener Zeitung nennt sich selbst „WZ“ und erscheint (bis auf ein unregelmäßiges Magazin) nur online. Der gesetzlich definierte öffentlich-rechtliche Auftrag ist unklar. Im schwarz-rot-pinken Regierungsprogramm wird das bundeseigene Medium nicht einmal erwähnt, der Rechnungshof prüft das Konstrukt derzeit.
Wie steht es um die staatliche Zeitung, zwei Jahre nach dem Ende der Printausgabe?
Finanziell lief es schon einmal besser. Im Zuge der Sparmaßnahmen kürzte Babler das Budget zuletzt von 7,5 Millionen Euro jährlich auf fünf Millionen. Zwei Millionen Euro weniger pro Jahr, mehr als ein Viertel des Jahresbudgets, würde viele Medien ins Wanken bringen. Dazu kommen Kürzungen im Geschäftsfeld der Mediengruppe, insgesamt gibt es fünf Millionen Euro weniger pro Jahr vom Staat. Die Wiener Zeitung macht sich keine Sorgen: Die Lücke könne aus dem Gesellschaftsvermögen gedeckt werden, sagte Martin Fleischhacker, der noch von Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) bestellte Geschäftsführer der Wiener Zeitung, gegenüber dem „Standard“.
Zugriff auf alte Rücklagen
Aber was heißt das? Tatsächlich ermöglichte Medienminister Babler Anfang Juli, dass die Mediengruppe Wiener Zeitung heuer und nächstes Jahr jeweils bis zu fünf Millionen Euro an Rücklagen auflösen kann, um das finanzielle Delta auszugleichen. Wie viele Rücklagen tatsächlich aufgelöst werden, beantwortete die Wiener Zeitung auf Anfrage nicht. Generell ist das Medium, obwohl von Steuermillionen finanziert, relativ intransparent: Wie viel Geld braucht es wofür? Wie viel Leserinnen und Leser hat das Medium? Fragen, die die Wiener Zeitung nicht von sich aus beantwortet. Gegenüber dem Rechnungshof dürften sie nun beantwortet werden müssen.
Tatsächlich sitzt die Wiener Zeitung auf Millionen. Denn bevor die gedruckte Tageszeitung eingestellt wurde, war die älteste Tageszeitung der Welt auch das Amtsblatt der Republik. Bund und Unternehmen waren gesetzlich verpflichtet, Inserate in der Wiener Zeitung zu schalten und zu bezahlen. Die Zeitung finanzierte sich damit mehr als selbst: Das Unternehmen, das als gesetzlichen Auftrag die Herausgabe einer Tageszeitung hatte, schrieb Gewinn und bildete Rücklagen. Ende 2022 waren es 22,38 Millionen Euro.
Im Juni 2023 änderten ÖVP und Grüne den Auftrag, die gedruckte Zeitung wird mit Juli 2023 eingestellt und 63 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wiener Zeitung zur Kündigung angemeldet. Doch die Rücklagen blieben. Ende 2023 verfügte die Wiener Zeitung GmbH laut Firmenbuch immer noch über freie Rücklagen in der Höhe von 22,38 Millionen Euro – genauso viel wie noch Ende 2022. Beim Umstieg von Print- zur Onlinezeitung im Jahr 2023 wurden die Rücklagen also nicht angegriffen.
Warum das Geld nicht genutzt wurde, um die Tageszeitung zu erhalten, müsse man Bablers Vorgängerin Susanne Raab fragen, heißt es aus dem Büro des Medienministers. Doch die ließ eine Anfrage von profil unbeantwortet.
Fakt ist: Auch 22,38 Millionen Euro hätte man die gedruckte Zeitung nicht ewig erhalten können. Und Grüne zahlten dem staatseigenen Medium lieber 7,5 Millionen Euro Steuergeld pro Jahr als die Rücklagen anzugreifen. Aber wozu eigentlich?
Das alte Geschäftsmodell ist tot, die Wiener Zeitung erscheint nur noch digital, hat einen Bruchteil der Redakteurinnen und Redakteure beschäftigt und der Gesetzgeber gibt der Redaktion ziemlich freie Wahl. Die Wiener Zeitung solle etwa „Informationen über zeitgeschichtliche und gegenwärtige Ereignisse unter besonderer Berücksichtigung von historischen, demokratiepolitischen, wissenschaftlichen und gesellschaftspolitischen Aspekten“ erstellen und verbreiten, heißt es im Gesetz. Auch das Verständnis von Politik, Kultur, Wissenschaft und gesellschaftlichen Entwicklung sollen gestärkt werden. Messbare Ziele? Fehlanzeige.
Teure Transformation
Für ihren digitalen Relaunch wurde die Wiener Zeitung vom European Publishing Award ausgezeichnet, auf Kongressen präsentierte sich das Medium als Erfolgsmodell. Ein Hauptfokus: Junge Menschen dort erreichen, wo sie zu Hause sind. In den Sozialen Medien. Auf TikTok folgen der Wiener Zeitung mittlerweile mehr als 25.000 Accounts, auf Instagram mehr als 36.000.
Was die Wiener Zeitung auf internationalen Kongressen nicht erzählte: Die Social-Media-Reichweite ist erkauft. Fast 300.000 Euro gab die Wiener Zeitung seit Juli 2023 laut der Werbedatenbank von Instagrams Mutterkonzern Meta für Werbung im Meta-Universum aus.
Die Wiener Zeitung bewegt sich damit im selben Werbevolumen wie das Ministerium mit den meisten Meta-Werbeausgaben, das ehemalige Klimaschutzministerium, das inklusive Werbungen für Klimaticket und Co. seit Beginn der Datenbank im April 2019 mehr als 310.000 Euro ausgegeben hat. Zum Vergleich: profil warb um insgesamt 22.321 Euro. Ein privates Medium, das am Markt konkurrenziert, kann sich das Social-Media-Werbevolumen der Wiener Zeitung normalerweise nicht leisten.
Wer heute ein Medium für junge Menschen aufbaut, kann sich nicht auf organische Reichweite allein verlassen.
Markus Graf
Chief Commercial Officer bei der Mediengruppe Wiener Zeitung
Auf Anfrage von profil und „Kronen Zeitung“ erklärt Markus Graf, Chief Commercial Officer bei der Mediengruppe Wiener Zeitung die Zahlen so: „Wer heute ein Medium für junge Menschen aufbaut, kann sich nicht auf organische Reichweite allein verlassen.“ Ohne gezielte Bewerbung journalistischer Inhalte sei bei jungen Menschen keine relevante Sichtbarkeit zu erzielen, „insbesondere nicht in einem Umfeld, das von reichweitenstarken Influencerinnen und Influencern, algorithmisch priorisiertem Entertainment und gezielten Desinformationskampagnen geprägt ist“. Ob die Werbeleistungen nach den Budgetkürzungen reduziert werden, werde derzeit intern geprüft.
Der Erfolg der Werbung lässt sich nicht unabhängig überprüfen: Die meisten seriösen Medien lassen ihre Zugriffszahlen von der Österreichischen Web-Analyse (ÖWA) erheben. Die neue Wiener Zeitung nicht.
Mehr als Journalismus
Doch die Wiener Zeitung ist mittlerweile mehr als nur ein Online-Medium. Das zweite Standbein ist der Media Hub, der unter anderem über das 360-Grad-Stipendium die Ausbildung von Journalistinnen und Journalisten finanziert (auch profil hat an diesem Programm teilgenommen). Bisher erhielt der Media Hub sechs Millionen Euro pro Jahr – mehr als alle anderen, unabhängigen Journalismus-Ausbildungsschienen zusammen, wie etwa der Medien-Pluralismus-Report 2024 festhielt. Nun wurde das staatliche Budget von sechs auf 3,5 Millionen Euro reduziert.
Neben dem journalistischen Kerngeschäft übernimmt die Wiener Zeitung GmbH zunehmend Aufgaben außerhalb des Redaktionsbetriebs: Die Content Agentur Austria ist die Medienagentur des Bundes – hier werden Aufträge zu redaktionellen Inhalten erstellt. Eine institutionalisierte Trennung zwischen bezahlten und redaktionell-unabhängigen Inhalten ist normalerweise ein Muss. Die elektronische Verlautbarungsplattform ersetzte das Amtsblatt. Dazu betreibt die Mediengruppe staatliche Online-Plattformen wie „Auftrag.at“ für öffentliche Ausschreibungen, „Wirtschaft.at“ für österreichische Firmen und „Auszug.at“ für Firmen- und Grundbuchauszüge.
Das strukturelle Problem an der gesamten Konstruktion: Theoretisch sitzt an der Spitze der Medienminister, gleichzeitig ist die Wiener Zeitung als ausgelagerter Betrieb nicht vom Anfragenrecht der Nationalratsabgeordneten umfasst. Der Nationalrat kann den Geldhahn auf- und zudrehen, der Minister könnte leicht in das staatseigene Medium und seine Journalismus-Ausbildungsschiene eingreifen. SPÖ-Chef Andreas Babler wird sich wohl hüten, andere Parteien hätten wohl weniger Skrupel. Mögliche Aufhänger für einen politischen Umbau ließen sich durchaus finden. Im Aufsichtsrat der Wiener Zeitung sitzt etwa ÖVP-Anwalt Werner Suppan.
Es ist kein Wunder, dass die Zahlungsbereitschaft schlecht ist, wenn es staatliche Produkte ohne Paywall gibt.
Henrike Brandstötter
Mediensprecherin Neos
Zudem ist unklar, ob das derzeitige Konstrukt wettbewerbsrechtlich hält. Immerhin bietet die Wiener Zeitung ihre Produkte dank staatlicher Förderungen kostenlos an. Andere Medien kämpfen derweil um bezahlte Abos – in Österreich ist das besonders schwierig. „Es ist kein Wunder, dass die Zahlungsbereitschaft schlecht ist, wenn es staatliche Produkte ohne Paywall gibt“, sagt Neos-Mediensprecherin Henrike Brandstötter.
Vor allem aber ist zwei Jahre nach dem Ende der gedruckten Wiener Zeitung noch immer unklar, was die Politik von ihrem digitalen Nachfolger genau verlangt: Wenn der Staat Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) fördert, schließt er in der Regel einen Vertrag ab, der diese Leistungen im Detail regelt. Im Falle der neuen Wiener Zeitung dauerte dieser etwas länger: Erst am 7. Juni 2024, ein Jahr nach dem Neustart, wurde der Vertrag rückwirkend abgeschlossen, heißt es aus dem Büro von Medienminister Babler. Die Details zur Leistungserbringung seien aber ohnehin im Gesetz definiert.
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Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.