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Bodenlos

Die fortschreitende Versiegelung des Bodens hat Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit Österreichs. Doch der Bodenverbrauch hat viele Ursachen – und noch ist keine Besserung in Sicht.

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von Robert Prazak

 

Auf der riesigen Asphaltfläche stehen an den meisten Tagen wenige Autos, nur selten ist der Parkplatz einigermaßen belegt. Eine Handvoll Sträucher schafft es nicht, die Tristesse aus Asphalt, Schottersteinen und Laternen zu verschönern. Im Hochsommer wird das öde Grundstück, auf dem früher Bäume und Gräser standen, zum Hitzespeicher. Beispiele wie dieses für die rasch voranschreitende Versiegelung des Bodens gibt es überall in Österreich. Wohn- und Gewerbebauten, Straßen und Parkplätze sind zweifellos nötig, um Raum zum Wohnen, Arbeiten und für den Verkehr zu schaffen – doch das Tempo, mit dem Österreichs Boden versiegelt wird, ist erschreckend: Pro Tag werden 13 Hektar Boden verbaut, heißt es im jüngsten Bodenreport der Umweltschutzorganisation WWF. 

Das hat Auswirkungen auf die Umwelt und verstärkt die Folgen des Klimawandels  – und auch auf die Ernährung hat die fortschreitende Versiegelung enormen Einfluss: Wenn es nicht genug Böden für die Landwirtschaft gibt, ist die Produktion von Lebensmitteln im Inland gefährdet. Dabei wird diese Versorgung ohnehin schon durch die Wetterextreme aufgrund des Klimawandels beeinträchtigt.

Der Wunsch nach regional erzeugten Lebensmitteln ist nicht nur ein Trendthema für Konsumenten, wie man an der steigenden Bedeutung der Direktvermarktung und der steigenden Nachfrage bei österreichischen Herkunftsnachweisen erkennt. Es ist auch eine Frage der Ernährungssicherheit: Die Coronakrise hat gezeigt, dass Lieferketten rasch unterbrochen werden können. Wird mehr Nahrung im eigenen Land erzeugt, ist man nicht von Importen abhängig. Durch die Coronakrise ist die Frage nach der Ernährungssicherheit und dem Grad der Selbstversorgung eines Landes zwar stärker ins Bewusstsein gerückt. 

In Österreich sei dieses Thema allerdings nirgendwo verankert und erfasst, berichten Katharina Ritter und Karoline Mayer, Kuratorinnen der Ausstellung „Boden für Alle“ im Architekturzentrum Wien, bei der die politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Hintergründe der fortschreitenden Versiegelung Österreichs dargestellt werden. Tatsächlich gibt es viele Kräfte, die an der wertvollen Ressource Boden zerren: Von der Hortung von Grundstücken für Erben über die Umwidmung von Grünland zu Bauland (was in manchen Regionen enorme Preissteigerungen bringt) bis zum Wildwuchs an Gesetzen zu Raumplanung, Naturschutz und Wohnbauförderung in den einzelnen Bundesländern – Bodenschutz ist in Österreich ein komplexes Gebiet.

70 Prozent  der Österreicher legen bei Obst, Gemüse, Fleisch, Wurst und Eiern großen Wert auf regionale Herkunft, bei Milchprodukten sind es 60 Prozent. Das zeigt eine Spectra-Umfrage.

Es wird zum Beispiel überhaupt nicht bedacht, welche Böden wir in 50 Jahren brauchen werden“, konstatiert Katharina Ritter. Es bräuchte etwa flächendeckend gute Daten zur Bodenbewertung, damit die wertvollsten Flächen langfristig erhalten bleiben. „So aber bauen wir eine Flughafenpiste ausgerechnet auf einem der fruchtbarsten Böden Österreichs.“ Wie auch in der Coronakrise sichtbar werde, bremse der Föderalismus vieles aus – das gilt ebenso für die Bodennutzung, ergänzt Karoline Mayer.

10 Milliarden Euro gibt Österreich jährlich für den Import von Lebensmitteln aus.

Praxis und rechtliche Grundlagen der Zersiedelung und Versiegelung sind nicht einfach zu durchschauen und noch schwerer zu durchbrechen. So ist der starke Schutz des Eigentums, der in Österreich in der Verfassung verankert ist, ein Grund für wenig Spielraum bei der Baulandwidmung. Hingegen sieht die bayrische Verfassung vor, dass Steigerungen des Bodenwerts ohne besonderen Aufwand des Eigentümers für die Allgemeinheit nutzbar gemacht werden müssen. Vor diesem Hintergrund wäre es zu einfach, den Bürgermeistern die alleinige Schuld an der galoppierenden Zersiedelung zu geben, selbst wenn es viele Fälle gibt, bei denen (eigene) wirtschaftliche Überlegungen über Boden- und Umweltschutz gestellt werden. Zwar steht örtliche Raumplanung den Gemeinden zu, doch diese müssen sich an den Gesetzen und Verordnungen des Landes orientieren – und die Länder halten sich bei der Aufsicht vornehm zurück; erst nach und nach nutzen sie die Möglichkeiten des Aufsichtsrechts stärker. Was kann sonst getan werden? „Wichtig wäre vor allem, dass die Problematik der Öffentlichkeit bewusst wird“, meint Mayer. Es brauche einen Eingriff in gesetzliche Grundlagen und Förderungen; derzeit werde Bodenverbrauch zu sehr gefördert. Und eine nationale Bodenschutzstrategie, wie auch im aktuellen Regierungsprogramm vorgesehen, bedarf rechtlicher Verbindlichkeit, wie der WWF vor kurzem anmerkte.

50 Prozent beträgt der Selbstversorgungsgrad Österreichs bei Gemüse, bei Kartoffeln sind es 80 Prozent, bei Brotgetreide 86 Prozent.

Nur langsam dämmert es Öffentlichkeit und Politik, dass Bodenschutz ein wichtiges Thema sein könnte. In Niederösterreich wird gerade ein Forschungsprojekt zur Beurteilung klimarelevanter Standortqualitäten durchgeführt: Es wurde eine Raumordnungsnovelle beschlossen, dazu braucht es Grundlagenforschung zum Energie- und Klimakonzept. Geleitet wird das Projekt von Gernot Stöglehner, Professor am Institut für Raumplanung, Umweltplanung und Bodenordnung der Universität für Bodenkultur Wien (siehe Interview); Auftraggeber sind das Klimaschutzministerium und das Land Niederösterreich. „Wir stellen nun Standorträume für Fernwärmeversorgung und klimafreundliche Mobilität dar, sie sollen als Entscheidungsgrundlage für Gemeinden dienen“, sagt Stöglehner. Diese sollen in der Lage sein, klimafreundlichere Entscheidungen zu treffen, indem die Siedlungsentwicklung in diese Räume gelenkt werden soll – das hat auch mit Bodenschutz zu tun.

Es bräuchte mehr solcher Projekte, um Grundlagen für Diskussionen und Änderungen der gängigen Praxis, etwa bei Baulandreserven, zu liefern. Letztlich bedeutet Bodenschutz auch die bessere, intensive Nutzung bereits vorhandener Siedlungsgebiete, etwa über vorgeschriebene Mindestdichten – ein politisches heikles Thema. „Es geht darum, das Bild vom Wohnen im Grünen zu hinterfragen: Wir könnten Wohnkonzepte fördern, die dichteres Wohnen forcieren, aber auch die Gemeinschaft im Sinn haben und Freiraum für Bewohner schaffen“, sagt Karoline Mayer. Es gäbe nicht nur Plattenbau oder Einfamilienhaus, sondern auch Konzepte dazwischen, also Hybride zwischen dichtem Wohnen in der Stadt und dem eigenen Reich am Land.

Fest steht: Klimaschutz und Bodenschutz sind untrennbar verbunden, denn unversiegelte Böden sind nicht nur die Grundlage für Nahrungsmittel, sondern sie filtern Wasser, speichern Kohlenstoff und gewährleisten die Artenvielfalt. Der Boden ist quasi eine natürliche Klimaanlage – und der Bodenverbrauch daher keineswegs ein Thema, dem sich erst nachfolgende Generationen stellen müssen. „Es muss uns klar sein, dass der Klimawandel uns selbst in unserem Leben betrifft“, meint Katharina Ritter.