Bei Quereinsteigern steigt Politik auf die Bremse
Polascheks Nachfolger, Christoph Wiederkehr (Neos), hat nun sogar den Luxus, bei diesen Spätberufenen stärker die Spreu vom Weizen zu trennen. Künftig sollen nur noch 500 Quereinsteiger pro Jahr zugelassen werden – mit Fokus auf Mangelfächer wie Deutsch, Mathe, Englisch, Sport und Informatik. Auch die Zahl der klassisch Lehramtsstudierenden steigt wieder deutlich an. Somit wird die Rechenschwäche früherer Bildungsminister, die weder Pensionierungswellen noch Teilzeitboom gebührend in ihre Personalkalkulation miteinbezogen, nach und nach ausgebessert.
Die traurigste Kennzahl im Bildungswesen
Der Lehrermangel lässt nach, der Bildungsmangel jedoch bleibt. Das lässt sich an einer traurigen Zahl festmachen: 25 Prozent. So hoch ist der Anteil der Jugendlichen, die nach neun Jahren Schulpflicht weder sinnerfassend lesen (einfache Zeitungsartikel) noch rechnen (addieren, multiplizieren) können. Dieser Wert stammt aus der PISA-Studie 2022, zehn Jahre zuvor waren es 19 Prozent gewesen. Und seither ist laut dem Bildungsexperten des Instituts für Höhere Studien (IHS), Mario Steiner, keine Trendwende in Sicht.
Im Kindergarten herrscht noch echter Mangel
Besonders betroffen sind Zuwanderer-Kinder aus bildungsfernen Schichten, nicht nur Syrer oder Afghanen, die seit 2015 nach Österreich kamen, sondern auch Kinder mit türkischen oder ex-jugoslawischen Wurzeln bis zur 4. Gastarbeitergeneration. In Wien gibt es mittlerweile Bezirke, in denen 75 Prozent der Erstklässler dem Unterricht sprachlich nicht folgen können.
Diese vererbte Bildungsarmut bleibt im Kindergarten bestehen, verfestigt sich in Schulen, in denen lernschwache Kinder entsprechend ihrer Wohngegend gepoolt sind, und begleitet sie bis ins Erwachsenenleben. Diese Abwärtsspirale will die Regierung mit einem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr ab 2026 stoppen. Das Geld ist budgetiert, doch bei Elementarpädagogen ist der Personalmangel schon jetzt viel gravierender als bei den Lehrern – allein in Wien fehlen 650 Pädagoginnen und Pädagogen. Und selbst wenn die Kiga-Ausbildungsoffensive greift: Der Weg von der Aufbewahrungsstätte zur Bildungsstätte ist an vielen Kindergärten noch sehr weit.
An eine bessere Durchmischung glauben SPÖ und Neos nicht mehr
In den Schulen empfehlen Experten wie Steiner vom IHS eine stärkere soziale und kulturelle Durchmischung. Für die Regierungsparteien sowohl im Bund als auch in Wien scheint der Zug jedoch abgefahren. Wiederkehr will stattdessen einzelne Standorte mit einem hohen Anteil bildungsferner Schüler (vulgo Brennpunktschulen) gezielt aufwerten. Auch dieser Schritt wurde auf Drängen der Neos budgetiert: Mit 20 Millionen Euro 2025 und 65 Millionen Euro 2026. Weitere 20 Millionen Euro ab 2027 stehen noch unter Budgetvorbehalt.
Ein Vorläufermodell dieses „Chancen-Bonus“ startete Wiederkehr in Wien, wo er Bildungsstadtrat war. Davon profitierte unter anderem die Mittelschule Konstanziagasse im 22. Wiener Gemeindebezirk. Und die hat das Geld – wie unser Porträt zeigt – offenbar wirkungsvoll eingesetzt.
Für eine echte Trendwende werden die budgetierten Mittel jedoch kaum reichen. Zum Vergleich: 2024 hat die rot-gelb-grüne Ampelregierung in Deutschland wegen ganz ähnlicher Probleme im Bildungswesen eine Milliarde Euro für 4000 besonders herausgeforderte Schulen lockergemacht – jährlich über zehn Jahre. Umgerechnet aufs zehn Mal kleinere Österreich wären das 100 Millionen pro Jahr für 400 Schulen bis 2035.
Die wundersame Verdoppelung der Deutsch-Förderlehrer
In einem Bereich war der Lehrermangel besonders gravierend: bei den Deutsch-Förderklassen. Sie existierten zum Teil nur noch auf dem Papier, weil das Personal fehlt. Wiederkehr sagt, er habe die Zahl der Deutsch-Förderlehrer auf 1300 mehr als verdoppelt. Die Grünen werfen dem Minister Zahlentrickserei vor. 400 davon hätten davor schon in speziellen Deutschklassen für ukrainische oder syrische Kinder unterrichtet. Jetzt würden sie denselben Job mit einem anderen Mascherl fortführen.
Wiederkehr hat ein paar richtige Weichen gestellt. Die Neos haben in der Regierung – in Zeiten des Spardrucks – mehr als Kleingeld für die Bildung herausgeholt. Doch abgerechnet wird bei den nächsten PISA-Studien.