FN-Kandidatin Marine Le Pen: Sie ist Fixstarterin ohne Vorwahlen und wird laut allen Umfragen in die Stichwahl kommen.

Ganz Paris träumt von der Antipathie

Marine Le Pens unbeliebte Konkurrenz im Überblick.

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Das französische Volk wird demnächst vor eine höchst interessante Wahl gestellt, die durchaus tragikomische Züge hat und in etwa so lautet: Wollen Sie einen Mann als Staatspräsidenten, den Sie vor fünf Jahren abgewählt haben, weil Sie ihn absolut satt hatten? Wollen Sie stattdessen einen Mann als Staatspräsidenten, den Sie mittlerweile noch weniger leiden können? Oder aber hätten Sie lieber einen Mann als Staatspräsidenten, den Sie schon vor 20 Jahren nicht ausstehen konnten? Das klingt in der Tat nach einer kniffligen Entscheidung, und als Nicht-Wahlberechtigte könnten wir uns erleichtert abwenden und die Chose den Franzosen überlassen - bärge dieses vertrackte Puzzle nicht ein für ganz Europa unangenehmes Risiko: Fixstarterin bei den Präsidentschaftswahlen, deren erster Wahlgang am 23. April des kommenden Jahres stattfinden wird, ist Marine Le Pen, Vorsitzende des rechtsradikalen Front National (FN), und sie lässt beim Rennen um den Titel des Meistgehassten gern den Männern den Vortritt. Aber der Reihe nach.

Wann fällt die Entscheidung, welche Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen antreten werden?

Noch befindet sich der politische Prozess im Stadium der Vorwahlen. Sowohl die Konservativen (Parteiname seit 2015: Die Republikaner) als auch die Sozialisten küren ihren Kandidatin - oder, unwahrscheinlicher: ihre Kandidatin - ähnlich wie die US-Parteien mittels einer Vorauswahl, den "primaires“. Diese finden in zwei landesweiten Wahlgängen statt, die Republikaner halten sie am 20. und 27. November ab, die Sozialisten am 22. und 29. Jänner des kommenden Jahres. Abstimmen dürfen alle Wahlberechtigten, jedoch muss man sich bei den Republikanern zu den "republikanischen Werten der Rechten und des Zentrums“ bekennen und bei den Sozialisten zu den "Werten der Linken“. Außerdem ist pro Stimme und Wahlgang ein Euro fällig.

Wer sind denn nun diese unbeliebten Favoriten? Ist es womöglich Ex-Präsident …

… erraten! Nicolas Sarkozy, Staatspräsident von 2007 bis 2012, schien nach seiner Abwahl politisch erledigt zu sein. Bereits im ersten Jahr seiner Amtszeit war er bei einem Ranking aller französischen Präsidenten der Geschichte auf dem letzten Platz gelandet. 2011, ein Jahr vor seinem zweiten Antreten, zeigten sich die Franzosen in allen Punkten enttäuscht von seiner Politik. Sarkozy wollte einen "Bruch“ mit der herrschenden Politik vollziehen, doch davon war wenig zu spüren. Schlagzeilen machte er mit seinem JetSet-Leben an der Seite seiner neuen Ehefrau, Ex-Supermodel und Sängerin Carla Bruni. Bereits die Wahlnacht verbrachte er im Nobel-Restaurant "Fouquet’s“, den Urlaub an Bord der Luxusyacht eines befreundeten Industriellen. "Bling Bling“ nannten das die Medien, und das Volk reagierte schlecht gelaunt, zumal Sarkozys Versprechen von steigender Kaufkraft und anderen Wohltaten allesamt uneingelöst blieben.

Jetzt ist "Sarko“ wieder da. 2014 hat er die Parteiführung an sich gerissen, die Umbenennung in "Republikaner“ durchgeboxt und sein eigenes Image geschärft. Passend zu den Terroranschlägen verlangt er elektronische Fußfesseln für - nicht verurteilte - Verdächtige, und vergangene Woche deutete er an, ein Verbot des islamischen Kopftuchs in der Öffentlichkeit zu erwägen. Ex-Front-National-Chef Jean-Marie Le Pen fühlt sich Sarkozy politisch näher als seiner - mit ihm zerkrachten - Tochter Marine. In den Umfragen zu den Vorwahlen liegt Sarkozy stabil auf Platz zwei.

Und wer ist der andere Unbeliebte? Nicht etwa Jacques Chirac?!

Fast. Historisch Interessierte erinnern sich vielleicht noch an einen Premierminister, der unter Staatspräsident Chirac Mitte der 1990er-Jahre für Aufsehen sorgte: Alain Juppé, mittlerweile 71 Jahre alt, brachte damals mit seiner geplanten Sozialversicherungs- und Rentenreform die Bürger gegen sich auf. Massendemonstrationen legten das Land lahm, und nach nur zwei Jahren im Amt ging Juppé bei den Parlamentswahlen 1997 unter. Er galt als verhasster Technokrat, der ohne jede Emotion soziale Einschnitte verkündet hatte. Endgültig weg vom Fenster war Juppé jedoch, als die Justiz sich der Korruption in den Reihen der Konservativen annahm. Als zweiter Mann hinter dem damaligen Pariser Bürgermeister Chirac war Juppé mitverantwortlich dafür, dass Parteiangestellte Pseudojobs im öffentlichen Dienst erhielten. Juppé selbst hatte sich günstig zwei Wohnungen verschafft. Er wurde zu 14 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt und verlor für ein Jahr das passive Wahlrecht - er musste sein Amt als Bürgermeister von Bordeaux zurücklegen.

Es ist schwer zu glauben, aber zehn Jahre nach seiner Schlappe ist Alain Juppé die größte Hoffnung der Republikaner. Offenbar haben viele Wähler inzwischen vergessen, wie sehr sie den Polit-Veteranen einst verwünschten. Und was die Korruption betrifft, so hat sich die Interpretation durchgesetzt, Juppé habe für das "System Chirac“ gebüßt.

Politisch spricht einiges für Juppé. Er ist ein moderater Konservativer, der in den Vorwahlen Sarkozy stoppen und anschließend bei den Wahlen Marine Le Pen schlagen kann. Deshalb darf er im Falle einer Stichwahl mit den Stimmen vieler Linker rechnen.

Hat die Linke nicht auch einen unbeliebten Favoriten?

Das kann man wohl sagen. François Hollande hat seit seiner Wahl 2012 in puncto Unbeliebtheit neue Maßstäbe gesetzt. Während Nicolas Sarkozy auch zu seinen schlechtesten Zeiten wenigstens die Mehrheit seiner Parteianhänger auf seiner Seite hatte, kann der amtierende Staatspräsident längst nicht mehr auf die Unterstützung der Sozialisten zählen. 88 Prozent aller Wähler wollen laut Umfragen nicht, dass Hollande noch einmal antritt. Logische Folge: Egal, welche Gegenkandidaten abgefragt werden, Hollande würde es nicht in die Stichwahl schaffen. Bisher hat Hollande nicht offiziell bestätigt, dass er erneut kandidiert, ein Verzicht wäre jedoch ein sensationelles Eingeständnis des Versagens.

So etwas wie ein linker Hoffnungsträger ist nicht in Sicht?

Jein. Ex-Minister Arnaud Montebourg, Ex-Minister und wackerer Kämpfer gegen die Globalisierung, begeistert sehr linke Sozialisten und könnte Hollande hinter sich lassen. Sein Parteifreund, der EU-Kommissar Pierre Moscovici, hat ihm einst den Spitznamen "der Irre aus dem dritten Stock“ verpasst. Weiters: Manuel Valls, einst beliebter Innenminister, ist mittlerweile unbeliebter Premierminister. Schließlich: Emmanuel Macron, Ex-Wirtschaftsminister, kommt beim Volk immer noch gut an, gilt unter Sozialisten allerdings als "Liberaler“ oder "Ultraliberaler“. Allen Genannten gemein ist, dass sie nach derzeitigem Stand keine Chance haben, in die Stichwahl zu gelangen.

Gibt es eigentlich keine Frauen?

Doch. Nathalie Kosciusko-Morizet, gescheiterte Kandidatin für den Bürgermeister-Sessel in Paris, wird bei den Republikanern antreten, und Najat Vallaud-Belkacem, sozialistische Unterrichtsministerin, hat angedeutet, an den Vorwahlen der Sozialisten teilnehmen zu wollen. Beide sind chancenlos.

Und wie stark ist Marine Le Pen?

Die Front-National-Vorsitzende ist die einzige aussichtsreiche Kandidatin, die sich keiner Vorwahl stellen muss. Sie liegt in allen Umfragen konstant so gut, dass sie voraussichtlich den zweiten Wahlgang erreichen wird. Im ersten Wahlgang könnte sie Erste werden, derzeit liegt sie nur hinter Alain Juppé, falls dieser seine Vorwahlen gewinnt. Im zweiten Wahlgang jedoch scheint für Le Pen - wie einst für ihren Vater Jean-Marie Le Pen - Endstation zu sein. Sarkozy und Juppé würden sie besiegen.

Allerdings hat der Wahlkampf noch nicht begonnen. Und niemand weiß, ob die notorische Antipathie, die Sarkozy und Juppé in ihren langen, allzu langen Karrieren bereits entgegengeschlagen hat, sie nicht noch einholen wird.

Was kann man von den Franzosen lernen?

Unbeliebt ist das neue Schwarz.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur