Sonja Puntscher-Riekman

"Die Grünen riskieren nichts mehr"

Sonja Puntscher-Riekman, Politologin und ehemalige grüne Programm-Koordinatorin, über das Versagen der Grünen.

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INTERVIEW: CHRISTA ZÖCHLING

profil: Gibt es so etwas wie eine grüne Weltanschauung? Puntscher-Riekmann: Ja. Das Bestehen auf der Ökologiefrage war die große Errungenschaft der Grünen, die sie in allen Parteien durchsetzten. Im Zusammenhang mit Fragen der Frauen-, Dritte-Welt-, Friedensbewegung und der Demokratie war ein neues Gesellschaftsmodell entstanden. Ich war vor 30 Jahren dabei, als die Grünen ins Parlament einzogen. Ein Großteil der Abgeordneten hatte damals weder Büro noch Schreibtisch, nur ein Postfach. Mit dem Einzug der Grünen änderte sich das. Das Parlament wurde ein Arbeitsparlament.

profil: Im ersten Parteiprogramm der Grünen 1990 unter Ihrer Federführung stand der Begriff "Natur“ im Mittelpunkt der Debatte. Sie wollten "Ästhetik als Korrektiv der Marktwirtschaft“ einsetzen, etwa "gegen die Verhässlichung der Landschaft“. Sind die Grünen daran nicht gescheitert? Puntscher-Riekmann: Es ging um das Bewahren bestimmter Räume, auch urbaner Räume, denn die Grünen waren ja nicht ausschließlich Baumretter. Wir waren, wenn man so will, eine konservative Opposition gegen die Zerstörung durch Verwertungsinteressen des Kapitals, aber nicht nur, festgemacht an der Schönheit der Dinge, deren alltägliche Zerstörung auch durch Stadtplanung und Architektur wir beklagten. Die Kritik an unserem Entwurf, den ich gemeinsam mit Johannes Voggenhuber verfasst hatte, war heftig. Das ging bis zum Vorwurf des Faschismus mit dem Argument: Nur Faschisten und Nazis hätten die ästhetische Frage im Zusammenhang mit der Natur aufs Tapet gebracht. Für mich war es ein Versuch, die Frage zu beantworten: Worin gründet die Grüne Bewegung philosophisch? Im Nachhinein betrachtet war es ein illusorischer Versuch.

profil: Sie sagten damals, man dürfe den Heimatbegriff nicht den Rechten überlassen. Haben Sie sich das so vorgestellt wie den Wahlkampf von Alexander Van der Bellen mit Heimat, Österreich und Bilderbuch-Landschaften? Puntscher-Riekmann: Nein, die Begriffe werden hier vollkommen unkritisch verwendet. Vor solchen Bildern könnte auch der Herr Hofer stehen. Mich enttäuscht auch ein Slogan wie "Geliebtes Österreich“. Ich bin mir nicht sicher, ob man Österreich liebt oder ob es nicht eher regionale, urbane, dörfliche Räume sind, in denen man zu Hause ist. Die Grünen müssten sich fragen, wodurch sie sich auf diesem Terrain von rechten Parteien unterscheiden wollen. Heimat zu definieren, ist nicht einfach. Es ist ein Begriff, der einerseits viel weniger meint als die Nation und andererseits viel mehr bedeuten kann. Wenn Europäer die Welt bereisen, entdecken sie meist sehr rasch, wie sehr Europa ihnen Heimat ist. Warum definieren wir Heimat nicht als dieses Europa, das sich seit 60 Jahren als Einheit zu konstituieren versucht? Nur weil wir in Europa heute Probleme haben, geht man zurück in die Nation? Ich vermisse hier eine intellektuelle Auseinandersetzung.

Ich stelle seit Langem fest, dass die Grünen die politische Agenda nicht mehr bestimmen.

profil: Mit Europa kann man keine Wahlen gewinnen. Puntscher-Riekmann: Vielleicht, aber es muss trotz allem möglich sein, darüber nachzudenken. Ich bin Politikwissenschafterin, und meine erste Aufgabe ist es, die Welt zu betrachten und zu analysieren, was geschieht. Die Globalisierung hat die Welt verändert. Wir existieren nicht einfach innerhalb der Grenzen eines Staates - wie groß oder wie klein dieser Staat auch immer sein mag. Wir haben unsere Rechnung zu machen mit dem, was da draußen passiert.

profil: Abgesehen von Ökologie und Fragen des Lebensstils: Wo ist grüne Politik prägend? Puntscher-Riekmann: Ich stelle seit Langem fest, dass die Grünen die politische Agenda nicht mehr bestimmen. Sie vermitteln den Eindruck, bestimmte Lebensräume zu bewahren für eine bestimmte Klientel. Es ist ihnen nicht gelungen, die große soziale Frage im Lichte der Globalisierung zu thematisieren - das ist schwierig genug, aber es scheint gar nicht versucht zu werden. Überall dort, wo wir im Zuge der Eurokrise massive soziale Verwerfungen haben, sind die Grünen im Verschwinden.

profil: Sind die Grünen satt geworden? Puntscher-Riekmann: Wir debattierten in den 1980er-Jahren über die Wertschöpfungsabgabe und die Mindestsicherung, was dann nicht weiter verfolgt wurde. Es gab Protestaktionen wie das Entrollen einer Hakenkreuzfahne im Parlament. Das tat weh und erregte Aufsehen. Peter Pilz erzwang Untersuchungsausschüsse. Der Effekt waren freilich innerparteiliche Konflikte und die Strafe an der Wahlurne. Daraus wuchs offenbar die Sehnsucht, sich zu normalisieren, abzuschleifen. Die Grünen gewinnen heute Wahlen, allerdings mit meist kleinen Zuwächsen. Sie riskieren nichts mehr. Sie lassen vor allem keine Konflikte zu, sie haben die Programmarbeit und den intellektuellen Streit sistiert. Sie sind nicht mehr prägend - vielleicht mit Ausnahme der Migrations- und Flüchtlingspolitik.

profil: Auch hier sind NGOs präsenter als die Grünen. Puntscher-Riekmann: Ja, die Grünen sind eher präsent mit dem, was man als political correctness beschreiben kann, aber nicht mit Politik, die Einfluss hätte auf die Durchsetzung von Asylrecht oder auf Integrationsmaßnahmen.

profil: Sind die Grünen noch Avantgarde? Puntscher-Riekmann: Nein. Auf Anhieb fallen mir jetzt keine großen Debatten ein, die sie in jüngerer Zeit losgetreten hätten.

Puntscher-Riekmann, geboren 1954 in Bozen, Politologin, Philosophin, Leiterin des Salzburg Centre of European Union Studies, Vizepräsidentin des Forum Alpbach, war Koordinatorin des grünen Parteiprogramms 1990.

Christa   Zöchling

Christa Zöchling