Michael Häupl: „Bei Strache fehlt mir der Glaube“

Michael Häupl: „Bei Strache fehlt mir der Glaube“

Michael Häupl über den Wandel Wiens zur Weltstadt, seine Fehler beim Thema Migration und Knackwürste mit Brille.

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profil: Ihr Vorgänger Helmut Zilk war ein schillernder Zirkusdirektor, Sie ein Fiaker und Entertainer. Welchen Politikertypus wird Ihr Nachfolger Michael Ludwig verkörpern? Häupl: Das wird sich erst herausstellen. Mich hat man anfangs mit Erhard Busek verglichen und eher als kühlen Intellektuellen gesehen. profil: Busek selbst nannte sich … Häupl: … eine Knackwurst mit Brille, er war in besonderem Ausmaß zur Selbstironie fähig. Ich habe mich bemüht, das Gscheiterl nicht zu sehr heraushängen zu lassen. Michael Ludwig ist ein kluger Mensch. Er ist sicher anders als Erwin Pröll oder ich, wir beide waren einem guten Schmäh nie abhold. Wahrscheinlich ist die Zeit der Entertainer in der Politik vorbei. Wenn ich mir die jetzigen Landeshauptleute anschaue: Die machen ihre Arbeit sehr gut, werden geschätzt – haben aber bestenfalls auf den zweiten Blick Humor. profil: Als Sie Bürgermeister wurden, gab es keine E-Mails, nur wenige, kiloschwere Mobiltelefone. Seither wurde das Tempo der Politik rasant schneller. Ist das ein Vorteil? Häupl: Je mehr man sich von der Kurzlebigkeit und der Atemlosigkeit einfangen lässt und je weniger man nachdenkt, auf welchen Überlegungen die eigene Politik basiert – desto kürzer wird die politische Karriere sein.

profil: Matthias Strolz von den NEOS hatte nach wenigen Jahren genug. Ist Politik ein Menschenfresserjob? Häupl: Unter Garantie, wenn man nicht aufpasst. Es ist ein gesundheitsfeindlicher Job, es ist ein beziehungsfeindlicher Job, in jederlei Hinsicht, auch zu Freunden oder Kindern. Ich habe selber lernen müssen, sonst wäre ich nicht zum dritten Mal verheiratet. Dagegen hilft nur: Sich nicht treiben lassen und größtmöglich authentisch sein. profil: Kaum jemand bleibt so lange im Amt wie Sie. War es ein Fehler, mit der Übergabe so lange zu warten? Häupl: Nein. profil: In Ihrem ersten Wahlkampf im Jahr 1996 plakatierte die FPÖ: Wien darf nicht Chicago werden. Wurde Wien Chicago? Häupl: Eher wurde Chicago Wien, zum Glück für meine amerikanischen Freunde: Eine demokratisch regierte Stadt im mittleren Westen, umgeben vom Homeland von Donald Trump. Ich war vor zwei Jahrzehnten das erste Mal in Chicago und habe von dort mitgenommen: Zu einer Großstadt gehört, allen gewisse Freiheiten zu lassen. Jeder soll sich etwa anziehen, wie er will, von mir aus auch ein Kopftuch. Ich habe 1968 maturiert, auch uns wollte man vorschreiben, was wir tragen sollen. Ich habe mich lange gegen Krawatten gewehrt. Helmut Zilk hat mir meine erste Krawatte gekauft, als ich Stadtrat wurde.

Alt und neu: Michael Häupl mit seinem Nachfolger Michael Ludwig

profil: Wien wuchs in Ihrer Amtszeit um 350.000 Einwohner – mit allen Problemen, die damit einhergehen. Häupl: Ich bin 1969 zum Studieren nach Wien gekommen. Damals wurden in Wien spätestens um 22 Uhr die Gehsteige hochgeklappt. Der Höhepunkt des Faschings war das Ökista-Gschnas, eine nach heutigem Maßstab äußerst betuliche Veranstaltung. Wenn wir – wie man bei den Deutschen sagt – einmal ein Fass aufmachen wollten, also wirklich einen draufmachen, sind wir nach München gefahren. Jetzt kommen die Münchner nach Wien, um ordentliche Feste zu feiern. profil: Das Wachstum bringt Probleme, die U-Bahn etwa ist manchmal proppenvoll. Wächst Wien zu schnell? Häupl: Am Anfang meiner Bürgermeisterzeit hatte Wien Einwohnerverlust und ist geschrumpft. Das hat mir viel mehr Sorgen bereitet. Das Wachstum bereitet mir nicht Sorgen, aber es ist eine enorme Herausforderung, für Verkehr, Wohnungen, Freizeit, Bildung.

profil: Und Migration. Sie gründeten 1996 ein Integrationsressort, das Thema Zuwanderung und Integration zieht sich durch Ihre Amtszeit. Haben Sie bei Problemen zu lange weggeschaut? Häupl: Ich glaube nicht, dass wir weggeschaut haben. Gerade von der FPÖ haben wir viel Kritik eingeheimst, weil wir Integrationsmaßnahmen gesetzt, Sprachkurse angeboten, mit Sprachkursen auch Werte des Zusammenlebens vermittelt haben. Die FPÖ hat uns immer vorgeworfen, dass wir bei der Integration scheitern – und sich damit in der öffentlichen Meinung teils durchgesetzt. Die FPÖ ist janusköpfig, sie tut alles, damit Integration nicht stattfindet – um danach zu beklagen, dass Integration nicht stattfindet. profil: In Wien regiert nicht die FPÖ, sondern die SPÖ. Sie werden ja nicht behaupten, dass es keine Probleme mit Zuwanderung und Integration gibt. Wo haben Sie Fehler gemacht? Häupl: Vielleicht haben wir manches zu spät gesehen, wie das Thema, dass jedes Kind, das aus dem Kindergarten in die Volksschule kommt, Deutsch können muss. Das ist uns heute weitestgehend gelungen. Durch Flüchtlingsströme und den Familiennachzug gab es aber immer mehr Quereinsteiger ohne Deutschvorkenntnisse, für die wir dann temporär Deutschklassen eingerichtet haben. Das hat alles stattgefunden – aber mit zu großer Verzögerung.

Ich war weder ein Königsmörder noch ein Königsmacher.

profil: Warum tut sich die SPÖ seit Jahrzehnten mit dem Thema Migration so schwer? Häupl: Sie tut sich damit nicht schwer, es gibt ja seitenweise Beschlüsse dazu. Die Frage war immer: Wie sehr setzt man sich damit durch, dass kein muslimischer Mann seiner Frau verbieten darf, Deutsch zu lernen, dass kein muslimischer Vater seiner Tochter verbieten darf, in die Schule zu gehen? profil: Sie wollten einmal jeden Vater am Ohrwaschel packen, der seine Tochter am Schulbesuch hindert. Häupl: Soweit ich seiner habhaft werde, mache ich das auch. Ich habe diese Sprache gewählt, weil die Botschaft auch in der Vorstadt verstanden werden sollte. Diese Prinzipien müssen wir durchsetzen, das ist in der Praxis nicht immer so leicht. profil: Wie stark ist der Konflikt zwischen rechts und links in der SPÖ? Häupl: Der hat in der Sozialdemokratie Tradition, die entscheidende Frage ist, wie man den Ausgleich schafft. Das geht bei inhaltlichen Differenzen gut. Womit ich als Kind der Aufklärung schwer umgehen kann, sind emotionelle Auseinandersetzungen.

profil: Die von der „Kronen Zeitung“ befeuert werden. Häupl: Ich habe immer gesagt: Wenn ich von der „Krone“ gelobt werde, muss ich mir Sorgen machen. Vor dem Problem stand ich nicht oft. Im Ernst: Ich habe die völlig überzogene und sehr persönliche Kritik in zwei Boulevardblättern insbesondere an den Frauen in der Stadtregierung nie verstanden. profil: War es ein Fehler, die Boulevardmedien mit Inseraten zu füttern? Häupl: Wir füttern niemanden, wir haben keine Presseförderung. profil: Aber den Presse- und Informationsdienst, der Millionen an Inseraten schaltet. Häupl: Und zwar dort, wo die Leser sind. Ich kann nichts dafür, dass drei Zeitungen die meisten Leser haben. Ich glaube allerdings, dass mancher Stil ohnehin nicht gut ankommt: Die „Krone“ ist in Wien eben nicht mehr die meistgelesene Zeitung. Nicht ohne Grund. profil: Sie sagen oft, dass Sie sich seit 20 Jahren auf ein Leben ohne die von der Demokratie geliehene Macht vorbereiten. Ist der Wiener Bürgermeister der mächtigste Politiker Österreichs? Häupl: Wenn man über gewisse Erfahrung verfügt, wird man in der eigenen Partei und darüber hinaus eher gehört. Ich war aber weder ein Königsmörder noch ein Königsmacher.

Michael Häupl: "Wahrscheinlich ist die Zeit der Entertainer in der Politik vorbei."

profil: So richtig recht machen konnte es Ihnen kein SPÖ-Chef. Welcher war Ihnen der liebste? Häupl: Bruno Kreisky. profil: Da waren Sie nicht Bürgermeister. Häupl: Aber VSStÖ-Vorsitzender, und wir haben es nicht leicht gehabt mit Kreisky. Er wollte mich aus der SPÖ werfen, weil ich gegen das Atomkraftwerk Zwentendorf war. Aber bevor Sie mich noch einmal fragen: Grundsätzlich war ich allen SPÖ-Chefs gegenüber loyal. profil: Nun ja. Im Jahr 2000 wären Sie selbst fast SPÖ-Bundesparteichef geworden. Häupl: Damals war ich einer der erfahreneren SPÖ-Politiker, und manche plädierten für mich als Bundes-SPÖ-Chef. Aber ich sah meine Aufgabe in Wien – auch, weil ich die Scharte meiner Wahlniederlage von 1996 ausmerzen wollte, was mir 2001 auch gelungen ist. Niemand kommt, erleidet eine Niederlage und geht wieder, ohne dass er nicht alles versucht, das auszubessern. profil: Nach der Logik müsste Christian Kern bei der nächsten Nationalratswahl antreten. Häupl: Selbstverständlich. Er hat bei seiner Wahl als Parteivorsitzender zugesagt, dass er nicht nur für die sunny side zuständig ist, sondern auch für schwierige Zeiten. Ich finde das sehr gut, auch charakterlich, dass er zu dem Versprechen steht. Natürlich braucht es gewisse Zeit, um von Regierungs- auf Oppositionspartei umzuschalten, aber das gelingt immer besser.

profil: Quer durch Europa haben Sozialdemokratien Probleme. Ist das sozialdemokratische Jahrhundert vorbei? Häupl: Der alte Herr liberale Professor aus Deutschland feiert fröhliche Urstände. Die Grundhaltung von Ralf Dahrendorf war ja, dass die Sozialdemokratie ihre Aufgabe erfüllt hat und nicht mehr gebraucht wird. Der Auffassung bin ich überhaupt nicht. Das Problem der Sozialdemokratie wurzelt eher darin, dass sie nicht hinreichend gegen den Strom des Neoliberalismus geschwommen ist. profil: Wie hätte das konkret aussehen sollen – etwa in der Finanzkrise oder beim Thema Flüchtlinge? Häupl: Auch jene Sozialdemokraten, die kein neoliberales Mimikry betreiben, hätten Banken retten müssen – aber unter anderen Bedingungen. Und in der Flüchtlingspolitik braucht es deutliche Akzente: Ja, wir wollen helfen, aber wir wollen auch wissen, wem. Es braucht Grenzkontrollen, und das hat die EU zu organisieren – genauso wie die Verteilung der Flüchtlinge: Mein Freund, der konservative Bürgermeister von Brünn, hat mir ein paar Hundert Flüchtlinge abgenommen. Zwei Wochen später waren nur mehr fünf davon in Brünn, alle anderen waren weg, wahrscheinlich nach Deutschland. Das zeigt: Man muss Teile des Sozialsystems europaweit neu organisieren.

Die Worte höre ich wohl, allein mir fehlen die Taten – daher fehlt mir bei Strache der Glaube.

profil: Sie waren für soziale Staffelung von Sozialleistungen in Österreich. War es ein Fehler der SPÖ, das nicht umzusetzen? Häupl: Ich will ja nicht zum Abgang den Obergescheiten spielen, aber ja, ich würde das für vernünftig halten. In der Klasse meines Sohnes zum Beispiel gibt es eine Reihe von Kindern, die Schülerfreifahrt und Gratisschulbuch gut brauchen können – während ich das für meinen Sohn genauso wie andere Eltern bezahlen hätte können. profil: Bundeskanzler Sebastian Kurz punktet mit dem Sozialstaats- und dem Migrationsthema. Warum hat die SPÖ kein Talent wie Kurz? Häupl: Gott sei Dank! Schauen wir, wie lange Kurz erfolgreich ist. Wenn er etwa bis Juni die Neuregelung der Mindestsicherung durchziehen soll, frage ich mich: Wir leben schon noch in einem Rechtsstaat, oder? Das ist allein vom parlamentarischen Fahrplan her nicht möglich. Wenn man nur redet, dann kann man Macht erlangen, kurz erfolgreich sein, aber es dauert nicht lange.

profil: Mit Vizekanzler Heinz-Christian Strache haben Sie etwas gemeinsam: Sie waren beide in einer schlagenden Burschenschaft. Häupl: Bei mir ist das 50 Jahre her – dann habe ich mich gut begründet dort verabschiedet. profil: Strache beginnt sich zu distanzieren. Trauen Sie auch ihm Läuterung zu? Häupl: Da gibt es selbst unter meinen jüdischen Freunden geteilte Meinungen. Grundsätzlich sollte man auch dem Herrn Vizekanzler das Recht auf Änderung einräumen. Läuterung klingt mir gar katholisch, aber auch Strache kann gescheiter werden. Nur sehe ich dafür wenig Belege. Die Worte höre ich wohl, allein mir fehlen die Taten – daher fehlt mir bei Strache der Glaube. profil: Sie waren auch der oberste Zitatenschleuderer der Republik. Sehen Sie einen Nachfolger? Häupl: Es wird ja noch den einen oder anderen lustigen Typen geben, der nicht leidgeprüft unter der Schwere des Amtes steht, unter dem er täglich zusammenzubrechen droht. Aber nicht alles, was ich so gesagt habe, war auch gescheit.

Michael Häupl: „Ich bin 1969 nach Wien gekommen. Damals wurden um spätestens 22 Uhr die Gehsteige hochgeklappt.“

profil: Wen haben Sie etwa mit „mieselsüchtigen Koffern“ gemeint – die SPÖ? Häupl: Das war keine Sternstunde meiner Rhetorik. Ich werde mich hüten, das nachdrücklich zu erläutern. profil: Manche Spitzenpolitiker klagen, dass sie nach ihrem Rückzug Dinge neu lernen müssen: Einkaufen, Autofahren, Telefonieren. Wie gehen Sie damit um? Häupl: Ich kann telefonieren, ich kann Auto fahren, insbesondere mit meinem VW-Käfer. profil: Für den kriegen Sie noch ein Pickerl? Häupl: Der ist ein 67er-Baujahr, der kriegt immer ein Pickerl, weil er von einem Spezialisten für Oldtimer in Schuss gehalten wird. Der VW-Käfer ist das letzte Auto, mit dem ich mich ausgekannt habe. Und ich kann sehr gut einkaufen, denn wer gut kochen kann, kann auch gut einkaufen.

profil: Haben Sie Angst vor der Leere im Terminkalender? Häupl: Herrlich. Wenn mir etwas nicht abgehen wird, dann diese ständige 24-stündige Verfügbarkeit. profil: Wird es in Wien jemals einen FPÖ-Bürgermeister geben? Häupl: Das hoffe ich nicht, und das glaube ich nicht. Dazu ist diese Stadt zwischenzeitlich – bei allen Matschkereien – viel zu weltoffen geworden. Die Wiener sind in ihrer Mehrheit Weltbürger. Und das ist gut so. profil: Zum Schluss ein Tipp für den Nachfolger: Muss man sich als Wiener Bürgermeister dümmer stellen, als man ist? Häupl: Man muss die Knackwurst mit Brille nicht raushängen lassen. Das einzige Wichtige, was ich jedem Politiker anraten kann, ist authentisch bleiben. Wenn Politiker zu Schauspielern werden, die fremde Texte sprechen, dann wird es heikel.

Interview: Eva Linsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin