Anti-Teuerungspaket: Her mit der Marie

Ein Sozialstaat, der nur an Ärmere umverteilt, wird langfristig aufhören, einer zu sein. Ein Streitgespräch.

Drucken

Schriftgröße

Österreich ist ein Land der sozialen Wärme, nicht der Kälte. Meint die Arbeiterkammer. In ihrem „Wohlstandsbericht 2021“ hält die AK fest, „bei der Reduktion von Armut und Ausgrenzung“ verlaufe „die längerfristige Entwicklung in Österreich im Vergleich zu anderen EU-Ländern positiv“. Mit 34 Prozent seiner Wirtschaftsleistung gibt Österreich auch überdurchschnittlich viel für Sozialleistungen aus. Laut Armutskonferenz würde die Armutsgefährdung dadurch fast um die Hälfte verringert. „Die Umverteilungseffekte der öffentlichen Ausgaben sind beträchtlich“, schrieb die WIFO-Ökonomin Margit Schratzenstaller.

Finanziert wird das alles durch Sozialversicherungsbeiträge und Steuern. Rund 73 Prozent der österreichischen Haushalte zahlen mehr in das Sozialsystem ein, als sie herausbekommen. Heißt im Umkehrschluss: Die ärmsten 27 Prozent erhalten mehr, als sie eingezahlt haben. Fazit: Wir kümmern uns um unsere Armen und Armutsgefährdeten, in guten wie in schlechten Zeiten.

Derzeit sind sie besonders schlecht. Arme leiden unter der Teuerung besonders. Daher sollen sie von den Maßnahmen der Regierung auch stärker profitieren – aber nicht sie allein. Etwa zwei Drittel der österreichischen Haushalte sind der Mittelschicht zuzurechnen. Beschränkt der Staat seine Inflationshilfe auf die Armen, droht vor allem der unteren Mittelschicht der soziale Abstieg. Betroffen davon wären auch jene, die es von unten in die Mitte geschafft haben und von Netto-Empfängern zu Netto-Zahlern wurden.

So sehen das auch die Grünen. Das jüngste Anti-Teuerungs-Paket der Koalition begünstigt daher auch die Mittel- und – huch! – Oberschicht. Kritiker nennen das „Gießkanne“. Man kann es aber auch als „Gerechtigkeit“ bezeichnen. Ab einem Bruttojahreseinkommen von rund 45.600 Euro zählt man laut Berechnungen des Thinktanks Agenda Austria zum obersten Viertel der Einkommensbezieher in Österreich. Diese Gruppe zahlt drei Viertel des gesamten Lohnsteuer-Aufkommens. Nur ein kleiner Teil davon ist tatsächlich im landläufigen Sinne „reich“.

Ein Sozialsystem, das laut Statistik Austria 120 Milliarden Euro jährlich umverteilt, wird auf Dauer nur funktionieren, wenn auch jene etwas davon haben, die es mit beträchtlichen Abgaben finanzieren. Profitieren auch Netto-Zahler von staatlichen Transfers, fällt ihnen die Solidarität mit den Ärmeren leichter. Ohne Gegenleistung würden sie eines Tages politischen Druck aufbauen, um die Milliarden-Umverteilung an die Ärmeren zu reduzieren. Im Ergebnis würden dann auch die Armen weniger Geld erhalten.

Kluge Sozialdemokraten wie Bruno Kreisky wussten schon immer, dass Solidarität keine Einbahnstraße ist und das stabilste Sozialsystem jenes ist, das möglichst viele fördert. Plakativ formuliert: Wenn sie prall gefüllt ist, hilft eine Gießkanne zwar allen, den Ärmeren aber umso mehr. Das Alternativmodell wäre die Schweiz, die ihren Bürgerinnen und Bürgern deutlich weniger Steuern abknöpft, sie in Krisen allerdings auch weniger unterstützt. Für dieses liberale Konzept gibt es hierzulande keine politische Mehrheit.

Der österreichische Sozialstaat wird daher auch weiterhin nicht nur von oben nach unten, sondern auch in die Mitte umverteilen. Die jetzige Verwerfung durch Teuerung, Pandemie und Krieg ist freilich so groß, dass Wohlstandsverluste trotz aller staatlichen Unterstützungen unvermeidlich sind. Auch diese Verluste sollten zwischen allen Gesellschaftsschichten verteilt werden. Das nennt sich soziale Fairness.

Anders als Gernot Bauer sieht es profil-Redakteur Clemens Neuhold, der sich gegen ein pauschales Antiteuerungspaket ausspricht. Seinen Text können Sie hier lesen.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.