Interview

Generation Z: Eigentum ist unleistbar, warum dann noch viel leisten?

Die linke Influencerin Barbara Blaha und der wirtschaftsliberale Ökonom Lukas Sustala diskutieren im großen Cash-and-Clash-Streitgespräch, warum Eigentum oft nur noch für Erben leistbar ist

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Gepflegter Streit: profil lud die Kontrahenten Barbara Blaha und Lukas Sustala vergangene Woche zum Streitgespräch ins Café Z im 15. Wiener Gemeindebezirk. 

Viele Unternehmer beklagen, dass junge Menschen kaum noch Vollzeit arbeiten wollen. Ist es verständlich, wenn sie lieber im Hier und Jetzt leben, anstatt sich wie die Eltern fürs Eigenheim abzurackern, das dann eh nicht mehr leistbar ist?
Sustala
Der Trend, weniger zu arbeiten, ist eindeutig, besonders bei Arbeitnehmern unter 30. Wenn sie durch diese Work-Life-Balance weniger schnell ausbrennen, ist das gut. Wenn sie Arbeitsleistung reduzieren, weil sie sagen, ich kann mir in diesem Land eh nichts mehr aufbauen, dann ist das schlecht. Am Traumbild Eigenheim, Familie, Karriere hat sich wenig geändert. Nur an der Einschätzung, wie realistisch der Traum noch ist. Zwei Drittel der jungen Menschen sind der Meinung, in diesem Land kann ich mir mit Leistung kein Eigentum mehr aufbauen, geht aus unserer jährlichen Umfrage hervor. Wenn die Erfüllung der eigenen Wünsche für die "Generation Krise" unrealistisch wird, setzt man andere Prioritäten, kümmert sich mehr um die Work-Life-Balance, reist mehr, legt im Sommer eine längere Arbeitspause zwischen zwei Jobs ein. Lauter Dinge, die für die Eltern noch nicht denkbar waren.
Mit "Generation Krise" ist die Generation Z gemeint, also alle Jahrgänge ab etwa 1990.
Blaha
Die Entwicklung hin zu weniger Wochenarbeitsstunden haben wir zu allen Zeiten gehabt. Der einzige Unterschied ist: Wir Arbeitnehmer:innen schaffen den überfälligen nächsten Schritt nicht mehr-runter auf 35 Stunden. Derzeit geht die durchschnittliche Arbeitszeit nur deswegen zurück, weil die Menschen mehr Teilzeit arbeiten. Damit verzichten sie auch auf einen Teil des Lohns, und das ist ein Problem. Dabei bräuchte es eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich. Außerdem: So drastisch ändern sich die Arbeitszeiten nicht. Journalisten kennen offenbar viele Menschen, die sagen, sie arbeiten ab sofort nur noch 20 Stunden die Woche und machen die restliche Zeit Yoga. Deswegen schreiben sie so oft darüber. Die Zahlen geben das aber nicht her. Es gibt bei den unter 35-Jährigen keinen Trend zur 20-Stunden-Woche. Ab 24 Jahren arbeiten die Leute genauso wie Mitte 30 oder Mitte 40.
Warum fällt die zitierte Umfrage, ob sich Leistung noch lohnt, so fatalistisch aus?
Sustala
Ein Hauptgrund für diesen fehlenden Zukunftsoptimismus ist aus meiner Sicht die Tatsache, dass der Staat von jedem verdienten Euro 50 bis 60 Cent an Steuern und Abgaben abzwackt. Wer heute Teil der Mitte ist, für den/die werden mehr als 50 Prozent Steuern und Abgaben fällig. Das waren vor 50 Jahren noch 35 Prozent.
Blaha
Das ist ja eine lustige Rechnung, die du da anstellst. Wenn wir jetzt wieder auf die Lohnnebenkosten von damals runtergehen würden, dann hätte ich netto im Monat wie viel mehr in der Tasche? 50 oder 60 Euro? Und damit soll ich mir dann Wohneigentum finanzieren? Das ist doch ein Märchen.
Sustala
Zehn Prozent Einkommenseffekt, das sind schon wesentlich mehr als 50 Euro in Österreich. Wir reden über rund 500 Euro im Monat für den durchschnittlichen Vollzeitverdiener.
Blaha
Ein Wort noch zu den Unternehmen, die sich über die Arbeitsmoral der Jungen beschweren: Den Wunsch, weniger zu arbeiten, sehen wir nicht nur bei Jungen, sondern auch bei Eltern, die es zwischen Kindern und Job zerreißt. Die Unternehmer sollten besser auf die Bedürfnisse der potenziellen Mitarbeiter eingehen, anstatt sich zu beschweren.
Wie sehen Sie den Konnex zwischen Eigentumspreisen und der Bereitschaft, sich dafür noch auszupowern?
Blaha
Eigentum war für die große Mehrheit der Bevölkerung schon immer Luxus. Vor 20 oder 30 Jahren konnten sich die Leute auch nicht locker ein Eigenheim hinstellen. Heute sind die gestiegenen Mieten unser wahres Problem. Ich wohne selbst zur Miete. Allein in diesem Jahr setzte es wegen der Rekordteuerung 16,5 Prozent Mieterhöhung, weil die Vermieter die Kosten voll an die Mieter weitergeben, was skandalös ist. Diese Mietpreise sind immer weniger tragbar. Und das macht Angst. Denn Wohnen ist ein Grundbedürfnis und keine Ware. Lukas' Antwort lautet: Hin zum Eigentum. Ich sage: Hin zum leistbaren Wohnraum. Der soziale Wohnbau in Wien mit seiner 100-jährigen Geschichte ist der Grund, warum die Stadt leistbarer ist als Berlin, München und andere Großstädte in Europa. Davon brauchen wir noch mehr.
Sustala
Treffsicher ist das schon länger nicht. Die ärmsten Wiener leben in privaten Wohnungen, weil die Wohnungen im Gemeindebau oder der Genossenschaft meist schon belegt sind. Und gerade auch die Jungen kommen nicht so einfach in diesen subventionierten Wohnraum hinein wie jene, die schon lange in Wien sind. Damit haben wir eine signifikante Alterskluft am Mietmarkt.
Blaha
Der Zugang verbessert sich, je mehr neu gebaut wird.

 Das Eigenheim schützt vor Inflation und ist das zentrale Asset der Mittelschicht, die in Österreich viel mehr Steuern zahlt als anderswo.

Lukas Sustala

Sustala
Ich halte es gerade jetzt in der Inflationskrise für ein großes Problem, dass wir eine so niedrige Eigentumsquote haben. Andere Länder mit ähnlich gut ausgebautem Wohlfahrtsstaat haben nicht wie wir 50 Prozent Eigentumsquote, sondern 60,70 oder 80 Prozent. In Skandinavien ist Eigentum kaum aus der Mitte der Gesellschaft wegzudenken, das gehört dort einfach dazu. Das Eigenheim schützt vor Inflation und ist das zentrale Asset der Mittelschicht, die in Österreich viel mehr Steuern zahlt als anderswo. Dennoch ist es für sie in den letzten 50 Jahren schwieriger geworden, Immobilien zu finanzieren. Und das liegt-dabei bleibe ich-auch daran, dass die Mitte zu viel Steuern und Abgaben zahlt.
Blaha
Weniger Steuern und Abgaben heißt weniger Sozialstaat und weniger Geld für den sozialen Wohnbau. Dafür kannst du mich nicht begeistern. Warum ist die Erzählung der letzten 60 Jahre-"Wenn du nur genug leistest, dann kannst du alles hinkriegen"-brüchig geworden? Nicht, weil die Steuern zu hoch sind, sondern weil die realen Einkommen seit über 20 Jahren stagnieren. Und weil in diesem Land nicht Leistung zählt, sondern ob du in den Reichtum und das Netzwerk vom Papa hineingeboren wirst. Dass Seilschaften mehr zählen als Können, zeigen die politischen Korruptionsskandale gerade wunderbar.
Sustala
Vor 50 Jahren hat SPÖ-Bundeskanzler Bruno Kreisky sein Programm "Leistung, Aufstieg, Sicherheit" genannt. Das vermittelte den Menschen dieses Gefühl: Ihr könnt euch etwas aufbauen. Gerade links der Mitte geht es in Debatten aber fast nur noch darum, den bestehenden Kuchen zu verteilen, anstatt ihn größer zu machen.
Blaha
Da muss ich dir grundlegend widersprechen. Dein Leistungsbegriff treibt mir ein Schaudern über den Rücken. Wenn du von Leistung sprichst, hast du weiße Akademiker aus guten Einkommensverhältnissen im Blick.
Sustala
Aufstieg und Leistung sind keine Frage der Hautfarbe, sondern von Engagement und Unternehmertum.

Die wahren Leistungsträger sitzen unten, nicht oben.

Barbara Blaha

Blaha
Das ist doch ein Märchen. Kein Bauhackler, und wenn er noch so viel leistet, wird Millionär. Du willst die Gruppe der Unternehmer steuerlich noch mehr entlasten. Gerade die Pandemie hat doch gezeigt, wer die Leistungsträger sind: die Reinigungskräfte im Krankenhaus, Supermarktkassiererin, der Fahrer, der die Milch gebracht hat, der U-Bahnfahrer, die Kindergärtnerin. Die wahren Leistungsträger sind Menschen, die hackeln bis zum Anschlag und dann mit 1600 Euro heimgehen. Die wahren Leistungsträger sitzen unten, nicht oben.
Sustala
Die sitzen in der Mitte.
Blaha
Nein, unten. Die Mitte verdient durchschnittlich 2000 Euro.
Frau Blaha, warum tun sich auch Leistungsträger heute schwerer, Eigentum zu erwerben?
Blaha
Weil wir systemrelevante Jobs schlecht bezahlen. Besonders jene, die hauptsächlich Frauen machen.
Sustala
Dass dich mein grundliberales Verständnis von Leistung zum Schaudern bringt, find ich schwierig. Aber sei's drum. Warum bringt es dich nicht zum Schaudern, dass Mindestlohnbezieher heute um 15 Prozentpunkte mehr an Steuern und Abgaben zahlen als vor 50 Jahren?
Blaha
Wenn du sagst, Arbeit ist zu hoch besteuert, sage ich: Ja! Aber ich frage dich dann: Warum besteuern wir nicht endlich Vermögen, Unternehmensgewinne und Erbschaften? Dann kann die Steuer auf Arbeit sinken, und wir können auch Schlüsseljobs im öffentlichen Sektor besser entlohnen.
Sustala
Wir besteuern Unternehmen doch längst. Und wir können auch gerne über eine höhere Steuer auf Grund und Immobilien reden. Immobilien sind immobil, die können vor der Steuer nicht ins Ausland weglaufen.
 
Blaha
Und um die Erbschaftssteuer schwindelst du dich herum.
Reden wir doch kurz darüber. Der Tod des Multimilliardärs Didi Mateschitz hat eine Debatte über die Erbschaftssteuer ausgelöst.
Sustala
Ich habe meine Prioritäten aufgezählt. Die Grundsteuer wäre der größte Hebel für ein gerechteres Steuersystem. Die Erbschaftssteuer, über die wir hier in Österreich so leidenschaftlich und so simpel diskutieren, würde-abgesehen von einzelnen Jahren mit Supererbschaften-ein paar Hundert Millionen Euro bringen. Die jährlichen Staatsausgaben betragen 110 Milliarden Euro. Das ist doch eine Phantomdebatte.
Blaha
Gerechtigkeit ist mehr als die Frage, wie viel Geld am Ende rausschaut. Wobei eine Erbschaftssteuer wie etwa in Südkorea allein im Fall Mateschitz mehrere Milliarden eingebracht hätte. Insofern gut, dass wir über die Erbschaftssteuer diskutieren. Sie ist ein schönes Beispiel für den Leistungsbegriff der Liberalen. Nachkommen, deren einzige Leistung es war, geboren zu sein, sollen nichts fürs Erbe zahlen? Als Liberaler, für den nur die eigene Leistung zählt, müsstest du für eine hundertprozentige Erbschaftssteuer sein.
Sustala
Wir könnten jetzt darüber philosophieren, wie viel Leistung einer Familie in einem Erbvermögen steckt. Wenn ich die Lohnsteuer kräftig senken will, sind ordentliche Steuern auf Grund und Boden der bessere Weg. Diese werden übrigens auch auf die geerbten Wohnungen und Häuser fällig.

"Erben ist immer wichtiger geworden. Wer hat mit 30 Jahren schon genug angespart, um das Eigenkapital für den Kredit zu stemmen?"

Wie wichtig sind Erbschaften mittlerweile, um sich Eigentum anzuschaffen?
Blaha
In Wien haben sich die Immobilienpreise in den letzten 15 Jahren je nach Bezirk verdreifacht bis vervierfacht. Das ist eine rasante Entwicklung, bei der die Realeinkommen nicht mitkommen. Wer nicht erbt oder beschenkt wird, hat keine Chance mehr.
Sustala
Erben ist immer wichtiger geworden. Wer hat mit 30 Jahren schon genug angespart, um das Eigenkapital für den Kredit zu stemmen? Strengere Kreditrichtlinien haben den Zugang zuletzt noch weiter erschwert.
Blaha
Deswegen rede ich lieber über erschwingliche Mietwohnungen im sozialen Wohnbau. Städte sollten ihre Flächen für den sozialen Wohnbau zweckwidmen, anstatt sie privaten Investoren zu überlassen. Das Haus am Land ist nebenbei bemerkt ökologisch ein Problem, wenn dafür immer mehr Boden versiegelt wird.
Sustala
Diese Öko-Bilanz sehe ich nicht so eindeutig. Es war für viele nötig, aus der Stadt zu ziehen, um sich ihren Wohntraum auch leisten zu können. Ein Teil des Wohnungsproblems in der Stadt wird gerade gelöst. Die massive Lücke an Wohnraum in den Ballungsräumen hat sich durch den Bau-Boom der vergangenen Jahre deutlich verkleinert.

"Warum besteuern wir nicht endlich Vermögen, Unternehmensgewinne und Erbschaften?" 

Legen sich die Jungen noch ins Zeug fürs schönere Wohnen? NEOS-Sozialsprecher Gerald Loacker meinte: "Die Leute wollen nix mehr arbeiten."
Sustala
Das trifft nicht für jeden zu. Es gibt einige, die sich ihre Karriere wie vor 50 Jahren aufbauen. Andere drängen stärker in die Selbstständigkeit, weil sie erkannt haben, dass eine normale Anstellung keine großen Sprünge mehr ermöglicht. Und dann gibt es auch jene, die sich mit ein bisschen Arbeit plus Sozialleistung durchwurschteln, weil sie Vollzeit auch nicht viel mehr bekommen würden und der Staat diesen Fehlanreiz schafft. Und das kann man ihnen gar nicht vorwerfen. Dann studiert man halt langsamer und arbeitet länger nebenher Teilzeit. Ich würde aber nie einer ganzen Generation Faulheit unterstellen.
Blaha
Danke für die Klarstellung. Die faule Jugend hat ja schon Sokrates beklagt. Ich spreche generell nicht gerne über die Generation. In ihr steckt der Erbe, der es heute noch besser hat als sein Vater; die junge Lehrerin, die mehr strauchelt als ihre Mutter; der Syrer, der 2015 ins Land kam und noch ganz real vom Aufstieg träumen kann. Jene, die jetzt oben sind, werden oben bleiben. Was am stärksten auffällt, ist die Tatsache, dass Leute stärker aus ihren erlernten Jobs abwandern. Die legen sich aber nicht auf die faule Haut, sondern suchen sich besser bezahlte Jobs mit besseren Arbeitsbedingungen.
Unternehmen sollen mehr zahlen, damit sie Mitarbeiter finden, die weniger arbeiten wollen. Wie geht sich das noch aus für den Wirtschaftsstandort?
Blaha
Wir haben riesige Reserven, die wir mobilisieren können. Dass wir es uns als Hochindustrieland leisten, Frauen von Mitte 20 bis Mitte 30 ganz heim oder in die Dauerteilzeit zu schicken, weil der Kindergartenplatz bis 17.00 Uhr fehlt, das ist crazy.
Sustala
Diese Mobilisierung, die du anspricht, muss uns auch deswegen gelingen, weil sonst das Pensionssystem kippt. Aufgrund der demografischen Entwicklung kommen immer mehr Pensionisten auf immer weniger Werktätige. Bald geht jeder vierte Euro aus dem Steueraufkommen direkt an die Pensionisten. Dieses Geld fehlt für so wichtige Dinge wie die Kinderbetreuung oder bessere Schulen. Deren Qualität ist ein Verbrechen an dieser Generation.
Blaha
Ich würde den Alarmismus zurückfahren. Nach einem weiteren, moderaten Anstieg der Zuzahlungen ins Pensionssystem pendeln sich die Ausgaben bis 2070 ein. Dass eine ältere Gesellschaft mehr Leistungen für Ältere braucht, ist völlig logisch und auch sinnvoll. Klar muss sein, dass die Leistbarkeit des Pensionssystems immer von der aktuellen Arbeitsmarktlage abhängt. Je mehr Erwerbstätige es gibt, je höhere Löhne ausbezahlt werden, umso einfacher die Finanzierung der Pensionen. Da muss man dann eben auch schauen, dass vor allem Frauen/Müttern die Rückkehr in den Arbeitsmarkt so leicht wie möglich gemacht wird.
Sustala
Ich bin alarmiert. Auch weil wir es im Unterschied zu den skandinavischen Ländern nicht schaffen, länger zu arbeiten und dadurch länger ins Pensionssystem einzuzahlen. Die Pensionslücke würde sich noch vergrößern, wenn viele junge Menschen in den Arbeitsstreik gehen und sagen: Ich hau den Hut drauf, meine Leistung lohnt sich nicht mehr.
Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.

Clemens   Neuhold

Clemens Neuhold

Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.