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Margarete Gumprecht: Nein, das Auto wird in der Stadt auch künftig gebraucht werden

Eine romantische Idee, aber ohne das Auto wird es auch in Zukunft nicht gehen, so die Handelsobfrau der Wirtschaftskammer Wien.

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Die autofreie Stadt ist eine reizvolle Idee, vor allem aber eine romantische. Flanieren auf breiten Straßen, spazieren ohne Lärm und sich einfach treiben lassen – das klingt schön. Das Problem: Die autofreie Stadt funktioniert nicht. Von den Bedürfnissen der Menschen ist sie meilenweit entfernt, ebenso von den Notwendigkeiten der Unternehmen und den Aufgaben der Stadtverwaltung. Eine Stadt völlig ohne Autos ist reine Utopie – niemand kann in einer solchen Stadt leben, arbeiten oder wirtschaften.

Der Grund: In Wien werden derzeit rund 27 Prozent der privaten Wege mit dem Auto zurückgelegt. Dieser Modal-Split-Anteil des Autos ist wesentlich niedriger als in den anderen Bundesländern und größeren Städten Österreichs. Grund dafür ist der sehr gut ausgebaute öffentliche Verkehr in Wien. Auch das begrenzte Angebot an öffentlichen Parkplätzen und die geringe Pkw-Dichte in der Bevölkerung spielen eine Rolle: In Wien kommen 37 Autos auf 100 Menschen, in Graz sind es 48, der österreichische Durchschnitt liegt bei 57. Vor allem jüngere Bewohner Wiens entscheiden sich immer öfter gegen ein eigenes Auto und nützen beispielsweise Carsharing. Für Städte sagen Zukunftsforscher voraus, dass das Benützen eines Autos wichtiger wird als das Besitzen. Derzeit ist das aber noch kaum zu erkennen: In Wien waren im Jahr 2020 fast 719.000 PKW registriert, zehn Jahre davor waren es nur 669.000.

Es muss weiterhin viel getan werden, um den öffentlichen Verkehr in Wien auszubauen, die Fußwege attraktiv und sicher zu gestalten und das Radwegenetz zu vergrößern. In Wien gibt es rund 1700 Kilometer Radwege, sie sind ein wichtiges Element einer zukunftsorientierten Verkehrsgestaltung. Mit dem Fahrrad oder zu Fuß können allerdings nicht alle Mobilitätsbedürfnisse abgedeckt werden. Das Auto wird in der Stadt auch künftig gebraucht werden. Etwa im Lieferverkehr oder bei den Handwerkern: Die neue Therme für die Wohnung wird der Installateur nicht mit der Straßenbahn bringen können, von Baufirmen, Tischlern oder Bodenlegern gar nicht zu reden.

Dann gibt es noch die Kunden, die sich in den Wiener Einkaufsstraßen nicht nur Schmuck und T-Shirts kaufen, sondern auf ihrer Einkaufsliste sperrige Elektrogeräte, Möbel und Wohneinrichtung haben. Der Wiener Handel steht hier in einer unmittelbaren Konkurrenz zum Wiener Umland, das Einkaufen mit dem Auto inklusive Parkplatz direkt vor dem Geschäft bietet. Hier gilt es, in Wien ein Grundangebot zu ermöglichen, um Wirtschaften in der Stadt weiterhin zu ermöglichen und Arbeitsplätze zu sichern.

Nicht zuletzt gibt es auch die Mitarbeiter in den Betrieben. Die allermeisten können ihren Arbeitsplatz öffentlich erreichen. In einigen Bereichen Wiens ist die Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes aber öffentlich immer noch unmöglich bzw. unzumutbar. Vor allem die großen Betriebsgebiete in den Außenbezirken sind davon betroffen.

Weniger Autoverkehr in der Stadt ist seit Jahrzehnten ein richtiger Leitgedanke. Mit klugen Verkehrsmaßnahmen kann man eine Reduktion der täglichen Verkehrsleistung und eine stärkere Nutzung von Parkgaragen anstelle des Parkraums an der Oberfläche erreichen. Ganz ohne das Auto wird es aber in Zukunft nicht gehen. Das E-Auto wird allerdings das Bild des Autos in der Stadt positiv verändern – und die Debatte darüber auch.

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Anders als Margarete Gumprecht sieht es der ORF-Journalist und ZIB1-Moderator Tarek Leitner. Seine Entgegnung finden Sie hier:

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