Hütten­zauber

Hütten­zauber: Platters Wahlkampf in Tirol

Tirol. Jeder mag Günther Platter, doch kaum jemand hält ihn für einen geborenen Landeshauptmann

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An den Tischen in der ersten Reihe sitzen die Delegierten aus den Bezirken. Günther Platter schüttelt Hände, fasst nach Ellbogen, zupft an ÖVP-Schals, die so gelb sind wie die Schilder, die Fahnen und Broschüren – „Fesch bist!“ – und hört keine Sekunde auf zu lächeln. Nur alte Parteifreunde sehen ihm an, wie angespannt er ist.

Es geht um viel in diesem Wahlkampf. Die Tiroler ÖVP hatte den Parteitag vorverlegt, um ihren Spitzenmann für die Landtagswahl Ende des Monats aufzuputschen und die Reihen zu schließen. Seit Platter 1989 Bürgermeister von Zams wurde, hatte er sich keiner Wahl mehr gestellt.
Er erzählt gern, wie der frühere ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel ihn im Februar 2003 anrief und ihm 20 Minuten gab, um zu entscheiden, ob er Verteidigungsminister werden wolle. Für einen, der sich um höchste Ämter nie reißen musste, ist die Rolle des Kämpfers ungewohnt.

Verglichen mit jenem anderer Landeshauptleute, ist Platters Amtsbonus bescheiden. „Man müsste ihn einbetten“, meint der Innsbrucker Politikberater Peter Plaikner. Doch wer soll den ehemaligen Dorfgendarmen umrahmen? Selbst die eigenen Leute halten sein Team für schwach. Herausragende Figuren wie die Landesrätinnen Elisabeth Zanon und Anna Hosp wollte Platter nicht neben sich haben. Sein langjähriger Vertrauter Christian Switak, zuständig für Personal und Finanzen, stolperte über Jagdgeschichten und die günstig gemietete Wohnung eines Liftunternehmers.

Es blieb nichts anderes übrig, als die Kampagne auf den leutseligen Oberländer zuzuschneiden, den zwar alle mögen, aber längst nicht alle für einen Landeshauptmann halten, was ÖVP-Manager Martin Malaun naturgemäß bestreitet: „Wir machen einen Platter-Wahlkampf, weil wir wissen, dass er eine Wahllokomotive ist.“

„Ihr seid nicht zum Brezlessen hier“
Gelegenheit, das erstmals zu zeigen, hatte er am 6. April in der Veranstaltungshalle des Ötztaler Freizeitparks Area 47. Die ÖVP hatte weder Kosten noch Mühen gescheut, um Platter einen Raketenstart in den Wahlkampf zu bereiten.

Der TV-Unterhalter Harry PrünsterHarrys liabste Hütt’n“) mobilisierte seinen ganzen Land-der-Berge-Humor, um das Publikum mitzureißen. Die Stadtmusikanten von Landeck spielten in roten Jankern auf. Umzüge der Kandidaten, Ansprachen, Videoclips: Ein Programmpunkt jagte den nächsten. Die Menge klatschte zu den Beats des Pet-Shop-Boys-Gassenhauers „Go West!“, junge, hübsche Menschen skandierten „Gün-ta“, „Gün-ta“. Ließ der Eifer der Claqueure nach, zischte eine Wahlhelferin: „Ihr seid nicht zum Brezlessen hier.“

Die ersten Sätze seiner Rede schrie Platter fast ins Mikrofon: „Mit so einem Empfang habe ich nicht gerechnet. Ich bin überwältigt.“ Doch richtig begeistert sahen die Funktionäre zwischen den bestellen Einpeitschern nicht aus. Vielleicht dachten sie an die Umfragen, denen zufolge Platter der Tiroler ÖVP das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte bescheren wird. „Etwas übertrainiert“ fand ein Funktionär Platters Auftritt. Norbert Pleifer, Intendant des Innsbrucker Kulturzentrums Treibhaus, schüttelte den Kopf: „Der Günther kommt mir vor wie die ferngesteuerte Marionette einer Werbeagentur

Um Agrargemeinschaften, Wohnbau oder Forschungsmillionen geht es nicht mehr. Die ÖVP gegen den Rest, lautet das Skript: Zehn Listen hätten sich gegen die Schwarzen verschworen. Platter bemüht sich, seine Wut über das Chaos und die italienischen Verhältnisse zu hyperventilieren, die dem Land angeblich drohen, sollten die vielen Polit-Desperados, die sich am 28. April zur Wahl stellen, es schaffen, die in seinen Augen einzige verlässliche Kraft aus der Regierung zu werfen: „Wir oder sie! Ich suche die Entscheidung!“, donnerte Platter.

Nach fünf Stunden waren alle Bergmetaphern angebracht, ein 26 Seiten starker Tirol-Plan erläutert, Platter mit 98,3 Prozent der Delegiertenstimmen und rechtzeitig zum Live-Einstieg für „Tirol heute“ als Obmann bestätigt, der Bühnennebel versprüht, das Publikum mit Plundergebäck gelabt, die Einpeitscher erschöpft. „Handwerklich perfekt“, lobte Alt-Landeshauptmann Wendelin Weingartner.

Liebeserklärungen klingen anders. Ernst Schöpf, Präsident des Tiroler Gemeindeverbands und Bürgermeister von Sölden, stöhnt, „eine derartige Unterhaltungsmaschinerie“ habe er in Tirol noch nicht erlebt. Seit Monaten tingelt Landeshauptmann Günther Platter nun schon mit Moderator Harry Prünster durch die Bezirke, um sich zur Kunstfigur zu stylen, in der jeder etwas findet: Auf Du und Du mit den Mächtigen – und doch ein Mensch wie du und ich.

Dafür griff ÖVP-Manager Martin Malaun in die Kiste der Tricks, die er sich als Organisationsreferent im Wahlkampf 1994 angeeignet hatte. Es war damals nicht einfach, den Zahlenmenschen und Ex-Hypo-Chef Weingartner als volksnahen Tribun zu verkaufen. Malauns Vorgänger Helmut Krieghofer, heute ORF-Landesdirektor in Tirol, hatte zu diesem Zweck aus den USA das launige Kandidaten-Zwiegespräch importiert. Das Format fanden die Parteifreunde zwar anfangs ein bisschen „shocking“. Doch es funktionierte, nicht zuletzt deshalb, weil Weingartner sich darauf einließ, Fragen abseits der Sachpolitik spontan zu beantworten.

„Er hat nicht viele Feinde"
20 Jahre später sitzt Platter mit Prünster auf der Bühne und gibt einstudierte Anekdoten zum Besten. Vor Überraschungen ist man gefeit: Günter Platter hat weder Häuser besetzt noch Autos angezündet. Im Zams der 1970er-Jahre genügte es, die Haare über den Kragenrand wachsen zu lassen, um ein „Saubua“ zu sein. Platter meint es nicht ironisch, wenn er zum „Höhepunkt“ kommt, dem Tag, als er „die orangen Socken angelegt hat“. „Jetzt tuat der Bua gar nit mehr“, habe der Vater gesagt. In der Schule sei er „der Held bei allen Madeln“ gewesen. Mit 15 dann das ultimative Aufgebehren: der Ausbruch aus der Blasmusik. Der Jugendliche gründete die Rockband „Satisfaction of the Night“ und war „froh, dass der Vater nicht richtig verstanden hat, was das geheißen hat“.

In Platters Lebensbeschau qualifiziert ihn jede Episode für sein heutiges Amt. Dass der Betrieb in Kufstein, wo er als Buchdrucker zu arbeiten anfing, „Tschari“ ging und er monatelang arbeitslos war, habe ihn gelehrt, „dass wir schauen müssen, dass junge Menschen eine Arbeit haben“. Als schnauzbärtiger Kripo-Mann habe er die Tragödien gesehen, die Suchtgift oder Missbrauch in den Familien anrichteten. Der Landeshauptmann kennt die Schattenseiten des Lebens, was freilich nicht seinen Blick auf die globalen Entwicklungen verstellte: Nur wer China, Indien, Deutschland und Italien verstehe, könne beurteilen, „was jetzt das Beste ist für unser Land“. Auch von schlechten Tagen gibt es zu berichten: Platter im Eurofighter-Untersuchungsausschuss; Platter als Innenminister, der den Rechtsstaat schützen musste, als die junge Kosovarin Arigona Zogaj sich vor Abschiebepolizisten versteckte; Platter als Empfänger von Morddrohungen.
Für ÖVP-Landesgeschäftsführer Malaun ist die private Tour des Politikers das Erfolgsrezept: „Wahlen sind Stimmungssache.“ Bleibt die Frage, warum weder die ÖVP noch Platter in den Umfragen vom Fleck kommen. Die ÖVP schwankt – je nach Institut – derzeit zwischen 30 bis 35 Prozent, obwohl Tirol seine Finanzen in Ordnung hält, wenig Arbeitslosigkeit hat, die Kinderbetreuung ausbaute und Investitionen in den Wohnbau plant.
Als Herwig Van Staa vor fünf Jahren 40,5 Prozent der Wählerstimmen einfuhr, musste er den Sessel räumen. Die Partei hatte seine beleidigenden, oft ungerechten Ausbrüche satt. Andreas Khol half im Hintergrund kräftig mit, Günther Platter als sympathisches Gegenstück von Van Staa zu inthronisieren. Inzwischen haben sich die Gewichte verschoben.
Über Van Staa heißt es nun anerkennend, er habe die Bahn auf die Innsbrucker Hungerburg durchgesetzt und gegen erbitterten Widerstand die kleinen Tourismusverbände fusioniert: „Das war halt ein Macher.“ Das Hohelied auf ihn ist ein Weckruf für Platter, über den nun gemurrt wird, er sei ideenschwach, antriebslos und unfähig, das zersplitterte schwarze Lager zusammenzuhalten.

„Er hat nicht viele Feinde, dafür viele Freunde, die nicht wissen, was sie mit ihm anfangen sollen“, formuliert es die Grüne Klubchefin Christine Baur. Der Sölder Bürgermeister Ernst Schöpf kennt Platter seit einem Vierteljahrhundert und schätzt sein „unermüdliches, konziliantes Wesen“: „Doch damit kommt er bei urbanen Wählern nicht durch.“ Und 40 Prozent der Wahlberechtigten wohnen in Innsbruck und den Regionen um die Hauptstadt.

Laut den gelben ÖVP-Foldern „Der Landeshauptmann kommt“ gibt es in den kommenden Wochen zwischen Lienz, Kufstein, Wörgl, Landeck und Schwaz noch viele Würstel und Krapfen, Musik von HipHop bis Zellberg Buam und jede Menge zu gewinnen: Reise- und Hotelgutscheine, Überraschungsmenüs, Cabrio-Ausflüge, Kochkurse und Karten für den FC Wacker. Vielleicht ist auch für die städtische Klientel etwas dabei.

Hintergrund

Tirol, nur du allein
Das Bundesland im Westen Österreichs steht im Vergleich der Europaregionen ­prächtig da.

Die 714.000 Einwohner des Bundeslands im Westen Österreichs haben wenig Grund zu klagen. Der Schuldenstand beträgt 280 Millionen, bei einem Gesamtbudget von drei Milliarden Euro. Verglichen mit Niederösterreich oder Kärnten, sind die Finanzen in Tirol in Ordnung. Die Bürokratie geht zurück, die Zahl der Beamten in der allgemeinen Verwaltung des Landes sinkt. Die regionale Arbeitslosigkeit ist im Vergleich der Europa-Regionen gering. Laut Euro-stat lag sie in Tirol 2011 bei 2,5 Prozent. In den kommenden fünf Jahren plant die öffentliche Hand, 1,2 Milliarden Euro in den Bau von 11.500 neuen Wohnungen zu investieren. Tirol gehört, was die Kaufkraft betrifft, zu den reichen Regionen. Das BIP pro Kopf erreicht 132 Prozent des EU-Durchschnitts. Stillstand kann sich das Bundesland dennoch nicht leisten: Die Nachbarregionen Tirols stehen noch besser da (Vorarlberg: 135 Prozent, Salzburg 146 Prozent).

Foto: Florian Lechner für profil

Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges