Wirtschaft

Affäre Equip4Ordi: Wie sich die Wiener Ärztekammer eine Apotheke kaufen wollte

Fragwürdige Deals, hohe Boni, schwere Vorwürfe: Ein aus dem Ruder gelaufenes Firmen-Abenteuer wird für die Kammer zur Zerreißprobe. Die Affäre berührt mittlerweile auch den Gesundheitsverbund der Stadt Wien.

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Eigentlich sollten sie Hand in Hand arbeiten. Aber wenn es ums Geschäft geht, können Ärzte und Apotheker sein wie Katz und Maus. Ein bisschen wildern im Bereich des jeweils anderen darf da schon einmal versucht werden. Dementsprechend sind die selbst- und machtbewussten Standesvertreter in Ärzte- respektive Apothekerkammer einander bei Weitem nicht immer grün. Ärztekammer-Präsident Johannes Steinhart zum Beispiel beklagt bis heute den – vorerst parierten – Vorstoß der Pharmazeuten, in der Corona-Zeit die Grundlage für Impfungen in Apotheken zu schaffen. Umso größer nun die Überraschung: Die Ärztevertreter versuchten ihrerseits bereits seit 2021, sich selbst eine Apotheke zuzulegen. Das geht aus einem Bericht eines auf Unternehmenssanierungen spezialisierten Wirtschaftsberaters hervor, der profil vorliegt. Ein Sanierungsexperte, der im Umfeld der Wiener Ärztekammer zuletzt alle Hände voll zu tun hatte.

Seit mehreren Wochen fliegen in der Standesvertretung der Mediziner in der Bundeshauptstadt die Skalpelle tief. Anlass dafür ist eine Firma namens „ÄrzteEinkaufsService – Equip4Ordi GmbH“ (E4O). Das Unternehmen gehört über eine Zwischenfirma der „Kurienversammlung der niedergelassenen Ärzte“ der Wiener Ärztekammer. 2022 wechselte der bisherige Kurien-Obmann Johannes Steinhart an die Kammerspitze. Wenige Monate später sah sich sein Nachfolger dazu veranlasst, die Geschäfte der E4O genau unter die Lupe nehmen zu lassen – sowohl von rechtlicher als auch von wirtschaftlicher Seite. Das Resultat: eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien, die in der Folge Ermittlungen gegen zwei frühere E4O-Manager und einen ehemaligen Kammermitarbeiter aufgenommen hat. Sowie das jähe Ende des Unternehmens E4O. 

Wirtschaftliche Kunstfehler

Tatsächlich dürfte es zumindest auf wirtschaftlicher Ebene zu einer chronischen Häufung von Kunstfehlern gekommen sein. profil liegt ein im Jänner 2023 fertiggestellter Zwischenbericht jenes Sanierungsexperten vor, der das Geschäftsmodell der E4O unter die Lupe nehmen sollte. Das darin beschriebene Thema Apothekenkauf scheint geradezu symptomatisch: Zwei Vermittler und eine Anwaltskanzlei sollen mit der Suche nach einem geeigneten Kaufobjekt beauftragt worden sein. Gut 3,8 Millionen Euro wäre man bereit gewesen, in das Unterfangen zu investieren. Was allerdings nicht vorgelegt werden konnte: ein Businessplan. 

Vernichtende Gesamtdiagnose

E4O sollte ursprünglich eigentlich als eine Art zentrale Beschaffungsfirma für Arztpraxen fungieren. Das klappte nicht so recht. Die wirtschaftliche Gesamtdiagnose, wie sie sich aus dem Bericht des Sanierungsexperten ergibt: Für das Unternehmen soll es „zu keinem Zeitpunkt“ einen Businessplan gegeben haben. Zu den E-Commerce-Geschäften seien „erstaunlich wenig Daten“ auf Knopfdruck verfügbar. Es habe eine klare, dokumentierte Strategie gefehlt. Der jährliche Aufwand von 1,2 Millionen Euro für Personal und Struktur sei mit dem Kerngeschäft nicht zu decken gewesen. 

Hohe Gagen, hoher Verlust

inem internen Aktenvermerk zufolge sollen sich die Vorsteuerergebnisse der E4O von 2018 bis 2022  – unter Ausklammerung eines positiven Sondereffekts – auf einen Verlust von rund 1,7 Millionen Euro summieren. Ungeachtet dessen dürften manche nicht schlecht verdient haben: Laut  Aktenvermerk konnte sich einer der beiden – mittlerweile geschassten –  Geschäftsführer von 2020 bis 2022 über Bruttobezüge von insgesamt rund 675.000 Euro freuen, der zweite immerhin über 272.000 Euro. 

Dass das alles in der Ära Steinharts als Kurienobmann zumindest seinen Ausgang genommen hat, heizt die Debatte an. Was noch dazukommt, sind rechtliche Problematiken rund um die E4O. Eine interne Überprüfung durch eine Anwaltskanzlei brachte eine ganze Reihe fragwürdiger Vorgänge ans Tageslicht. Dabei geht es unter anderem um Geschäfte der E4O mit einer Firma, an der ausgerechnet ein E4O-Geschäftsführer beteiligt war. Es geht aber auch um den Verdacht, eine Prämie von jeweils 47.500 Euro an die beiden Geschäftsführer könnte auf Basis eines künstlich hochgerechneten Gewinns bezahlt worden sein. Dem Anwaltsbericht zufolge sollen die Geschäftsführer und ein zentral mit der E4O befasster Kammermitarbeiter angegeben haben, dass es in Bezug auf einige der kritisierten Punkte eine Anweisung beziehungsweise Zustimmung Steinharts gegeben habe – dies, obwohl Steinhart formell keinen Einfluss auf die Geschäfte der E4O hatte.

Gegen den Präsidenten selbst wird bis dato nicht ermittelt. Wie die Plattform „Dossier“ vergangene Woche berichtete, wurde zuletzt allerdings in Bezug auf einen weiteren Aspekt eine Anzeige eingebracht, die sich auch gegen Steinhart richtet. Demnach besteht der Verdacht, Mittel der E4O könnten für die Finanzierung des Kammerwahlkampfs verwendet worden sein. Steinhart bestreitet das vehement: Seine Liste habe von E4O „zu keinem Zeitpunkt Geld, Wahlkampfgeschenke oder irgendwelche Zuwendungen erhalten“. Auf Detailfragen von profil ging Steinhart mit Verweis auf die Untersuchungen der Staatsanwaltschaft nicht ein. Der Kammerpräsident betont, dass er „voll und ganz zur lückenlosen Aufklärung der erhobenen Vorwürfe … durch die untersuchende Behörde“ stehe. Schon früher bestritt Steinhart, dass es die von den E4O-Geschäftsführern offenbar behaupteten Weisungen durch ihn gegeben habe. 

Corona-Wildwest

Auf anderer Ebene ist die Affäre mittlerweile drauf und dran, auch die Stadt Wien zu erreichen – konkret deren „Gesundheitsverbund“, der unter anderem die städtischen Spitäler betreibt. Handelsgericht Wien, 17. Stock: Aus den Fenstern des Verhandlungssaals bietet sich ein beeindruckender Blick auf den Prater, dessen Fahrgeschäfte sich in der ersten Frühlingssonne drehen. Im Saal selbst geht es um eine Hochschaubahnfahrt der anderen Art: einen wilden Ritt, den E4O und Wiener Gesundheitsverbund (WGV) einst gemeinsam mit einem deutschen Pharma- und Medizintechnik-Händler starteten, dessen schwindelerregende Loopings letztlich jedoch vor den Richter führten.

Kein Businessplan, aber teure Gelüste auf eine eigene Apotheke. Ein Sanierungsexperte stieß bei der Ärztekammer-Firma E4O auf gravierende Probleme.

Die Deals des Wiener Gesundheitsverbunds

Kurz zusammengefasst: Der WGV bestellte bei der deutschen Firma in der Corona-Krise neben Probenröhrchen auch große Mengen an medizinischen Handschuhen. Letztere für immerhin 3,5 Millionen Euro. In diese Deals war auch ein Geschäftsführer der E4O involviert – wie genau, ist eine der Kernfragen vor Gericht. Letztlich konnte das deutsche Unternehmen die Handschuhe nicht liefern. Um dem WGV die bereits erhaltene Gesamtsumme vollständig zurückbezahlen zu können, erhielt die deutsche Firma jedoch einen Kredit von einer Million Euro von der E4O. Nun wird um die vollständige Rückzahlung gestritten. Die E4O klagte einen offenen Teilbetrag vor dem Handelsgericht ein. Das deutsche Unternehmen wiederum brachte vergangene Woche eine Anzeige gegen den früheren E4O-Geschäftsführer bei der Staatsanwaltschaft Wien ein: Dieser habe sich „fälschlicherweise und wiederholt als Bevollmächtigter des WGV ausgegeben“. Sonst wäre man niemals Geschäfte mit ihm eingegangen. 

Ein Anwalt des früheren E4O-Geschäftsführers teilte auf profil-Anfrage mit, seinem Mandanten würde diese Sachverhaltsdarstellung noch nicht vorliegen, weshalb eine Stellungnahme dazu nicht möglich wäre: Er habe jedoch stets korrekt gehandelt. Die getroffenen Entscheidungen seien laufend mit dem E4O-Beirat akkordiert worden. Die Anwältin des zweiten früheren E4O-Geschäftsführers teilte mit, ihr Mandant habe diese Funktion „ordnungsgemäß und sorgfältig ausgeübt und keine – wie immer gearteten – Pflichtverletzungen begangen“. Alle im Raum stehenden Vorwürfe würden bestritten. Der WGV ließ wissen, die E4O habe bei den Beschaffungen „keine Rolle“ gespielt. Deren Geschäftsführer habe den Kontakt zur deutschen Firma hergestellt, sei aber „nie im Auftrag“ des WGV tätig gewesen.

Symptombekämpfung statt Heilung

Gut möglich, dass – unabhängig vom WGV – ausgerechnet wildwestartige Beschaffungsgeschäfte der Corona-Zeit dafür sorgten, dass die E4O der Ärztekammer nicht schon früher um die Ohren flog. Im Bericht des Sanierungsexperten heißt es, die E4O habe bei „Beschaffungen ‚Windfallprofits‘ außerhalb des Kerngeschäfts“ erzielt. Dies seien „mehr oder minder ‚Glückstreffer‘ in einem temporären, hoch spekulativen Markt“ gewesen. 

Möglicherweise deckten derartige Glückstreffer die grundlegenden Probleme der E4O eine Zeit lang zu. Symptombekämpfung sollte bekanntlich nicht mit Heilung verwechselt werden. Nun ist der Exitus eingetreten: Mitte März wurden die Geschäfte der E4O eingestellt.

Stefan   Melichar

Stefan Melichar

ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ).