"He must be a lobbyist" Alfred Gusenbauer arbeitete für eine New Yorker Lobbying-Agentur

Gusenbauers Ukraine-Geschäfte und das Renner-Institut der SPÖ

Alfred Gusenbauer und das (indirekte) Ukraine-Lobbying für einen Vertrauten Donald Trumps. 2012/2013 sprach Gusenbauer als bezahlter Ukraine-Berater bei zumindest sechs Events in Europa. Teilweise trat er dabei auch als Präsident des Renner-Instituts auf. Ist das wirklich vereinbar?

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Das Gipfeltreffen 2013 warf seine Schatten voraus. Zehn Wochen noch, dann würde der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch das zäh verhandelte Assoziierungsabkommen mit der EU ratifizieren und das Land endlich aus der Umarmung Russlands lösen. Historisch für die Ukraine, für die EU – und irgendwie auch für Alfred Gusenbauer.

Am 17. September 2013, knapp zwei Monate vor dem mit Spannung erwarteten Osteuropa-Gipfel im litauischen Vilnius, gab die Académie Diplomatique Internationale in Paris den Rahmen für eine klug besetzte Diskussionsrunde vor Publikum: Alfred Gusenbauer, früherer SPÖ- Parteivorsitzender und Bundeskanzler Österreichs außer Dienst; Romano Prodi, ehemaliger italienischer Ministerpräsident und Präsident der EU-Kommission a. D.; Alexander Kwasniewski, ehemaliger polnischer Staatspräsident. Elder Statesmen, allesamt. Ihr gemeinsames Thema: „Ukraine – European Challenges in advance of the European summit in Vilnius“.

Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski waren nicht aus schierem privaten Interesse in Paris. Sie waren als Ukraine-Experten im Auftrag einer US-Lobbying-Agentur angereist. Und diese arbeitete damals für einen Mann, der Jahre später ins Visier der US-Justiz geraten und einem Skandal den Namen geben sollte: Paul Manafort, Lobbyist, Politikberater, zwischen März und August 2016 Wahlkampfberater eines gewissen Donald Trump. Manafort hatte, wie sich kürzlich offenbarte, eine (wenn auch indirekte) Geschäftsbeziehung zu Gusenbauer, Prodi, Kwasniewski – das bescherte den Genannten erst vor Tagen Schlagzeilen rund um den Globus.

Doch darüber redete im Herbst 2013 in Paris natürlich noch niemand.

Die Einladung zum Ukraine-Event findet sich bis heute im Online-Archiv der Diplomatischen Akademie – mit einem interessanten Hinweis auf einen Mitveranstalter: „In partnership with Renner-Institut“ (siehe Screenshot). Das Karl-Renner-Institut ist die politische Akademie der SPÖ, eine Kaderschmiede, deren Präsident Gusenbauer zwischen 2000 und Ende 2017 war, ehe ihn der nunmehrige Parteichef Christian Kern beerbte.

Was nur eben nicht in der Einladung stand: Gusenbauer reiste 2013 nicht bloß als Präsident des Renner-Instituts nach Paris. Er stand zu dieser Zeit auch in den Diensten der New Yorker Agentur Mercury Public Affairs LLC. Diese hatte im Frühjahr 2012 den Auftrag erhalten, die Ukraine als moderne Demokratie international zu positionieren. Um das zu erreichen, hatte die Agentur Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski angeheuert – drei Herren, die seit 2010 auch den kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew berieten.

Mercury Public Affairs spielt eine zentrale Rolle in der Affäre Manafort. Die US-Justiz beschuldigt Trumps langjährigen Vertrauten a. D. unter anderem, in den USA verdecktes Lobbying für den Wladimir Putin nahestehenden Wiktor Janukowitsch und dessen Partei der Regionen betrieben und damit gegen die strengen US-Meldebestimmungen verstoßen zu haben; hinzu kommen mutmaßliche Steuerhinterziehung und Geldwäsche. Janukowitsch war ab Februar 2010 Präsident der Ukraine (zuvor auch Ministerpräsident), ehe er im Gefolge der „Maidan“-Unruhen im Februar 2014 abdanken musste, wenig später kam es in der Ostukraine zu Kampfhandlungen, und Putin annektierte die Krim.

Das Engagement Manaforts soll dem Janukowitsch-Clan insgesamt 75 Millionen Dollar wert gewesen sein, die Honorare flossen über Offshore-Konten. Manafort wiederum bediente sich in den USA zweier Lobbying-Agenturen: die mittlerweile kollabierte Podesta Group Inc. und eben Mercury Public Affairs LLC (beide wollen übrigens von Manafort „getäuscht“ worden sein). Zwei Millionen Dollar sollen Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski via Manafort und Mercury für ihr Ukraine-Engagement erhalten haben – so steht es zumindest in einer jüngst veröffentlichten Anklageschrift des US-Sonderermittlers Robert Mueller. Er nennt die drei Ex-Politiker – gegen die selbst keine Vorwürfe erhoben werden – zwar nicht namentlich, es gilt aber als gesichert, dass diese gemeint sind.

Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski traten mehrfach als „Speaker“ bei Veranstaltungen mit Ukraine-Bezug auf.

Nach Bekanntwerden der Anklage beeilten sich Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski, ihre Job description öffentlich zu präzisieren. Sie hätten sich 2012/2013 lediglich für eine Annäherung der Ukraine an die EU eingesetzt, nie aber für Janukowitsch oder die Partei der Regionen lobbyiert. Sehr viel mehr wollten die „former senior European politicians“ (Zitat aus der gegen Manafort gerichteten Anklage vom 23. Februar) nicht verraten. Gusenbauer will Manafort nach eigener Darstellung das eine oder andere Mal auf einen Kaffee getroffen haben, seine Remuneration soll über eine „amerikanische oder englische“ Firma gekommen sein.

profil ist es nun auf Grundlage öffentlich zugänglicher Quellen gelungen, eine Art Bewegungsprofil zu erstellen. Tatsächlich war Gusenbauers Ukraine-Lobbying 2012/2013 sehr viel intensiver und internationaler, als es seine bisherigen dürren Erklärungen vermuten ließen. Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski traten mehrfach als „Speaker“ bei Veranstaltungen mit Ukraine-Bezug auf, konferierten mit Politikern, Diplomaten, Fachleuten, Medienvertretern. In Wien, Berlin, Rom, Brüssel, Paris und Washington. Die Recherchen legen zudem den Schluss nahe, dass Gusenbauer dabei immer wieder auch seine Funktion als Präsident des Karl-Renner-Instituts geschickt einzusetzen wusste.

Die Geschäftsbeziehung der „Hapsburg Group“ (das war eine von Manafort gewählte, orthografisch fragwürdige, interne Bezeichnung für die drei Ex-Politiker) zu Mercury Public Affairs geht auf das Jahr 2012 zurück.

Am 30. April 2012 schließt Mercury zunächst einen Beratervertrag mit einem „European Centre for a modern Ukraine“ (ECMU), offiziell ein privater „Think tank“ mit Sitz in Brüssel (tatsächlich soll ECMU aber eine von Manafort vorgeschobene Tarnorganisation von Janukowitsch’ Partei der Regionen gewesen sein). Das 2012 definierte Ziel: Mercury soll das Image der Ukraine verbessern. In weiterer Folge verpflichtet Mercury drei „Experten“: Gusenbauer, Prodi, Kwasniewski – nachzulesen ist das in einer Meldung, die Mercury Public Affairs erst Jahre später dem US-Justizministerium erstatten wird (siehe Faksimile nächste Seite). Die „Experten“ absolvieren zwischen September 2012 und September 2013 eine Reihe von Terminen.

* Wien, 20. September 2012. Gartenhotel Altmannsdorf, zugleich auch Sitz der SPÖ-Akademie. Gusenbauer (zu diesem Zeitpunkt noch Präsident des Renner-Instituts), Prodi und andere diskutieren zum Thema „Ukraine on the path to European Integration“. Tags darauf verschickt Gusenbauers rechte Hand im Renner-Institut eine Presseaussendung: „Gusenbauer und … Prodi haben das neue Wahlgesetz gelobt, das die Regierungs- und Oppositionsparteien der Ukraine gemeinsam verabschiedet haben, und fordern die zügige Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Ukraine.“

* Berlin, 23. Oktober 2012. Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski diskutieren auf Einladung des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik vor geladenen Gästen. Angeregt hat die Veranstaltung der Brüsseler „Think tank“ ECMU, zugleich Auftraggeber von Mercury Public Affairs (also Gusenbauers Auftraggeber). Thema des Tages: „Die Ukraine und die EU: Wahlen, Integration und wirtschaftliche Perspektiven“. In einer Presseaussendung, verfasst von „Eye on Ukraine“, wird Gusenbauer unter anderem so zitiert: „Ich sage, die Ukraine sollte Teil der EU werden – auch wenn dies nicht über Nacht geschehen wird. Wir sollten die Ukraine keinesfalls aufgeben und Russland überlassen.“

* Paris, 12. November 2012. Das französische Fachmagazin „Revue Défense Nationale“ und das Karl-Renner-Institut haben zur Konferenz „Ukraine: A Strategic Crossroads in Europe“ in die École Militaire geladen, berichtet die staatliche ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform vorab. Anwesend: Gusenbauer, Prodi, Kwasniewski. Auch dazu geht wenig später eine Presseaussendung online, Absender ist diesmal ein „Ukraine Monitor“ mit Sitz in London: „Gusenbauer stellte fest, dass die Ukraine dank ihrer geographischen Lage, der Schiefergas-Vorkommen, ihrer Infrastruktur für Energietransit und aufgrund der umfangreichen landwirtschaftlichen Ressourcen eine große wirtschaftliche und strategische Chance für Europa darstelle. ,Es wäre falsch, die Situation in der Ukraine ausschließlich im Licht des Falls Timoschenko zu beurteilen‘, sagte er.“

* Rom, 6. März 2013. Wieder eine Ukraine-Konferenz, wieder sind Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski zugegen. Die Regierung Janukowitsch steht zu diesem Zeitpunkt längst in der Kritik, politische Gegner wie die frühere Ministerpräsidentin Julia Timoschenko strafrechtlich verfolgen zu lassen. Auch zu dieser Veranstaltung liegt eine Presseaussendung des „Ukraine Monitor“ vor: „Gusenbauer bemerkte, dass das Assoziierungsabkommen auch dazu beitragen könnte, mehr Stabilität in der Region und mehr Demokratie in der Ukraine zu schaffen, und sagte, einzelne Gerichtsverfahren dürften den Prozess der Europäischen Integration keinesfalls aus der Bahn werfen.“

* Washington, 5. und 6. Juni 2013. Gusenbauer trifft in Begleitung von Mitarbeitern von Mercury Public Affairs mehrere US-Kongressabgeordnete, um diese über die Annäherung der Ukraine an den Westen zu unterrichten. Schon im März war Prodi in den USA. Nachzulesen ist das in zwei (nachträglichen) Mitteilungen von Mercury Public Affairs an das US-Justizministerium aus dem Jahr 2017.

* Brüssel, 17. Juni 2013. Im örtlichen „Presseclub“ moderiert Gusenbauer eine Podiumsdiskussion, auch Prodi ist gekommen. Titel: „Ukraine on the Road to Vilnius: Prospects of Signing an EU-Ukraine Association Agreement“. Die Online-Plattform euractiv.com berichtet später, Gusenbauer habe die EU davor gewarnt, die Ukraine in die Arme Russlands zu treiben.

* Paris, 17. September 2013. Bei der schon genannten Konferenz an der Diplomatischen Akademie tritt abermals das Renner-Institut als Mitveranstalter in Erscheinung, wieder sind Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski als „Speaker“ da. Und auch zu dieser Veranstaltung lanciert der „Ukraine Monitor“ eine Meldung. Gusenbauer wird unter anderem Folgendes zugeschrieben: „Sollte Europa sich gegen die Ukraine entscheiden, riskiert es, sie gegen den Willen von etwa 80 Prozent ihrer Einwohner, die die Bestimmung ihres Landes in Europa sehen, Russland in die Arme zu treiben.“

Wenig später lässt Janukowitsch das Abkommen mit der EU platzen und wendet sich Russland zu – in der Folge ballen sich in Kiew die „Maidan“-Unruhen zusammen, im Februar 2014 wird Janukowitsch vom Parlament abgesetzt und verlässt die Ukraine (angeblich Richtung Russland). Mit Janukowitsch’ Demission endet auch das (sichtbare) Engagement Gusenbauers. Wenn Gusenbauer nun behauptet, er habe nie für Janukowitsch oder die Partei der Regionen lobbyiert, dann wird das stimmen. Sein Auftraggeber war ein US-Lobbyingunternehmen, das den Auftrag von einer (wenn auch intransparenten) Brüsseler Organisation erhalten hatte. In rechtlicher Hinsicht hat Gusenbauer sich nichts vorzuwerfen, er hat auch nicht gegen die US-Lobbying-Bestimmungen verstoßen. Es ist auch fraglos richtig, wenn er sagt, er habe stets für die Annäherung der Ukraine an die EU, den Westen, plädiert. Das lässt sich in seinen Statements nachlesen. Und zu der Zeit, als Gusenbauer und Kollegen von Panel zu Panel tingelten, war Janukowitsch in Europa ohnehin noch everybody’s darling.

Gusenbauer, Prodi und Kwasniewski dürfen umgekehrt allerdings auch nicht für sich in Anspruch nehmen, Janukowitsch öffentlich allzu hart angefasst zu haben. Und es muss den Mitgliedern der „Hapsburg Group“ ja irgendwann aufgefallen sein, dass bei all den Veranstaltungen die Partei der Regionen (PR) immer in der Nähe war. In Wien, Berlin und Paris 2012 diskutierte Gusenbauer mit dem damaligen ukrainischen PR-Außenminister Kostjantyn Hryschtschenko, in Brüssel 2013 mit Yuri Miroshnichenko, einem PR-Abgeordneten und Vertrauten Janukowitschs, in Paris und Rom 2013 mit Julia Lyovochkina, einer PR-Abgeordneten.

He must be a lobbyist from the Party of Regions.

Über den Brüsseler Event schrieb euractiv.com später, dieser sei von einem (namentlich nicht genannten) „Lobbyisten der ukrainischen Regierung organisiert“ worden; die Berliner Konferenz 2012 war auf Initiative der Janukowitsch nahestehenden Brüsseler Organisation ECMU arrangiert worden. Zur Pariser Konferenz 2012 findet sich online ein Nachbericht der „Ukrainian Week“ in englischer Sprache, Titel: „Hryschtschenko and his friends“. Darin wird Gusenbauers Haltung gegenüber der Kiewer Regierung als „quite friendly“ beschrieben. Auch ein Beobachter der Veranstaltung kommt zu Wort. Auf Gusenbauers Auftritt angesprochen, sagt dieser augenzwinkernd: „He must be a lobbyist from the Party of Regions.“ Der guten Ordnung halber sei angemerkt, dass bei den Events stets auch ukrainischen Oppositionelle anwesend waren.

So oder so: Gusenbauer tourte als Ukraine-Berater einer New Yorker Lobbying-Agentur durch die Welt – und verstieß dabei gegen kein Gesetz. Es fällt allerdings auf, dass das Renner-Institut immer wieder mit im Spiel war. Bei zumindest drei von Gusenbauer besuchten Ukraine-Konferenzen 2012/2013 trat die politische Akademie der SPÖ als „Mitveranstalter“ in Erscheinung. Hier verschwimmen die Grenzen zwischen dem Geschäftsmann Gusenbauer und dem (damaligen) Präsidenten des Karl-Renner-Instituts Gusenbauer. Die Funktion hatte er nach seinem Abschied aus der Politik behalten, ebenso das Mandat als Vizepräsident der Sozialistischen Internationale. Eine superscharfe Trennung der Sphären sieht anders aus. Was sagt Gusenbauer dazu? Nichts.

Er wollte auf eine konkrete profil-Anfrage hin keine Stellung nehmen. Auch Prodi wollte sich nicht äußern, eine profil-Anfrage an den mit dem Fall vertrauten Partner von Mercury Public Affairs in New York, Mike McKeon, blieb ebenfalls unbeantwortet. profil fragte auch bei Christian Kern nach, Gusenbauers Nachfolger an der Spitze des Renner-Instituts nach. Dieser sagt: „Wir haben in der Buchhaltung nachgesehen und keinen Beleg gefunden. Für die von Ihnen genannten Veranstaltungen ist kein einziger Euro rausgegangen. Das waren jedenfalls keine offiziellen Geschichten des Renner-Instituts.“

Michael   Nikbakhsh

Michael Nikbakhsh

war bis Dezember 2022 stellvertretender Chefredakteur und Leiter des Wirtschaftsressorts.