Benko-E-Mail: „Das endet in einem Desaster“
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Manchmal ist es von außen schwer zu beurteilen, was das Symptom und was die Ursache für eine tiefer gehende, weitreichende Krankheit ist. Bei René Benkos Signa wurde das erste große Symptom des bevorstehenden Niedergangs Ende Oktober 2023 sichtbar. Am 27. Oktober 2023 meldete die Sporthandelstochter von Signa, Signa Sports United (SSU), Insolvenz an. Es war der erste große Dominostein, der im mehr als 1100 Gesellschaften umfassenden Signa-Imperium umfiel. Und es sollte nicht der letzte bleiben. Die Signa-Misere war zu diesem Zeitpunkt schon in vollem Gange. Seit Monaten steckte die gesamte Gruppe in veritablen Zahlungsschwierigkeiten. Und schon im Mai des Pleitejahres zeichnete sich ab, dass Signa eigentlich kein Geld mehr hatte, um ihrer strauchelnden Online-Handelstochter unter die Arme zu greifen. Das zeigen nun zahlreiche Einvernahmen, interne Signa-Mails und Ermittlungsergebnisse der Soko Signa, die profil vorliegen.
„Das mit SSU (Signa Sports United) endet in einem Desaster“, schrieb René Benko an einen seiner führenden Köpfe in der Handelssparte am 13. Mai 2023. Und weiter: „Das mit KPMG artet schon wieder aus.“
Der Grund für den Unmut des Signa-Gründers damals war, dass der Unternehmensberater KPMG gedroht hatte, die Bilanz des Online-Sporthändlers nicht zu testieren. Dem Unternehmen fehlte schlicht das Cash, um seinen Verbindlichkeiten bis Jahresende nachzukommen, und die Wirtschaftsprüfer der KPMG forderten einen Zuschuss der Konzernmutter Signa Holding von 150 Millionen Euro.
Das Geld kam aber nie an, und das Unternehmen schlitterte in die Insolvenz. Aber der Reihe nach.
An dieser Stelle sei gesagt, dass die SSU gut und gerne als eine der transparentesten Gesellschaften in René Benkos sonst eher undurchsichtigem Signa-Imperium gelten kann. Sie notierte an der New Yorker Börse. Und das bedeutete, dass jeder Quartalsbericht, jeder kleinste Wechsel im Management und selbstverständlich auch die finanzielle Situation des Unternehmens bis ins kleinste Detail den Aktionären und den US-Finanzbehörden zeitgerecht offengelegt werden mussten. Kurz gesagt: Für die Signa Sports United galten andere, strengere Regeln als für die zahlreichen, nicht börsennotierten Signa-Gesellschaften in Europa. Die teilweise jahrelang keine Bilanzen im Firmenbuch hinterlegten. Die nicht konsolidiert waren, also keinen gemeinsamen Rechnungsabschluss für alle Gesellschaften veröffentlichten.
Frisches Geld
Ein entzogenes Testat eines angesehenen Wirtschaftsprüfers käme da mehr als ungelegen. Zumal sich im Mai 2023 schon die ersten unerwünschten Nebenwirkungen der anrollenden Pleite zeigten. In den Medien nahmen die Berichte über die Liquiditätsengpässe bei Signa zu. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte im Rahmen einer Großprüfung von Gewerbeimmobilienkrediten die Signa-Kredite als veritables Problem für deutsche und österreichische Banken erkannt und diesen nahegelegt, die Risikovorsorge zu erhöhen. Nur für den Fall der Fälle. Und unter den Signa-Investoren rumorte es.

© Robert Haas / SZ-Photo / picturedesk.com
Rene Benko bei Eröffnung neugestalteter Modeabteilung im Oberpollinger in München, 2022
Bessere Zeiten
René Benko bei einer Shop-Eröffnung in München. Täuschte er seinen Investoren eine Finanzspritze an die Signa nur vor?
Signa brauchte dringend Geld, und der Druck auf René Benko stieg. Wer genau die Idee zu einer Kapitalerhöhung von ursprünglich 500 Millionen Euro hatte, die dann später auf 350 Millionen schrumpften, ist eine Frage, die zuletzt auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) beschäftigte. Benko bestritt in seiner Aussage vor der WKStA, der Ideengeber dafür gewesen zu sein. Andere Zeugen, die einvernommen wurden, sehen hingegen in Benko den Initiator.
Anfang Mai 2023 versammelte Benko jedenfalls Investoren der Signa Holding in Berlin, um ihnen von seinem Masterplan zu berichten, wie Signa wieder aus den Negativschlagzeilen und aus der Liquiditätsklemme kommen soll. Die von den Investoren immer lauter geforderte volle Transparenz, was die finanzielle Situation der gesamten Signa betraf, soll es bei dem Treffen in Berlin auch nicht gegeben haben. Aber zumindest ein Versprechen.
Unter dem Titel „Signa Holding Capital Increase“ versprach Benko den Geldgebern, durch ein umfangreiches Investitions- und Verkaufsprogramm die Gruppe wieder auf Kurs zu bringen. Und mehr noch: Mehr als eineinhalb Milliarden Euro sollte sein Masterplan schon bald einspielen.
Dafür brauchte er aber zunächst eine Kapitalspritze – um den Geldbedarf der Gesellschaften zu decken und vor allem, um nach außen ein positives Signal zu senden, dass die Investoren noch an den Fortbestand des Unternehmens glaubten.
Mehr noch, Benko sollte mit gutem Beispiel vorangehen und aus der Familie Benko Privatstiftung selbst Kapital zuschießen. Heute ermittelt die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen Benko und eine Reihe ehemaliger Signa-Manager. Der Verdacht: Bei den 35 Millionen Euro an Kapitalerhöhung, die aus der Familienstiftung in die Signa Holding eingebracht wurden, soll es sich in Wahrheit um die – quasi im Kreis geschickte – Einzahlung der Investoren Eugster/Frismag aus der Schweiz gehandelt haben. Das Geld soll durch eine Reihe von Transaktionen an die mittlerweile insolvente Familienstiftung gegangen sein, die es wiederum an die Signa Holding übertrug. Benko selbst und alle Beschuldigten haben die Vorwürfe stets bestritten, es gilt in vollem Umfang die Unschuldsvermutung.
Vergoldete Aktien
Zurück zu Signa Sports United. Sie spielt bei dieser Kapitalerhöhung eine kleine, aber nicht unwesentliche Nebenrolle. Denn die Investoren sollten nicht nur die Möglichkeit bekommen, Cash einzuzahlen, sondern konnten auch Aktienanteile an der SSU einbringen. Und zwar zu einem richtig guten Preis, der weit über dem damaligen Aktienkurs des schon strauchelnden Online-Sporthändlers lag: sieben Euro pro Aktie. Zum damaligen Zeitpunkt wurde die SSU-Aktie an der Börse aber teilweise nur um drei Dollar das Stück gehandelt.
Mit der Kapitalerhöhung und damit mit der Bewertung der Aktien sei Signas altbewährter Steuerberater TPA beauftragt gewesen. Benkos Steuerberaterin Karin Fuhrmann habe selbst „über Wochen hinweg die Kapitalerhöhung gemeinsam … mit der Kanzlei Arnold, mit Mitarbeitern der Signa strukturiert“.
Das ist mittlerweile alles geisteskrank.
René Benko
über die Kapitalforderungen für die Signa Sports United in einem E-Mai
Im Gegenzug sollten die SSU-Aktien in Anteile an einer neuen, internationalen Handelsgesellschaft umgewandelt werden – die „European Investment Holding“. Unter ihr Dach, so der Plan, sollte das internationale Handelsgeschäft von Signa wandern – die Signa Sports etwa, aber auch das Luxuskaufhaus Selfridges, das Benko zuvor erworben hatte. Und das alles zu einem äußerst lukrativen Preis und deutlich über dem Börsenkurs der strauchelnden Sporthandels-Tochter.
Aus damaliger Sicht musste das für die Investoren – ganz verkürzt gesagt – wie eine goldene Chance wirken: Denn statt Aktien an der kriselnden Signa Sports zu halten, die an der Börse zu einem deutlich niedrigeren Preis gehandelt wurden, sollten sie Aktien zum doppelten Wert an einer Gesellschaft bekommen, zu der nicht nur der Sporthandel zählte, sondern eben auch bekannte Luxusbrands wie Selfridges.
Die Lieferkettenunterbrechungen nach Corona, die Einbrüche im Onlinehandel im Zuge der Teuerung – all das hatte dem Sporthändler SSU zugesetzt, zu dem damals Tennis-Point und Fahrrad.de gehörten. Hinzu kamen Kredite, die bald fällig würden. Deshalb reichten den Wirtschaftsprüfern von KPMG keine wortreichen Unterstützungsbekundungen. Sie forderten harte Kapitalzusagen von zumindest 150 Millionen Euro.
Zur Haltung von KPMG meinte Benko in einem weiteren E-Mail: „Das ist mittlerweile alles geisteskrank – glaubt der … wir haben scheisen (sic!) das Geld in der Holding einfach nach bedarf“.
Die Zusage kam trotzdem. Über den Sommer erarbeitete das Management einen Sanierungsplan für die SSU. Die versprochenen 150 Millionen Euro sollten ab Herbst 2023 in Tranchen abrufbar sein. Allein, das Geld kam nie an. Als die erste Tranche von gut zehn Millionen Euro Anfang Oktober fällig wurde, blieb das Konto der SSU leer. Oder anders gesagt: Eine Gruppe, die damals noch mit deutlich über 20 Milliarden Euro bewertet war, hatte schlicht keinen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag übrig, um eine Großpleite im eigenen Haus zu verhindern. Mitte Oktober zog die Signa Holding die Finanzierungszusage überraschend zurück. Am 27. Oktober fiel schließlich mit der SSU-Pleite der erste Dominostein in der größten Firmenpleite in Österreichs Wirtschaftsgeschichte.

Marina Delcheva
leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".

Stefan Melichar
ist Chefreporter bei profil. Der Investigativ- und Wirtschaftsjournalist ist Mitglied beim International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ). 2022 wurde er mit dem Prälat-Leopold-Ungar-Journalist*innenpreis ausgezeichnet.

Anna Thalhammer
ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil und seit 2025 auch Herausgeberin des Magazins. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.