Budget-Debakel: Hat der Wifo-Chef die ÖVP freigesprochen?
Mehr als 17 Milliarden Euro möchte Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) bis Ende 2026 einsparen. Als Finanzminister erbte er einen Schuldenhaufen der türkis-grünen Vorgängerregierung, der Österreich nun in ein EU-Defizitverfahren führt. Die Schuld an diesem Debakel liegt laut der Kanzlerpartei ÖVP aber nicht bei Marterbauers Vorgänger Magnus Brunner (ÖVP) – sondern bei den Wirtschaftsforschern. Da die Wirtschaft nicht wie vorhergesagt gewachsen, sondern sogar geschrumpft ist, fehlen dem Staat Einnahmen in Milliardenhöhe. Das Budget sei im guten Glauben auf Basis der verfehlten Prognosen erstellt worden.
Am Freitag hat Gabriel Felbermayr, Leiter des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstitutes (Wifo), zu einem Workshop eingeladen. Es ging darum, wie solche Prognosen in diesen geopolitisch unsicheren Zeiten erstellt werden. Manche Risikofaktoren seien „lösbar“ oder „kalkulierbar“. Andere bergen „radikale Unsicherheiten“ – etwa, wenn von heute auf morgen kriegerische Auseinandersetzungen Energiepreise in die Höhe treiben. Auch Aussagen des US-Präsidenten zu möglichen Zöllen sind nicht kalkulierbar. Die Auswirkungen können unterschiedlich ausfallen, eines haben sie aber gemein: Sie beeinflussen das Wirtschaftswachstum und damit die Staatseinnahmen.
Am 30. November des Vorjahres sagte Nehammer zur Tageszeitung „Die Presse“: „Das Wifo hat sich um 1,8 Prozent in seiner Prognose geirrt. Dadurch fehlen in der Budgetplanung tatsächlich Milliarden.“ Eine irreführende Aussage, die wir uns im faktiv-Team im Dezember des Vorjahres angesehen haben. Felbermayr präsentierte diesen Faktencheck auch am Freitag vor versammelter Runde. Um den Ex-Kanzler ging es dann noch einmal gegen Ende des Workshops, ein Journalist stellte die konkrete Nachfrage, ob Nehammer nicht doch recht gehabt hat – und die Wirtschaftsforscher wirklich Schuld am Budgetloch seien.
Nehammer hat „Recht und Unrecht“
„Ja natürlich hat er (Nehammer; Anm.) Recht gehabt. Wenn man in kurzer Zeit von einem Wachstum auf eine Rezession von 1,0 Prozent geht in der Prognose – natürlich macht das jede Finanzplanung jedes Finanzministers und jeder Bundesregierung wahnsinnig schwierig“, so der Wifo-Chef. Die ÖVP sieht sich in den Aussagen Felbermayrs vom Freitag bestätigt. „Während Bundeskanzler a.D., Karl Nehammer, für seine Kritik der Wirtschaftsprognosen belächelt wurde, räumen die Wirtschaftsforscher jetzt das Geständnis ein, dass er doch nicht Unrecht hatte. Es ist wichtig, diese Transparenz zu wahren, denn sie ist ein wichtiger Schritt zu mehr Verständnis und Verantwortungsbewusstsein in der wirtschaftspolitischen Debatte“, kommentiert Nico Marchetti, der Generalsekretär der Volkspartei, die Aussagen des Wifo-Chefs.
Was die ÖVP in ihrer Aussendung aber lieber unerwähnt lässt, ist die zweite Hälfte der Aussage Felbermayrs. Natürlich hätte man als Wifo gerne eine Prognose geliefert, die näher an der tatsächlichen wirtschaftlichen Entwicklung gelegen wäre. Aber: „Es ist gleichzeitig völlig abwegig, uns (…), die keine Entscheidungsmacht über irgendetwas haben und den Prozess nur begleiten“, die Schuld am Budgetloch zu geben, so Felbermayr sinngemäß. Wie groß die Risiken seien und wie besorgt man auf den Budgetpfad blicke, habe man in denselben Prognosen immer mitgeliefert. Insofern: „Ja natürlich hat er (Nehammer; Anm.) Recht, deshalb sind wir ja heute hier. Und er hat auch Unrecht, auch deswegen sind wir heute da“, so Felbermayr am Freitag. Was der Wifo-Chef meint: Bei der Budgeterstellung ist die Bundesregierung tatsächlich dazu verpflichtet, externe Konjunkturprognosen heranzuziehen – es hätte sie aber niemand gehindert, mehr Puffer für die ebenfalls vorhergesagten Unsicherheiten einzurechnen.
Die Wirtschaftsforscherinnen und -forscher beschäftigen sich intensiv damit, wie Prognosen in so unsicheren Zeiten genauer werden könnten. Denn eines ist klar: Sich alle drei Monate vor die Presse zu stellen und die Prognosen teils stark revidieren zu müssen, bereitet weder dem Wifo noch dem Institut für Höhere Studien (IHS) eine Freude. IHS-Chef Bonin sagte dazu erst vor wenigen Wochen im profil-Interview: „Das ärgert mich schon und gibt mir auch zu denken. Es ist schwieriger geworden, wirtschaftliche Entwicklungen vorherzusagen. Die Welt ist komplizierter geworden und Indikatoren, die lange auf zusammenhängende Entwicklungen hingewiesen haben, sind heute nicht mehr so stabil, wie sie einmal waren.“
Wie könnten Prognosen also genauer werden? Und wie viel genauer geht überhaupt in einer Zeit, in der geopolitische Konflikte über Nacht eskalieren?
Die Auswirkungen von bewaffneten Konflikten können in Prognosen nie vollumfänglich abgebildet werden. Denn auch nach dem Angriff Israels und der US-Luftstreitkräfte auf Atomanlagen des Iran, war für Forscherinnen und Forscher nicht absehbar, inwiefern sich Energiekosten dadurch verändern werden. In einem anderen Punkt gibt es aber sehr wohl Handlungsbedarf.
Es geht um die Datenverfügbarkeit. Ein Beispiel dafür: Wenn es um die Budgets der Länder und Gemeinden geht, müssen die Ökonominnen und Ökonomen mit jenen Werten arbeiten, die die Gebietskörperschaften selbst in ihren Budgetvoranschlägen annehmen. Weichen diese dann im Budgetvollzug ab – wie dies heuer im Frühjahr der Fall war –, spiegelt sich das auch in der Prognose wider.
Eine andere Möglichkeit wäre, künftig in Szenarien zu denken. Holger Bonin hat das im profil-Interview angedeutet. Wie das aussehen könnte, zeigt das Zentrum für Verwaltungsforschung (KDZ) bereits heute. In der mittelfristigen Prognose zu den Gemeindefinanzen bis 2028 bieten die Verwaltungsforscherinnen und -forscher zusätzlich zur Grundaussage drei Annahmen. Sie beinhaltet also nicht nur, dass 2028 die Hälfte aller österreichischen Kommunen Abgangsgemeinden sein werden – laufende Einnahmen würden dann laufende Ausgaben nicht mehr decken. Sondern auch drei weitere Lagebilder: Szenario 1: Wie schlimm wird es ohne Gegensteuerung? Szenario 2: Die Gemeinden reagieren mit höheren Gebühren und geringeren Ausgaben. Szenario 3: Der Bund ermöglicht den Kommunen eine Erhöhung der Grundsteuer, die Länder reduzieren die Umlagen, die Gemeinden zahlen müssen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eines dieser drei Szenarien und deren Folgen – oder eine Annahme dazwischen – 2028 tatsächlich eintritt, ist definitiv höher als nur von einem einzigen Wert auszugehen.
Wäre das auch für die Wifo-Prognosen denkbar? „Unterschiedliche Prognoseszenarien präsentiert das Wifo in der Regel nur in extrem volatilen Situationen. Das war beispielsweise im Umfeld der globalen Finanzmarktkrise der Fall und auch bei der COVID-19-Pandemie“, sagt ein Sprecher des Wifo zu profil. Dass man sich aber intensiv darum bemüht, künftig bessere Prognosen zu liefern, ist spätestens seit Freitag klar. Denn, so IHS-Chef Holger Bonin, der mit Gabriel Felbermayr gemeinsam die Konjunkturprognose vorstellt: „Wir sind bestimmt nicht die Erfüllungsgehilfen einer Regierung.“
Einseitiges Schuldeingeständnis
Die Selbstreflexion Felbermayrs vom Freitag lobt die ÖVP: „Ein wichtiger Schritt, da sie zeigt, wie notwendig es ist, wirtschaftspolitische Empfehlungen und Prognosen künftig mit der gebotenen Vorsicht zu bewerten – insbesondere in Krisenzeiten“, so die Kanzlerpartei in der Aussendung. Von der eigenen Selbstreflexion, trotz Warnungen der Wirtschaftsforscherinnen und -forscher nicht mehr Puffer in Krisenzeiten eingeplant zu haben, fehlt hingegen jede Spur.