IHS-Chef Bonin: „Politik muss immer einen Schuldigen finden“
Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) sieht im Entwurf des Doppelbudgets einen „großen Wurf“. Sie auch?
Holger Bonin
Prinzipiell ja. Weil es gar nicht so selbstverständlich ist, bei so einem großen Defizit in einer Drei-Parteien-Koalition vergleichsweise geräuschlos zusammenzufinden. Man sollte die Erwartungen auch nicht zu hoch hängen. Die Vorstellung, dass man ein Defizit mit 5,8 Prozent ohne Maßnahmen in kurzer Zeit schnell abbaut, ist vollkommen unrealistisch. Der größte Erfolg liegt für mich darin, dass man sich relativ reibungslos geeinigt hat. Und das, indem man wirklich versucht hat alle Teile der Bevölkerung mitzunehmen.
Doppelbudget
Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) hat am Dienstag ein Doppelbudget für 2025 und 2026 vorgelegt. Insgesamt sollen rund 15 Milliarden Euro eingespart werden. Darunter fällt die Auszahlung des Klimabonus, das Kürzen zahlreicher Förderungen, Einsparmaßnahmen in den Ministerien sowie ÖBB-Infrastrukturprojekte, die aufgeschoben werden. 2029 soll Österreichs Haushaltsdefizit dann wieder unter den Maastricht-Kriterien von drei Prozent liegen. Mitte Juni soll das Doppelbudget im Nationalrat beschlossen werden.
Ist das wirklich gelungen? Höhere Gebühren für neue Ausweise, kein Klimabonus mehr, ein teureres Klimaticket und Familienleistungen, die nicht mehr an die Inflation angepasst werden. Trifft das nicht einkommensschwache Haushalte besonders?
Bonin
Das lässt sich Stand heute noch gar nicht so einfach beantworten. Denn einige Punkte sind noch nicht ausgestaltet. Etwa die Einsparmaßnahmen der Ministerien. Oder wie sich das Ende der Korridorpension und die geplante Teilpension wirklich auswirken wird. Auch nicht, ob etwa bei teureren Ausweisen wirklich so viel Geld hereinkommt, wie man sich das heute vorstellt. Oder, wie die Regierung mit dem letzten Drittel der kalten Progression umgeht. Tendenziell würde ich aber sagen, dass die Regierung es geschafft hat, bei der Verteilung der Maßnahmen alle mitzunehmen.
Eine soziale Staffelung fehlt aber. Sehen Sie nicht das Risiko, dass manche Haushalte von den Kürzungen besonders betroffen sein werden?
Bonin
Das kann schon passieren. Beispielsweise war ich beim Klimabonus immer der Meinung, man sollte diesen nicht komplett abschaffen. Sondern eher nach oben hin, bei einkommensstarken Haushalten, deckeln. Weil es ja schon eine soziale Schieflage gibt, wenn Autofahren und Heizen teurer wird. Dafür war dieser Klimabonus ja auch ursprünglich gedacht, um denjenigen, die davon besonders betroffen sind, diese Verteuerung auszugleichen. Man sollte das auf jeden Fall beobachten, ob es zu sozialen Schieflagen kommt und gegebenenfalls nachjustieren.
Wie könnte das aussehen?
Bonin
Zum Beispiel, indem man es an die Mindestsicherung knüpft. In Form von bedarfsgeprüften Zahlungen. Sodass diese Gelder bei den Haushalten ankommen, die diesen Ausgleich wirklich brauchen. Ich gehe auch davon aus, dass Familien mit ein oder zwei Kindern diese Maßnahmen weniger stark spüren werden als etwa Alleinerziehende oder Familien mit drei oder mehr Kindern. Da kann das schon kritisch werden.
Gibt es auch Maßnahmen, die vor allem Besserverdiener treffen?
Bonin
Ja, aber vielleicht nicht unbedingt beim Doppelbudget. Sondern bei den jüngsten Änderungen, die diese Regierung bei der Korridorpension präsentiert hat. Hier wissen wir, dass das tendenziell Besserverdienende trifft. Vor allem gut bezahlte Fachkräfte haben die Möglichkeit genutzt, früher in Pension zu gehen und das vielleicht auch noch abschlagsfrei. In Summe bin ich der Meinung, dass das bislang Bekannte sehr ausgewogen ist.
Bereits vor der Budgetrede am Dienstag wurde sehr stark darüber diskutiert, dass vor allem bei Klimaförderungen gekürzt wird. Dann wurde bekannt, dass der Pendlereuro ab 2026 verdreifacht werden soll. Ist das sinnvoll?
Bonin
Als Ökonom hätte man das wahrscheinlich nicht gemacht. Weil man diese übergeordneten Klimaziele erreichen möchte. Möglicherweise ist das eine Maßnahme, um sich Zustimmung in der Bevölkerung zu sichern und die Aufregung über höhere Spritkosten nicht zu groß werden zu lassen. Mit der Bugdetkonsolidierung hat das nichts zu tun, eher im Gegenteil, wenn Wirtschaftsforscher betonen, dass klimaschädliche Subventionen gestrichen werden sollen.
Auch Förderungen für den Heizkesseltausch hat man zusammengestrichen. Maßnahmen, wie die Wärmewende dennoch gelingen soll, wurden aber nicht präsentiert.
Bonin
Ja und das hat bestimmt damit zu tun, dass dieses Thema momentan nicht besonders populär ist. Das sehen wir auch in Deutschland. In der Kanzlerrede von Friedrich Merz kam das so gut wie gar nicht vor. Dennoch bin ich der Meinung, dass sich die Haushalte – ebenso wie Unternehmen – auch Planungssicherheit verdient hätten. Also ein klares Szenario, bis wann fossile Heizungen im Bestand entfernt werden sollen.
Aber wie soll das gelingen?
Bonin
Hier bräuchte es eine klare Strategie und eine Priorisierung. Wie gehen wir mit den Haushalten um, die das rechtlich nicht können? Weil sie in einer Wohnung leben, die ihnen nicht gehört. Oder die es sich nicht leisten können, die Heizung zu tauschen. Hier erwarte ich mir eine klare Strategie, in der auch klar festgeschrieben ist, wem unter welchen Umständen wie viel gefördert wird.
Wie viel Geld das sein könnte, wird auch davon abhängen, wie sich die Wirtschaft entwickelt. Das Doppelbudget und der Pfad der Budgetkonsolidierung wurde unter der Annahme geplant, dass Österreichs Wirtschaft heuer um 0,3 Prozent des BIP schrumpft. Im ersten Quartal ist die Wirtschaft überraschenderweise aber um 0,2 Prozent gewachsen. Ändert das etwas am Gesamtvorhaben?
Bonin
Wäre ich in der Regierung, würde ich lieber noch länger im Team Vorsicht spielen. Denn der Konsolidierungsbedarf bleibt uns ja noch die nächsten Jahre erhalten. Lieber am Anfang etwas mehr einsparen, als am Ende dann doch zu wenig getan zu haben. Und woran dieses leichte Wachstum im ersten Quartal liegt, ist auch noch nicht ganz klar.
Woran könnte es liegen?
Bonin
Möglicherweise an Trumps Zöllen, dass viele Unternehmen vor Inkrafttreten noch versucht haben, möglichst viele ihrer Waren zu verkaufen. Sie sehen also: Bei der Budgetsanierung vor allem darauf zu hoffen, dass die Wirtschaft anspringt, kann nicht gelingen. Denn die Strukturprobleme bleiben. Und unser Budgetdefizit hängt mehr mit strukturellen Problemen zusammen als mit der Konjunktur. Mit einer alternden Gesellschaft, einem veralteten Pensionssystem und einer gesamtwirtschaftlichen Veränderung hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Um das Budget langfristig in Ordnung zu bringen, muss die Regierung genau diese Themen angehen.
Wie oft sprechen Sie darüber eigentlich mit dem Finanzminister?
Bonin
Finanzminister Marterbauer sucht auf jeden Fall das Gespräch mit uns. Das ist insgesamt zu spüren, dass diese Regierung bei allen Themen den Expertenrat sucht.
In der Vorgängerregierung gab es Stimmen, die den Prognosen der Wirtschaftsforscher die Schuld am Budgetdefizit gegeben haben. Ärgert Sie das?
Bonin
Nicht wirklich. Politik muss immer einen Schuldigen finden. Aber derjenige, der die schlechte Nachricht überbringt, ist nicht immer der, der diese schlechte Nachricht auch produziert hat.
Beobachter haben aber schon einen Punkt, wenn sie sagen: Wie soll man denn da kalkulieren können, wenn die Wirtschaftsforscher ständig ihre eigenen Prognosen revidieren.
Bonin
Ja. Das ärgert mich schon und gibt mir auch zu denken. Es ist schwieriger geworden, wirtschaftliche Entwicklungen vorherzusagen. Die Welt ist komplizierter geworden und Indikatoren, die lange auf zusammenhängende Entwicklungen hingewiesen haben, sind heute nicht mehr so stabil, wie sie einmal waren.
Gibt es Ansätze, hier entgegenzuwirken? Werden neue Modelle entwickelt?
Bonin
Ich glaube, wir müssen künftig stärker in Szenarien denken. Wir arbeiten daran, künftig stärker miteinzubeziehen, welche Auswirkungen beispielsweise Trumps Zölle haben könnten, in welcher Spanne wir uns hier bewegen. Gleichzeitig müssen wir auch viel stärker kommunizieren, dass es eben immer eine gewisse Breite gibt. Das ist nicht so einfach und es waren ja nicht nur wir in Österreich, die Prognosen revidieren mussten, auch in Deutschland gibt es dieses Problem. Hier müssen wir wirklich schauen, wie wir zu besseren Daten kommen und wie uns das künftig besser gelingt. Denn wir sind bestimmt nicht die Erfüllungsgehilfen einer Regierung.
Was muss denn diese Regierung als Nächstes angehen, um in dieser Legislaturperiode noch ins Gestalten zu kommen?
Bonin
Auf jeden Fall eine nachhaltige Pensionsreform. Heute zu sagen „wenn Szenario X eintritt, muss die Nachfolgeregierung nachbessern“ ist zu wenig. Ein Pensionsantrittsalter kann man nicht über Nacht erhöhen. Außerdem ergibt sich gerade ein gutes Zeitfenster, um tiefergehende Strukturreformen, Stichwort Föderalismus, anzugehen. Damit würde man viele andere Themen, etwa im Bildungsbereich, in der Pflege und Gesundheit und in der Kinderbetreuung mitnehmen. Und es braucht eine langfristige Industriestrategie, um den Wohlstand in diesem Land nachhaltig abzusichern.
Ist das realistisch?
Bonin
Wenn man diesen Konsens, den es momentan gibt, bewahren kann, halte ich das für möglich. Denn trotz dieser geplanten Einsparmaßnahmen ist die Stimmung in der Bevölkerung nicht gekippt. Es scheint, als gebe es ein gewisses Maß an Vertrauen gegenüber der Regierung. Mit dem Kompromissmechanismus der Sozialpartnerschaft hat Österreich jedenfalls gute Voraussetzungen dafür.
Zur Person
Holger Bonin (56) leitet seit 2023 das Institut für Höhere Studien (IHS). Er ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Kassel und leitete zuvor das deutsche Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Er forscht verstärkt zu Arbeits- und Bildungsökonomie. Gleichzeitig mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) erstellt das IHS vierteljährlich jene Konjunkturprognosen, die als Grundlage für die Budgeterstellung dienen und nach Brüssel gemeldet werden.