Harald Mahrer und Elisabeth Köstinger

Handel: Bauer gegen Billa

Sind die heimischen Landwirte im Würgegriff der Handelsriesen? Nach den Attacken der türkisen Ministerin Elisabeth Köstinger schlägt die türkise Wirtschaftskammer zurück.

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Das Leben einer Ministerin ist eng getaktet. Die meisten Termine sind bereits Wochen zuvor festgelegt. Nur in wirklich wichtigen Fällen wird der Zeitplan umgeworfen, wenn die Chefin zum Kanzler muss oder rasch ins Parlament. Ein kurzfristiger Termin bei einem Handelskonzern zählt nicht zu den dringlichen Fällen. Wahrscheinlich weiß man das bei Rewe (Billa, Penny, Adeg) auch. Dennoch lud Billa ÖVP-Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger vergangene Woche ein, am 4. Oktober an den "Billa-Tischgesprächen" teilzunehmen. Titel: "Erntedank - wofür und an wen?". Die Veranstaltung soll dazu dienen, "gemeinsam mit Landwirtschaft, Konsumentenschutz und Kundenvertretern kontroversielle Themen, Vorwürfe und Vorurteile, aber auch Verbesserungsmöglichkeiten" zu diskutieren.

"Die Praxis der Handelsriesen gefährdet den Bauernstand"

Diskussionsbedarf zu Kontroversen und Vorwürfen gibt es zuhauf. Vergangene Woche attackierte Elisabeth Köstinger im profil die Handelsketten in bemerkenswerter Schärfe. Landwirtschaft und Lieferanten, so Köstinger, hätten gegen die Einkäufer von Billa, Spar und Hofer "keine Chance": "Das sind zum Teil erpresserische Zustände. Wer sich wehrt, wird ausgelistet. Das ist kein fairer Wettbewerb, das sind unfaire Praktiken." Es gäbe ein Missverhältnis zwischen den Erzeuger- und Regalpreisen: "Steigen die Preise für Konsumenten, schöpft der Handel diese Marge ab und gibt sie nicht an die Bauern weiter. Zahlen die Konsumenten weniger, trägt das nicht der Handel, sondern der Bauer bekommt entsprechend weniger." Und auch die Konsumenten würden getäuscht: "Der Preiskampf findet jeden einzelnen Tag am Regal statt. Der Handel lockt die Kunden mit billigen Eiern oder billiger Milch. Was die Ketten da verlieren, holen sie sich durch Aufschläge bei anderen Produkten wieder herein." Köstingers Fazit: "Die Praxis der Handelsriesen gefährdet den Bauernstand."

Wie spannungsgeladen das Verhältnis ist, zeigt Köstingers harsche Reaktion auf die PR-getriebene Einladung von Billa. Sie halte es für schlechten Stil, einen Termin "medial zu diktieren". Im Übrigen, so Köstinger, sei sie an diesem Tag verhindert.

Wer bekommt wie viel?

Das Economica-Institut für Wirtschaftsforschung erstellte für den Fachverband des Lebensmittelhandels eine Studie zur durchschnittlichen Zusammensetzung der Regalpreise in einem Supermarkt. Ergebnis: Bei einem Einkauf von Waren um 100 Euro gehen 24,5 Euro an die Bauern und knapp 18 Euro an die Nahrungsmittelindustrie. Dem Handel bleiben 16,5 Euro und unterm Strich ein Euro Gewinn.
 

Die Replik der Billa-Kommunikationsabteilung: Man finde die Tonalität der Antwort "sehr befremdlich". Das Gesprächsangebot stehe "aber nach wie vor".

So schnell wird es wohl nicht zu einem Tischgespräch kommen. Allerdings sind die Billa-Vertreter nicht die einzigen, die Köstingers Kritik "befremdlich" finden. Beim "Tag des Handels" Donnerstag und Freitag in Gmunden wurde die Causa intensiv thematisiert, wie Teilnehmer berichten. Schon zuvor hatte Spar-Chef Fritz Poppmeier "die aggressiven Aussagen" zurückgewiesen. Auch der Handelsverband kritisierte das "pauschale Bashing" und warf Köstinger im Gegenzug Versäumnisse vor. Der Lebensmitteleinzelhandel habe bereits vor Jahren die Einrichtung einer Ombudsstelle angeregt, um Probleme zwischen Landwirtschaft und Handel zu lösen. Von politischer Seite habe es dafür keine Umsetzung gegeben.

Ganz ungerechtfertigt ist die Kritik nicht. Um die europäischen Landwirte vor unlauteren Handelspraktiken im Agrar- und Lebensmittelsektor zu schützen, erließ die Europäische Kommission im April 2019 eine eigene Richtlinie. Köstinger selbst hatte diese während der österreichischen EU-Präsidentschaft 2018 federführend mitentwickelt. Die Richtlinie sieht auch die Möglichkeit vor, Ombudsstellen einzurichten. Doch ausgerechnet Österreich setzte die Regelung nicht um. Im Juli leitete die Kommission deswegen ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Die notwendigen Gesetze seien fertig, heißt es aus dem zuständigen Wirtschaftsministerium. Es fehle nur noch die Abstimmung mit dem grünen Koalitionspartner.

"Mit großer Verwunderung und Unverständnis" reagierte auch Christian Prauchner, Bundesobmann des Lebensmittelhandels in der Wirtschaftskammer. Man weise "die unsachlichen Unterstellungen sowie die deplatzierte Wortwahl von Bundesministerin Elisabeth Köstinger im Namen der gesamten Branche auf das Schärfste zurück". Dass sich zwei hochrangige ÖVP-Vertreter öffentlich Unfreundlichkeiten ausrichten, kommt nicht alle Tage vor. Köstinger ist immerhin Vizepräsidentin des ÖVP-Bauernbundes und Prauchner, unabhängiger Betreiber eines Spar-Marktes in Niederösterreich, Funktionär im ÖVP-Wirtschaftsbund.

In der türkisen Wirtschaft herrscht eine gewisse Fassungslosigkeit ob der Wortwahl der Ministerin. Der Präsident von Wirtschaftskammer und Wirtschaftsbund, Harald Mahrer, wollte sich auf profil-Anfrage nicht äußern. Kanzler und Parteichef Sebastian Kurz steht hinter Köstinger. Sie gilt als eine seiner engsten Vertrauten. Manche in der ÖVP vermuten, Köstinger wolle gezielt bei den Landwirten punkten, nachdem sie sich in den vergangenen Monaten vor allem um den Tourismus kümmerte.

Schon bei der Eröffnung der Rieder Messe vor zwei Wochen hatte sich die Ministerin den Handel vorgeknöpft - im Beisein von Landeshauptmann Thomas Stelzer, der sich der Kritik allerdings nicht anschloss. Kein Wunder: Der Lebensmittelhandel ist gerade in Oberösterreich ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Die Hofer-Gruppe hat ihren Konzernsitz in Sattledt. Spar betreibt in Marchtrenk eine Regionalzentrale, ein Fleischwerk (Tann) und eine eigene Kaffeerösterei (Regio).

Jammern ist bekanntlich der Gruß der Händler. Wirtschaftskammer-Funktionär Prauchner kann detailliert vorrechnen, warum seine Branche keineswegs ein böser Profitmaximierer ist. So betrage die Umsatzrendite im Lebensmittelhandel weniger als ein Prozent. Und es seien beileibe nicht die Händler, die am meisten vom Verkauf der Lebensmittel profitieren würden. Dies würde eine Untersuchung des Economica-Instituts für Wirtschaftsforschung im Auftrag des Fachverbands des Lebensmittelhandels beweisen.

In der Studie wurde die Zusammensetzung des Regalpreises der Supermarkt-Waren im Schnitt berechnet. Wer nach einem großen Wochenendkauf die Tragtaschen ausräumt, weiß nun, wohin sein Geld geht: 24,5 Prozent des Preises entfallen auf die Landwirtschaft und knapp 18 Prozent auf die Lebensmittelindustrie. Der Lebensmitteleinzelhandel liegt laut der Studie mit 16,5 Prozent an dritter Stelle. Die restlichen Kosten verteilen sich auf diverse Vorleistungen wie Verpackung, Transport, Beratung oder Werbung (siehe Grafik).

Vertriebsalternativen fehlen

Allerdings sind die Unterschiede der Spannen bei den Produkten beträchtlich. Vor allem im Bereich der Grundnahrungsmittel wie Milch, Fleisch, Eier, Obst und Gemüse kritisiert der Bauernbund "Verzerrungen".Ein Liter Milch kostet im Supermarkt 1,30 Euro. Davon bleiben - grob gerechnet - beim Handel 50 Cent. 40 Cent erhält der Bauer und 20 Cent die Molkerei. Bei Fleisch gehen laut Bauernbund nur 17 Prozent des Regalpreises an den Bauern, bei Brot vier Prozent.

Rabatte, Sonderangebote und Aktionen der Supermarktketten drücken die Einkommen der Landwirte weiter nach unten. Vertriebsalternativen fehlen. Denn die großen drei - Spar, Rewe und Hofer - haben gemeinsam einen Marktanteil von 90 Prozent am Lebensmitteleinzelhandel. Dessen Gesamtumsatz lag 2020 bei 24 Milliarden Euro. Die Ausgaben für Werbung sind enorm. In einem Ranking des Focus-Marktforschungsinstituts liegen Rewe (204 Millionen Euro Bruttowerbewert) und Spar (182 Millionen Euro) unter allen heimischen Betrieben voran. Nur der Möbelhändler Lutz wirbt mit 172 Millionen Euro ähnlich viel. Zum Vergleich: Die Telekom Austria gibt 54 Millionen Euro für Werbung aus.

Nach ihrer harten Kritik erhielt Köstinger Schützenhilfe von der Landwirtschaftskammer. Deren Präsident, Josef Moosbrugger, kritisiert, dass "unsere bäuerlichen Familienbetriebe unter enormem Druck" stünden, "während andere in der Wertschöpfungskette Rekordergebnisse feiern". Gemeint: Billa, Spar und Hofer. Tatsächlich zählt der Lebensmittelhandel zu den Profiteuren der Corona-Krise. Die Umsätze stiegen 2020 um sieben Prozent. Die Einkommen in der Land- und Forstwirtschaft erhöhten sich in diesem Jahr ebenfalls, wenn auch um karge 1,4 Prozent.

Dass sich die Lage der Bauern verbessert, liegt - zumal in einem derart regulierten Markt - allerdings auch im Verantwortungsbereich des Landwirtschaftsministeriums. Mit Ausflüchten tut sich die Volkspartei schwer. Der ÖVP-Bauernbund stellt durchgehend den Landwirtschaftsminister - seit 1987.

Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.