Ein unerwarteter Geldsegen ergoss sich im Juni des Vorjahres über Dutzende Vereine und NGOs. Viele ahnten nichts, manche hatten vage Vermutungen, weil sie nach Details ihrer Organisation gefragt worden waren, und einige erfuhren von ihrem Glück erst bei einer Pressekonferenz. 50 möglichst repräsentativ ausgewählte Bürgerinnen und Bürger hatten über Monate hinweg diskutiert, was mit Marlene Engelhorns Erbe passieren soll. Letzten Juni verkündeten sie ihre Entscheidung. Seitdem ist ein Jahr vergangen. Die Überraschung wurde überwunden, die ersten Raten ausbezahlt und Pläne mehrmals gewälzt. Jetzt stellt sich die Frage: Was haben die vom „Guten Rat für Rückverteilung“ auserwählten Organisationen mit ihrer Spende gemacht? Änderte sich dadurch etwas? Ein Überblick:
77 Organisationen erhielten zwischen 1,6 Millionen und 40.000 Euro, aufgeteilt in Raten über vier Jahre. Für die einzelnen Organisationen nehmen die Beträge sehr unterschiedliche Größenordnungen ein: Beim gewerkschaftsnahen Momentum Institut macht die erste Rate (245.000 Euro) etwa ein Achtel des Jahresbudgets aus, während es bei Attac (200.000 Euro) fast 40 Prozent sind.
Für viele Organisationen war es befreiend, einmal nicht-zweckgebundene Mittel zu bekommen. Bei der Arche Noah etwa „war es ein Abwägen zwischen einem sichtbaren Projekt, wie etwa einer Streuobstwiese mit alten Sorten, und dem grundsätzlichen Bedarf der Organisation“, erzählt deren Sprecher Axel Grunt. Letztlich entschied man sich aber dafür, das Geld in Digitalisierung, einen zusätzlichen Gärtner und einen Mitarbeiter in Brüssel zu investieren. Das mag etwas ernüchternd klingen, organisatorisch ist es durchaus nachvollziehbar.
Geld kommt immer zu einem guten Zeitpunkt. Für viele Organisationen war es diesmal ein besonders guter. Es kam einiges zusammen: „Wir spüren den Spardruck der öffentlichen Hand sehr stark“, sagt etwa Elisabeth Hammer, Geschäftsführerin der Wohnungslosenhilfe Neunerhaus. Dazu kommt, dass „die Spendenbereitschaft angesichts der Teuerung nicht zunimmt“, erzählt David Walch von der globalisierungskritischen NGO Attac, und letztlich: „Wir haben uns während der blau-schwarzen Regierungsverhandlungen große Sorgen gemacht“, so Martin Schenk von der Armutskonferenz. „Wir haben Kollegen in Ungarn. Dort wurde Arbeit mit Obdachlosen etwa kriminalisiert.“
Naturschutzbund: Doppelt so viele Flächen
Für den Projektleiter des Naturschutzbunds, Gernot Neuwirth, war die Millionenzusage „wie ein Geschenk des Himmels.“ Seit Jahrzehnten kauft der Verein Moore, Wiesen und Wälder an. Sie wählen strategisch Flächen aus, in denen spezielle Arten vorkommen oder die verbaut werden könnten. Doch der Naturschutzbund kauft nicht nur Flächen, sondern tritt gegen Windkraftprojekte aus Naturschutzgründen auf.
Und hier wird es interessant. Im Gegensatz zu den anderen Organisationen wurde die Spende an den Naturschutzbund an konkrete Bedingungen geknüpft. Der Großteil der Summe (rund 85 Prozent) fließt in den Naturfreikauf, fünfzehn Prozent werden für die Organisation und für die Pflege der gekauften Flächen verwendet.
„Wir kauften heuer über 30 Flächen in fünf Bundesländern. Vier Jahre lang können wir doppelt so viele ankaufen wie sonst.“ Werden auch Gelände, wo Windparks entstehen könnten, gekauft? „Nein, politische Flächenkäufe fallen nicht in unsere Naturfreikaufstrategie“, sagt Neuwirth.
Sie möchten ein neues Projekt starten, um Obdachlose in den Arbeitsmarkt zu bringen.
Neunerhaus-Geschäftsführerin Elisabeth Hammer
Sie möchten ein neues Projekt starten, um Obdachlose in den Arbeitsmarkt zu bringen.
Neunerhaus: Arbeit finden
Knapp vor dem Gürtel in Wien-Margareten lädt ein Café zum Verweilen ein. Es ist ein besonderes Café. Obdachlose werden hier beraten, daneben befindet sich ein Gesundheitszentrum für Nicht-Versicherte. Während Neunerhaus-Chefin Elisabeth Hammer für das Foto posiert, kommentieren die Cafégäste den besten Winkel.
Genau dieses Café steht im Zentrum der neuen Strategie. Das Neunerhaus hat einen Prozess gestartet, angelehnt an den „Guten Rat“, wie es mit dem Geld umgehen will. „Wir wollten etwas wirklich Innovatives machen, wofür wir keine öffentliche Unterstützung – zumindest für den Projektstart -bekommen würden. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter waren sehr motiviert durch die Spende.“ Das Neunerhaus möchte „Menschen, die zu uns kommen, auch auf der Suche nach Arbeit unterstützen.“ Denn der Einstieg in den formalen Arbeitsmarkt ist ein Schlüssel, um auf eigenen Beinen zu stehen und auch das Wohnen wieder aus eigener Kraft zu stemmen. Und das Café soll hier der Angelpunkt werden.
„Wir hatten schon Sparpläne am Tisch, so konnten wir eine Youtube-Liveshow starten und eine neue Chefökonomin anstellen.“
Momentum-Institut-Leiterin Barbara Blaha
„Wir hatten schon Sparpläne am Tisch, so konnten wir eine Youtube-Liveshow starten und eine neue Chefökonomin anstellen.“
Momentum: Youtubeshow und Chefökonomin
Marlene Engelhorn und das Momentum Institut verbindet eine lange Beziehung. Marlene Engelhorn spendete 2023 155.000 Euro an den gewerkschaftsnahen Thinktank. Dessen Großspendenbetreuerin übernahm die Projektleitung des „Guten Rats“. Die Bürgerinnen und Bürger diskutierten dort wiederum, ob es komisch sei, dem Institut Geld zu geben, berichtete „Der Standard“. „Ich habe Marlene Engelhorn davor gefragt, ob es für ihr Projekt besser ist, uns auszuschließen. Sie meinte, sie möchte in den Rat nicht eingreifen, das entscheiden die Bürgerinnen und Bürger“, sagt Momentum-Chefin Barbara Blaha. Letztlich bekam das Institut 245.000 pro Jahr vom „Guten Rat“ zugesprochen.
Auch für Blahas Thinktank kommt das Geld zu einem günstigen Zeitpunkt. „Die Privatstiftung der Gewerkschaften hat uns die ersten fünf Jahre unterstützt. 2024 war das letzte Jahr, der Gute Rat füllt hier ein Loch.“ Die Gewerkschaft gab dem Thinktank im Vorjahr die letzte Spende in der Höhe von 400.000 Euro. „Wir hatten schon Sparpläne am Tisch, so konnten wir eine Youtube-Liveshow starten und eine neue Chefökonomin anstellen.“ Und Marlene Engelhorn – sie spendet weiterhin an Momentum, mittlerweile jedoch als monatliche Kleinspenderin.
Für ihn braucht jedes Projekt einen systemkritischen Ansatz.
Martin Schenk von der Armutskonferenz
Für ihn braucht jedes Projekt einen systemkritischen Ansatz.
Was bleibt?
Marlene Engelhorn will explizit keine Philanthropin sein. Aber ist die Ratsentscheidung nicht genau das? Eine Vielzahl an Organisationen bekommen Geld, über das sie autonom verfügen können. Aber was verändert das grundsätzlich? Vom Guten Rat hieß es dazu, sie wollen darauf aufmerksam machen, welche Bereiche mehr Geld brauchen und woher es kommen soll. Tatsächlich schaffte der „Gute Rat“ mit seiner PR-Arbeit eine professionelle Kampagne für mehr Vermögensverteilung.
Einige Organisationen auf der Liste hätten vermutlich die Jahre der Teuerung nicht ohne das Geld des „Guten Rats“ durchgestanden. Aber eine Systemveränderung? Für Martin Schenk von der Armutskonferenz sollte in jeder noch so kleinen Idee ein systemkritischer Zugang mitgedacht werden: „Wir begleiten Menschen still auf Amtswegen. Das ist ein kleines Projekt, hat aber die große Vision: Wir wollen den Sozialstaat demokratisieren und ein paternalistisches Modell ändern.“