Marlene Engelhorn: „Ich bin ein Crouton, vollgesogen von Reichensuppe.“

Von Clara Peterlik
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Marlene Engelhorn begann im Juni des vergangenen Jahres ein neuer Lebensabschnitt. Sie hatte von ihrer Großmutter mehr als 25 Millionen Euro geerbt, das Vermögen stammte aus dem Verkauf des Pharmaunternehmens Boehringer Mannheim. Doch sie wollte nicht als Privatière leben und ließ 50 Bürgerinnen und Bürger, die möglichst repräsentativ ausgewählt wurden, über das Erbe entscheiden. Die trafen sich über Monate, diskutierten und stimmten am Ende darüber ab, was mit dem Geld geschehen sollte. So verteilten sie Engelhorns Erbe an 77 verschiedene Organisationen, die das Geld in Raten über vier Jahre bekommen. profil hat sich nun genau angeschaut, was mit dem Geld passiert ist. Und mit Marlene Engelhorn ein Jahr nach der Aktion über ihre Sicht der Dinge gesprochen.
Vor fast genau einem Jahr wurde Ihr Erbe verteilt. Würden Sie es wieder so machen?
Marlene Engelhorn
Ich würde auf jeden Fall wieder den demokratischen Weg gehen. Im Idealfall würde meine Erbschaft – wenn ich wieder eine bekäme – besteuert. Das ist mein Wunschszenario. Ich halte aber Bürgerinnen- und Bürgerräte nach wie vor für ein wunderbares demokratisches Werkzeug. Also ich stehe schon voll dahinter.
Ihr Ziel war es auch, einen Prozess zu schaffen, der inspiriert und ein Vorbild wird. Haben sich andere reiche Leute inspirieren lassen?
Engelhorn
Ein Vorbild nicht. Ich wusste, dass die meisten überreichen Menschen ungern transparent sind und Verantwortung übernehmen, was sie mit ihrem Geld machen. Wenn, dann nur in dem Rahmen, den Sie selbst stecken können. Das ist aber bei einer größeren Medienöffentlichkeit nicht der Fall. Da kann man sich nicht aussuchen, wie man wahrgenommen wird. Und das ist wichtig und gut so.
Ich bin so Wien-zentriert, die Freiwillige Feuerwehr hatte ich nicht am Schirm.
Marlene Engelhorn
über die Ratsentscheidung
Aber gab es konkret Nachahmer?
Engelhorn
Bei philanthropischen Projekten in ähnlicher Größenordnung muss man sich jetzt fast die Frage stellen, ob Macht anders verteilt werden kann. Kann man da nicht auch einen Ansatz wählen, der die philanthropische Person nicht so heroisch in den Vordergrund rückt – nach dem Motto: „Boah, Gott sei Dank ist diese Superreiche so super.“ Konkret habe ich zwei Projekte im Kopf, die sehr nah dran sind. Sie sind nicht in Österreich und noch in Vorbereitung.
Von den 77 Projekten, die im Vorjahr Geld von Ihnen bekommen haben, was ist das Lieblingsprojekt der Marlene Engelhorn?
Engelhorn
Nein, also ich habe kein Lieblingsprojekt, ähnlich wie ich kein Lieblingsbuch und keinen Lieblingsfilm habe. Ich meine, mein Steckenpferd ist vor allem die Verteilungsfrage, aber ich finde, das Schöne an dieser Liste ist, dass nicht nur Organisationen draufstehen, wo ich sofort sage, ja genau, das sind meine Lieblinge, sondern im Gegenteil, da stehen auch Organisationen drauf, an die ich nie gedacht hätte.
An wen zum Beispiel?
Engelhorn
Ich bin so Wien-zentriert, die Freiwillige Feuerwehr hatte ich nicht am Schirm, oder ein gutes Beispiel ist auch der Fußballklub für Inklusion. Wenn, dann ist mein Lieblingsprojekt der Gute Rat, dass die das alle so gut hingekriegt haben.

© AFP/APA/AFP/JOE KLAMAR
Der Gute Rat für Rückverteilung
Am 18. Juni verkündeten die 50 Bürgerinnen und Bürger ihre Entscheidung.
Der Gute Rat für Rückverteilung
Am 18. Juni verkündeten die 50 Bürgerinnen und Bürger ihre Entscheidung.
Aber ein Jahr später – was ist geblieben vom Guten Rat für Rückverteilung? Was hat funktioniert und was nicht?
Engelhorn
Eine externe Evaluatorin hat uns ein sehr gutes Zeugnis ausgestellt. Die einzige Kritik war, dass es beim letzten Wochenende ein bis zwei Stunden mehr gebraucht hätte. Was ich interessant fand, war der Bericht der Otto Brenner Stiftung. Sie haben die mediale Berichterstattung kritisiert. Es war eine sehr verkürzte Debatte. Sie ging viel um mich als Person, kaum um die Frage, wie das Vermögen in Österreich wirklich verteilt ist. Es wäre interessant gewesen, das medial aufzugreifen.
Das Geld ging an 80 Organisationen. Das wirkt sehr gießkannenartig.
Engelhorn
Ich finde den Vorwurf der Gießkanne nicht berechtigt. Die Gießkanne stimmt nur, wenn man sich einen Garten vorstellt, wo es die unterschiedlichsten Pflanzen gibt. Es gibt Blumen, Büsche und Bäume. Sie brauchen alle unterschiedlich viel Wasser. Und ich kann die mit einer Gießkanne gießen, aber alle unterschiedlich lange. Und das ist ein schönes Bild dafür, wie die Ausschüttungen auch ausgestaltet wurden von diesem Bürgerinnen- und Bürgerrat.
Aber Sie wollten mit dem Guten Rat strukturelle Veränderungen anstoßen. Ist das passiert?
Engelhorn
Nicht strukturelle. Ein Ratsmitglied, Dietmar Feuerstein, hat das bei der Pressekonferenz sehr klar beantwortet: Die ausgewählten Organisationen stehen stellvertretend für die Bereiche, wo in den Augen des Guten Rates deutlich mehr passieren müsste. Wenn man das auf die Ausgabenpolitik einer Regierung überträgt, dann kommen wir in strukturelle Veränderungen. Denn dann stehen plötzlich andere Summen zur Verfügung.
Ich muss da den Finanzminister ein bisschen in Schutz nehmen.
Marlene Engelhorn
über Markus Marterbauer
Die Ausgaben und Einnahmen der Regierung werden gerade sehr viel diskutiert. Wie sehen Sie das Sparbudget?
Engelhorn
Beim aktuellen Budget wurden Klimaförderungen rausgestrichen, obwohl wir wissen, dass uns das in Wahrheit teuer zu stehen kommt. Trotzdem ist es der österreichischen Bundesregierung wichtiger, die Komfortzone von überreichen Menschen unangetastet zu belassen. Allein durch die Zurückführung der Konzernsteuer von 23 auf 25 Prozent könnten wir 1,2 Milliarden jährlich einnehmen und stattdessen die ganzen Sozialkürzungen lassen.
Als profil das letzte Mal mit Ihnen gesprochen hat, war Vorwahlkampfzeit. Damals waren Millionärssteuern ein großes Thema, im Regierungsprogramm kommen sie nicht vor.
Engelhorn
Ich muss da den Finanzminister ein bisschen in Schutz nehmen, der nämlich in der „ZIB 2“ bei Armin Wolf gesagt hat, dass er Vermögensteuern für richtig und für gut hält. Er hat dann aber auch das gemacht, was er als Berufspolitiker machen muss. Es gibt eine Partei, die findet das super, und es gibt zwei Parteien, die finden das nicht so super. Aber er steht für den Kompromiss ein, und da habe ich schon Respekt davor. Und es ist nicht so, als wäre es komplett vom Tisch.
Noch einmal zum Guten Rat. Für viele Organisationen ist es budgetär ein schwieriger Moment. Es wird gespart, das Geld vom Guten Rat stopft auch Löcher. Enttäuscht Sie das?
Engelhorn
Nein, der wichtigste Finanzierungsposten ist die Strukturförderung. Sobald man sich mit Organisationen beschäftigt, merkt man sehr schnell, dass die allermeisten vor allem ihre laufenden Kosten decken müssen, um überhaupt Projekte stemmen zu können. Stattdessen erfindet man ständig Projekte, um über die Querfinanzierung die Stellen zu halten und Löcher zu stopfen. Die Ratsmitglieder haben aber verstanden, dass es wichtig ist, den Projekten oder den Organisationen zu vertrauen und keine Bedingungen zu stellen. In der progressiven philanthropischen Bubble setzt sich das langsam durch.
Gab es im Nachhinein betrachtet irgendeinen Moment, wo Sie sich politisch instrumentalisiert gefühlt haben?
Engelhorn
Nein, aber ich fand es ziemlich peinlich, dass manche Politiker:innen behaupteten, dass das Ganze nicht demokratisch sei, weil ich ja keine gewählte Regierungsvertreterin bin. Aber das war ja nie mein Anspruch! Ich muss auch mit den Zähnen knirschen, wenn behauptet wird, das soll jetzt eine Alternative sein zur klassischen Philanthropie über Stiftungen. Nein, es sollen nicht Bürgerinnen- und Bürgerräte statt Stiftungen wie die Schwammerl aus dem Boden wachsen! Ich habe das gemacht, um darauf aufmerksam zu machen, dass Vermögen besteuert werden muss. Viele Demokratien in Europa genossen hohes Vertrauen bei ihren Bürgern, als Vermögen hoch besteuert wurde, und das hat einen Grund: weil eine Balance da war. Ich will auf keinen Fall zurück in die 1970er, aber ich finde, dass budgetpolitisch damals schlauer agiert wurde. Am Ende des Tages geht es darum, dass alle Menschen ein gutes Leben haben können, unabhängig davon, ob wir sie sympathisch finden oder nicht, sondern einfach aus Prinzip.
Sie bekamen sehr viele Anfragen von Leuten, die Sie um Geld baten, und haben das auch auf Social Media thematisiert. Ist das noch immer so?
Engelhorn
Ich bekomme viele Anfragen aus Brasilien. Dort wurde in einem Artikel gesagt, ich sei die BASF-Erbin, was schon mal nicht stimmt.
Das steht in sehr vielen Berichten.
Engelhorn
Meine Familie hat seit 1885 nichts mehr mit BASF zutun. Jedenfalls hieß es da wohl, ich suche Leute, um ihnen Geld zu geben, sie müssten sich nur melden. Bei so vielen Anfragen schaffe ich es nicht, allen zu antworten. Es gibt zu viele Menschen, die so verzweifelt sind, dass sie nicht wissen, wohin sie sich wenden können, und dann nach Österreich irgendeinem Rich Kid schreiben. Wir müssen es schaffen, dass niemand mehr in diese Verlegenheit kommt, einer wildfremden öffentlichen Figur eine unterwürfige Mail zu schreiben, damit sie sich erbarmt. Erbarmen ist etwas, das wir normalerweise mit Gott assoziieren. Es kann doch nicht sein, dass Überreiche solche Macht haben!
Sie haben im Vorjahr gesagt, Ihr Ziel sei es, Teil der 99 Prozent zu werden und nicht mehr Teil der Reichensuppe zu sein. Ist Ihnen das gelungen?
Engelhorn
Ich bin auf dem besten Wege. Die Rückverteilung des Guten Rats wird über ein Treuhandkonto abgewickelt, darauf habe ich auch keinen Zugriff. Juristisch gesehen bleibt es mein Eigentum, aber wenn ich morgen sage, ich will jetzt Impfgegner sponsern, dann würden mich die Treuhänderinnen und Treuhänder auslachen. Die Ausschüttungen laufen bis 2029, ab dann ist wirklich alles rückverteilt. Vorausgesetzt, ich erbe davor nicht noch mal, was ja auch immer mal passieren kann. Überreiche erben immer zweimal, mindestens.
Warum erben Sie zwei Mal?
Engelhorn
In überreichen Familien ist das der Normalfall. Mein Erbe, das vor allem vom Guten Rat rückverteilt wurde, kam von meiner Großmutter. Solange das Vermögen in meiner Familie sich nicht in Luft auflöst, gibt es noch mindestens eine große Übertragung. Darum ist mir die Besteuerung so wichtig – diese Schieflage muss strukturell und politisch korrigiert werden.
Ich bin ein Crouton, vollgesogen von Reichensuppe. Ich kann raus und kann ein bisschen trocknen, aber ein bisschen was ist immer da.
Marlene Engelhorn
über ihren Weg in die 99 Prozent
Und wie schaut es mit Ihrem Einstieg in die Arbeitswelt aus?
Engelhorn
Ab 2026 bin ich hoffentlich so weit und nicht mehr abhängig vom Vermögen. Aber man darf nie vergessen: Ich bin reingeboren in diese Klasse, ich werde immer privilegiert sein in einem Ausmaß, das für viele Menschen unvorstellbar ist. Allein durch die Tatsache, dass, wenn bei mir irgendwas schiefgeht, ich nur zu Hause anrufen muss. Insofern werde ich nie völlig aus der Reichensuppe rauskommen. Man kann es sich so vorstellen: Ich bin ein Crouton, vollgesogen von Reichensuppe. Ich kann raus und kann ein bisschen trocknen, aber ein bisschen was ist immer da.
Und in welche Richtung wird es gehen? Werden Sie etwas überraschend Langweiliges wie Buchhalterin?
Engelhorn
Ich finde an Buchhaltung nichts langweilig. Aber sagen wir es so, ich werde bestimmt nicht so schnell von jeder Bildfläche verschwinden. Ich spiele momentan ja auch Theater. Das heißt, ich werde mich weiterhin engagieren und öffentlich bleiben. Wie genau und was genau, wie intensiv, wie laut, das sind so Sachen, das werden wir dann sehen.
Und schließen Sie noch Ihr Studium ab?
Engelhorn
De facto bin ich eingeschrieben, aber habe keinen Abschluss. Aber wir haben in Österreich ja die eine oder andere Bummelstudentin, und dann gehöre ich halt dazu. Und das ist wieder ein gutes Merkmal, das zeigt, wie privilegiert ich bin, weil das muss man sich auch leisten können.

Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.