Wie Österreichs Unternehmen Greenwashing betreiben

Vier von fünf Energieunternehmen betreiben Greenwashing bei fossilem Gas, zeigt eine gemeinsame Recherche von profil und „Global 2000“.

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Mit der Geschwindigkeit eines durchschnittlichen Radfahrers kommt es nach Österreich. Eingefasst in dicke Pipelines, oft aus Tausenden Kilometern Entfernung. Später wird es weitergeleitet, in kleineren Rohren, zu den Haushalten. Und dann verbrannt, meist in Thermen zum Heizen. Erdgas gehört zu den wichtigsten fossilen Energieträgern. Knapp neun Milliarden Kubikmeter pro Jahr verbrauchen Österreichs Haushalte.  

Erdgas hat ein Ablaufdatum. Die zahlreichen Klimaziele der internationalen Gemeinschaft sehen weitgehende oder vollständige Klimaneutralität vor, also null Emissionen in nicht allzu ferner Zukunft. Und eben dieses Vorhaben geht nicht zusammen mit der Verbrennung von Gas. 

Bei ihr entsteht nämlich jede Menge klimaschädliches CO2, genauso wie bei Öl und Kohle. „Um die Erreichung der Klimaschutzziele Österreichs bis 2040 zu gewährleisten, muss auf die Verbrennung von Heizöl, Kohle und fossilem Gas für die Bereitstellung von Wärme und Kälte weitestgehend verzichtet werden“, liest man deshalb im türkis-grünen Regierungsprogramm. Was die gesamte EU betrifft, sagte Werner Hoyer, Chef der Europäischen Investitionsbank (EIB), im vergangenen Jänner ziemlich pointiert: „Um es milde auszudrücken: Gas ist vorbei.“ 

In der österreichischen Energiewirtschaft ist diese Erkenntnis allerdings noch nicht angekommen. Das zeigt eine gemeinsame Recherche von profil und der Umweltschutzorganisation Global 2000. Das Ergebnis: Österreichs Energielieferanten bewerben das hochumstrittene Gas als umweltfreundlich, präsentieren es als Teil der nachhaltigen Zukunft  und unterstützen mitunter gar Kunden mit Förderungen, wenn sie sich zum Einbau einer Gasheizung entschließen.

Global 2000 hat 56 in Österreich tätige Energieunternehmen – vom Verbund über die Landesenergieversorger und jene der Kommunen (allesamt mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand) sowie einiger privater Anbieter – und ihren Umgang mit Erdgas untersucht und die Erkenntnisse in einen Bericht gegossen, der profil exklusiv vorliegt. Das Ergebnis: Bei den Energieversorgern konnte kein ernsthaftes Problembewusstsein festgestellt werden. Einzig die Wien Energie weist auf die Klimaschädlichkeit von Erdgas hin. 46 der 56 Unternehmen, somit rund vier Fünftel, bewerben Erdgas hingegen als umweltfreundliche Alternative zu anderen Energieträgern oder betreiben auf die eine oder andere Art sogenanntes Greenwashing, also den Versuch, sich beziehungsweise ihrem Produkt durch unterschiedliche Maßnahmen ein „grünes Image“ zu verpassen.

„Dadurch wird die Bevölkerung getäuscht, und es führt dazu, dass wichtige Klimaschutzmaßnahmen vonseiten der Politik verspätet oder gar nicht getroffen werden“, kritisiert Johannes Wahlmüller, Klima- und Energieexperte bei GLOBAL 2000. „Wir fordern die österreichische Energiewirtschaft dazu auf, die umfangreichen Greenwashing-Aktivitäten zu beenden und stattdessen umsetzbare Lösungsstrategien für den Ausstieg aus Erdgas auszuarbeiten.“ 

Dass das Weltklima auf eine Katastrophe zusteuert, weil es durch die Verbrennung fossiler Energieträger zum übermäßigen Ausstoß von Treibhausgasen kommt, diese Erkenntnis hat sich inzwischen allgemein durchgesetzt. Wie kann es sein, dass ein fossiler Energieträger dennoch als umweltfreundlich angepriesen wird? Wer das wissen will, muss die Eigenschaften von Erdgas verstehen. Es ist klimaschädlich, aber nicht so sehr wie Kohle und Gas. Der CO2-Ausstoß eines  Erdgaskraftwerks beispielsweise liegt pro erzeugter Energieeinheit nur halb so hoch wie jener eines Kohlekraftwerks, dem klimaschädlichsten Energieträger überhaupt. Viele Proponenten der Branche sehen Erdgas deshalb als eine Art Brückentechnologie: Ehe die Welt vollständig mit erneuerbaren Energien versorgt werden kann, wird Erdgas, so glauben sie, noch eine kurze Blüte erleben. Österreichs teilstaatliche OMV etwa – größter heimischer Energie- und Industriekonzern – will bis 2025 die Gasverkäufe stark ausbauen und strebt obendrein den Einstieg in den deutschen Gas-Markt an. 

International laufen ganz ähnliche Bemühungen: So hat sich unter den fünf weltgrößten Ölkonzernen – ExxonMobil, Chevron, Shell, Total und BP – der Output an Gas im Vergleich zur gesamten Energieerzeugung deutlich erhöht, von 39 Prozent im Jahr 2007 auf 44 Prozent 2019. 

Doch der Boom könnte vorbei sein, noch ehe er richtig begonnen hat. Wenn nämlich die Politik von Brüssel bis Washington ernst macht mit ihren Klima-Ankündigungen, geht sich der vorübergehende Umstieg auf Erdgas keinesfalls aus. Manche Konzerne verkaufen ihre Gas-Assets bereits; beispielsweise hat Shell in den vergangenen Jahren Gasfelder in den USA und Nigeria abgestoßen. Und auch bei der angeblichen Klimafreundlichkeit von Erdgas im Vergleich zu Öl und Kohle lohnt sich ein genauerer Blick: Rechnet man nämlich jene klimaschädlichen Emissionen ein, die bereits bei der Förderung des Gases freigesetzt werden, verschlechtert sich dessen Klimabilanz ganz gehörig. Bei der Förderung kommt es vor allem zu Methan-Emissionen, ein Gas, das bis zu 80 Mal klimaschädlicher wirkt als Kohlendioxid.

Keineswegs handelt es sich bei Erdgas also um eine umweltfreundliche Alternative zu anderen Energieträgern. Es ist auch nicht angezeigt, den Einbau von Gasheizungen mit Geldgeschenken zu belohnen. Oder eine angebliche regionale Herkunft von Erdgas zu beschwören – wo doch Österreichs Erdgas in Wahrheit überwiegend aus dem fernen Sibirien kommt. Doch all das passiert in Österreichs Energieunternehmen, wie die Auswertung von profil und Global 2000 zeigt.  

Die Schönfärberei

Eigentlich wüsste man es ja besser: Im Geschäftsbericht der Salzburg AG wird der Umstieg auf erneuerbare Energien als Voraussetzung für die Erreichung der Klimaziele genannt. Wie so oft besteht zwischen Worten und Taten eine erhebliche Diskrepanz. Denn welchen Beitrag der Landesenergieversorger leisten will, um diese Ziele zu erreichen, bleibt offen. Einen entsprechenden Plan für den Ausstieg aus dem Erdgasgeschäft beziehungsweise dem Heizen mit Gas gibt es nicht. Im Gegenteil: Auf ihrer Website wirbt die Salzburg AG für fossiles Erdgas und bezeichnet es als „sauberen“ und „umweltfreundlichen“ Energieträger. „Umweltfreundlich“ sei es deswegen, weil „beim Verbrennen kaum Schadstoffe produziert werden“ und „deutlich weniger CO2-Emissionen als bei anderen fossilen Energieträgern“ entstünden.

Wie es zu diesen widersprüchlichen Aussagen kommen konnte, wollte profil vom Salzburger Energieversorger wissen. Eine Antwort blieb das Unternehmen bis Redaktionsschluss schuldig. Vielleicht fand man selbst keine befriedigende Erklärung. Die Salzburg AG ist allerdings nicht das einzige Unternehmen, das in der Werbung Greenwashing betreibt. Nahezu alle analysierten Energieversorger versuchen Erdgas mit Bezeichnungen wie „sauber“, „natürlich“, „umweltfreundlich“ oder „schadstoffarm“ in ein positives Licht zu rücken.

Das Feigenblatt

Legen Sie Wert auf eine „zukunftsorientierte, umweltschonende Energieversorgung“? Wollen Sie „bewusst etwas für Klima und Umwelt tun“? Für Kunden, die dies bejahen, sei der „ökologische“ Gastarif genau das Richtige, wirbt der niederösterreichische Energiekonzern EVN auf seiner Website. Das hierbei verfeuerte Biogas werde „zu 100 % in niederösterreichischen Anlagen erzeugt“, heißt es weiter. Zusätzlicher Pluspunkt: Als Basis für dessen Erzeugung dienen nicht etwa Nahrungsmittel – eine Praxis, die unter Experten weithin kritisiert wird –, sondern „Reststoffe und Abfälle der Land- und Forstwirtschaft sowie der biologisch abbaubare Anteil von Haushalts- und Industrieabfällen“.  

Alles super also? Nicht ganz. Denn das Gas für den ökologischen Gastarif besteht nur zum Teil aus Biogas. Genauer: zu einem ziemlich kleinen Teil. Es sind fünf Prozent. Der Rest ist konventionelles, fossiles Erdgas. Die EVN bewirbt also ein Produkt, das zu 95 Prozent aus klimaschädlichem Erdgas besteht, als „ökologisch“. Andere Energieversorger gehen übrigens ganz ähnlich vor: Auch sie bewerben Mischprodukte als umweltfreundlich, wobei der Anteil des beigemischten Biogases höchstens 30 Prozent beträgt. 

Es gebe schlicht zu wenig Biogas für einen höheren Anteil, sagt EVN-Sprecher Stefan Zach auf profil-Anfrage: „Nur einige Biomethananlagen stehen zur Einspeisung ins Gasnetz zur Verfügung.“ Dies hänge auch mit der staatlichen Förderpolitik zusammen. Die EVN wolle aber „trotzdem möglichst vielen Kundinnen und Kunden die Möglichkeit geben, Biogas zu beziehen“. Daher werde dieses „aktuell nur im Ausmaß von fünf Prozent beigemischt“, so Zach. Sobald es die verfügbaren Mengen zulassen, werde man einen Tarif mit 100 Prozent Biogas anbieten, wie er auch heute schon zur Verfügung stehe – allerdings lediglich für Geschäftskunden. 

Ist es bis dahin wirklich angebracht, die 95-zu-5-Mischung als „ökologisch“ anzupreisen? „95 Prozent fossil sind immerhin ökologischer als 100 Prozent fossil“, antwortet Zach. Überdies betont er, dass der Tarif seitens der EVN nicht breit beworben werde.  

Der Schmäh mit der Regionalität

„Es gibt viele gute Gründe, um sich für Erdgas zu entscheiden“, liest man auf der Website des oberösterreichischen Landesenergieversorgers Energie AG. Einer davon: die angebliche Regionalität des Rohstoffs. Oberösterreich sei nämlich „reich an Erdgas-Vorkommen“. Im Bundesland werde „pro Jahr mehr Erdgas gefördert, als die oberösterreichischen Haushalte, Gemeinden, Betriebe und Autofahrer benötigen“.  

Das ist schlichtweg falsch. In Wahrheit konnten beispielsweise im Jahr 2019 nur rund zwölf Prozent des Endverbrauchs des Landes durch die Erdgasförderung innerhalb Oberösterreichs abgedeckt werden, wie aus der Energiebilanz der Statistik Austria hervorgeht. Ganz generell ist Erdgas keineswegs ein regionales Produkt. Der Großteil stammt vielmehr aus Russland. Auf europäischer und weltpolitischer Ebene laufen immer wieder Versuche, sich von der Abhängigkeit vom russischen Erdgas zu befreien – beispielsweise durch neue Pipelines oder durch vermehrten Transport von flüssig gemachtem Erdgas mittels Frachttankern. Dass die Energie AG das Gas auch noch mit dem Schlagwort „Versorgungssicherheit“ bewirbt, ist also zumindest fragwürdig.  

Was sagen die Oberösterreicher dazu? Die beanstandete Textpassage auf der Website, wonach die Aufbringung den Verbrauch übersteige, stamme aus dem Jahr 2018, führt Energie-AG-Sprecher Michael Frostel aus – und im Jahr zuvor, 2017, lag die Erdgasaufbringung innerhalb Oberösterreichs tatsächlich leicht höher als der Verbrauch. Zumindest wenn man die Industrie in diesen Vergleich nicht einrechne, so Frostel. 

Heute jedoch sei die Information nicht mehr richtig. „Wir nehmen dies zum Anlass, derartige Formulierungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen, zu präzisieren und mit Quellenangaben zu belegen. Die konkrete Textpassage wird umgehend aktualisiert, um Missverständnissen vorzukommen.“ Was bereits kurz nach der profil-Anfrage prompt geschehen war.

Der Ablasshandel  

Ein Viertel der von Global 2000 analysierten Energieversorger bietet CO2-kompensiertes Erdgas an. Das Prinzip dahinter funktioniert so: Um Klimaneutralität zu erreichen, müssen die durch die Verwendung von Gas entstandenen Emissionen an einem anderen Ort wieder eingespart werden. Unter Kompensation versteht man Zahlungen zur Finanzierung von treibhausgasmindernden Investitionen, zum Beispiel in Windkraftanlagen in Entwicklungsländern. Allerdings muss sichergestellt sein, dass ein Projekt nur deshalb umgesetzt wird, weil es die zusätzliche Finanzierung durch den Kompensationsmechanismus erhält. Der Fachbegriff für dieses wesentliche Kriterium ist die „Zusätzlichkeit“ der Emissionsminderungen. Generell ist Klimakompensation nicht unumstritten, gilt sie vielen doch als moderner Ablasshandel, der Konsumenten und Unternehmen ein reines Gewissen bescheren soll. 

Der Verbund-Konzern beispielsweise kompensiert unter anderem mit Zertifikaten, die aus seinem eigenen Wasserkraftwerk Ashta in Albanien stammen. Global 2000 zweifelt daran, dass dieses Projekt nur aufgrund der CO2-Kompensation realisiert wurde. Vielmehr wird vermutet, dass es ohnehin gebaut werden sollte. Wenn Projekte aber nicht wegen der Kompensationszahlungen durchgeführt werden, ergibt sich keine CO2-Einsparung, die den Emissionen aus der Erdgas-Verbrennung gegenübersteht. „Stimmt nicht“, heißt es vonseiten des Verbund. Das albanische Kraftwerk Ashta sei im Rahmen des Clean Development Mechanism (CDM) der Vereinten Nationen seit dem Tag der Inbetriebnahme zertifiziert. Ohne die Erlöse aus den Zertifikaten wäre das Projekt nicht finanziell attraktiv und in der Form nicht umgesetzt worden, sagt Verbund-Sprecherin Ingun Metelko. „Wasserkraft ist eine erprobte und wirtschaftliche Technologie, der Einfluss von Zertifikaten auf die Wirtschaftlichkeit ist hier generell sehr gering. Deshalb ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Projekte auch ohne Zertifikate gebaut worden wären“, hält Johannes Wahlmüller von Global 2000 dagegen. 

Der Köder

Bund und Länder sind sich einig: Ab 2025 soll österreichweit ein Einbauverbot von Gasheizungssystemen in Neubauten kommen, bis 2040 ist ein Komplettausstieg aus (fossilen) Gasheizungen vorgesehen. Der Tausch eines fossilen Heizungssystems auf ein klimafreundliches wird vom Bund und auch von vielen Ländern gefördert. Einige Energieversorger – wie etwa die oberösterreichische Energie AG, die niederösterreichische EVN, Energie Burgenland und Graz sowie die Tiroler Tiwag – gehen jedoch den gegenteiligen Weg: Sie subventionieren gezielt den Einbau von Gasheizungen mit mehreren Hundert Euro und ködern somit Kunden. Am „spendabelsten“ zeigt sich dabei die Linz AG. Sie fördert die Anschaffung einer neuen Gasheizung mit einem sogenannten „Erdgas-Bonus-Paket“ mit bis zu 1715 Euro. Damit werden die Bemühungen von Landespolitik und Bundesregierung konterkariert, fossile Heizungen auf erneuerbare Energien umzustellen. Und man schießt sogar gegen den eigenen Eigentümer quer: Immerhin will Linz 2025 Klimahauptstadt werden. Der Linz AG käme dabei eine zentrale Rolle zu, erklärte SPÖ-Bürgermeister Klaus Luger erst im Jänner. Wie das mit der Subventionierung von klimaschädlichem Erdgas zusammengeht, wollte seitens des Energieversorgers niemand öffentlich erläutern. 

Bleibt die Erkenntnis: Auch wenn sich Konsumenten, vor allem jene, die in Ballungszentren in Mehrparteienhäusern wohnen, das Heizungssystem häufig nicht  aussuchen können, sollte man Gas in dem Wissen verfeuern, dass es eben nicht umweltfreundlich ist. 

Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).