Auf der Wiener Favoritenstraße gibt es syrische Oliven, Süßigkeiten aus Aleppo und die typischen eingelegten Auberginen. Eine Sache war aber bis vor einem Monat unmöglich: auch nur einen Euro in das Land, das sich über zehn Jahre lang im Bürgerkrieg befand, zu überweisen. Das ist jetzt anders. In dem kleinen Handyshop mit dem gelben Western-Union-Aufkleber sagt der Verkäufer: „Syrien, sicher! Seit drei Wochen geht das. Magst du Geld überweisen?“
Was ist passiert? Am 13. Mai kündigte US-Präsident Donald Trump an, die US-Sanktionen für Syrien aufzuheben. Die Überraschung war groß und wurde noch größer, als er am nächsten Tag den Übergangspräsidenten Ahmad Al-Sharaa mit seiner islamistischen Vorgeschichte als „starken Leader, der Frieden und nicht Krieg will“ beschrieb. Ende Juni hob er die Sanktionen, außer jene gegen Assad-nahe Personen, per Dekret auf. Die EU folgte seinem Beispiel. Das heißt: Seit einem Monat kann sich Syrien schrittweise wieder in die Weltwirtschaft eingliedern. Innenpolitisch bleibt es allerdings turbulent. Wie steht es um Syriens Wiederaufbau? Was bringt das Ende der Sanktionen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes?
Von Bürgerkrieg zu Wirtschaftsturbo
Benjamin Fève kam vor wenigen Tagen am Flughafen in Damaskus an. Es ist für den Arabisten und Experten für internationale Beziehungen bei Karam Shaar Advisory der dritte Besuch in Syrien seit Jänner. „Vor Ort hat sich noch nicht so viel verändert. Internationale Firmen und Akteure zeigen sich interessiert zu kommen, erste Verträge werden unterzeichnet, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank nehmen Beziehungen auf.“ Die Energieversorgung bleibe aber sehr mangelhaft, die Preise des täglichen Lebens hoch. „Als Experten wissen wir, dass sich das Land nicht vom Bürgerkrieg in einen wirtschaftlichen Turbo verwandeln wird, aber die Leute im Land werden ungeduldig.“
Vor mehr als sieben Monaten legte Ahmad Al-Sharaa seinen früheren Kämpfernamen Al-Golani ab und übernahm als Übergangspräsident die Macht im Land. Er versucht, sich ein Image als gemäßigt-religiöser Regierungschef aufzubauen, schloss ein Abkommen mit den Kurden im Nordosten des Landes und verabschiedete eine Übergangsverfassung nach Assads Diktatur. Doch blutige Konflikte mit Alewiten an der Küste, ein Terrorangriff in einer Kirche und jetzt die Kämpfe in Suweida mit israelischen Interventionen in der Vorwoche zeigen die Fragilität der Lage. Viele Angehörige der zahlreichen syrischen Minderheiten haben nicht den Eindruck, von der neuen Regierung ausreichend geschützt zu werden.
Mohammed Nimer will jetzt aber auf die guten Seiten blicken. Für ihn hat sich seit Assads Sturz im Dezember einiges getan. Vor wenigen Wochen hat er nahe am Flughafen Damaskus ein Restaurant mit einem Schwimmbad eröffnet. Die erste Sommersaison startet, Touristen seien da. Und: „Es kommen jetzt auch Investoren aus Katar und der Türkei, die waren unter dem alten Regime nicht willkommen.“ Die ersten Monate seien sehr hart gewesen, die Gehälter von Staatsbediensteten wurden nicht ausbezahlt. „Das Leben war sehr teuer, jetzt haben sich die Preise zum Glück verbessert. Milch für Kinder habe 17.000 Lira (1,11 Euro) gekostet, jetzt koste sie 6000 Lira (0,39 Euro), erzählt er. Der Durchschnittslohn in Syrien liege bei unter 70 Euro im Monat.
Erste Wirtschaftsprognosen geben sich auch leicht positiv. Laut einem aktuellen Weltbank-Bericht wird das syrische Bruttoinlandsprodukt nach einem Rückgang von 1,5 Prozent im Jahr 2024 dieses Jahr voraussichtlich um etwa ein Prozent wachsen. Trotz der Lockerung der Sanktionen erwarten die Weltbank-Experten keinen unmittelbaren Wirtschaftsboom. Es werden jetzt Absichtserklärungen unterschrieben, die die Grundlage für größere Projekte und Kooperationen sein können. Die Weltbank bewilligte dem kriegszerstörten Syrien einen Zuschuss von 146 Millionen US-Dollar, um die Stromversorgung wiederherzustellen. US-Unternehmen zeigen sich interessiert an den Rohstoffen. Bis Syrien Teil der internationalen Finanzwelt wird, dürfte es allerdings noch dauern. Österreichische Banken bleiben etwa noch sehr zurückhaltend.
„Syrien will den Sozialismus der Assad-Ära abschaffen“
Außenminister Asaad al-Shaibani
über seine Pläne
Bruch in der Wirtschaftspolitik
Die syrische Regierung kündigte auch einen Richtungswechsel in der Wirtschaftspolitik an. „Syrien will den Sozialismus der Assad-Ära abschaffen“, sagte Außenminister Asaad al-Shaibani in einem Interview mit der „Financial Times“. Sozialismus ist ein großes Wort für Assads Wirtschaftspolitik. Viele Unternehmen waren in staatlichem oder staatsnahem Besitz, aber ohne dass die Profite und Produkte den Bürgern des Landes zugutekamen. Die neue Regierung möchte nun auch Betriebe im Staatsbesitz privatisieren. Wer dann den Zuschlag erhält, ist allerdings sehr fragwürdig.
Zu Assads Zeiten hob das Land hohe Zölle auf Güter ein, die ins Land kamen. Ursprünglich mit der Idee, die eigene Produktion zu stärken, wie es viele nichtwestliche Länder machten, aber letztlich vor allem, um die Protegés des Regimes zu schützen. Die hohen Zölle trafen etwa Autoimporte: Es war etwa unter Assads Zeiten nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, Autos nach Syrien zu importieren, erzählt ein gebürtiger Syrer, der mittlerweile in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt und nebenberuflich Autos nach Syrien exportiert. Für ein importiertes Gefährt im Wert von 1000 Dollar musste man als Käufer zusätzlich 6000 Dollar Zoll- und Zulassungsgebühren zahlen. Mit dem Krieg erfolgte ein Importstopp. „Jetzt sind auch dadurch viele sehr alte Autos auf den Straßen. Die syrische Regierung will alte Autos vom Markt und von den Straßen entfernen.“ Es sollen nur mehr neue Autos in das Land importiert werden dürfen. Wie viele Menschen sich diese Autos jetzt auch leisten können, ist sehr fragwürdig.
Für den Forscher Benjamin Fève geht es nun weiter nach Idlib in den Norden des Landes, die ehemalige Enklave der Opposition. „Das Ende der Sanktionen war ein wichtiger Schritt, aber der Wiederaufbau braucht Zeit.“ Obwohl sich die Sanktionen gegen das Assad-Regime richteten, betrafen sie auch die kurdischen Gebiete im Nordosten, die gegen den Diktator kämpften. „Die wirtschaftliche Situation ist bei uns etwas besser als in Damaskus“, erzählt Azad Hissu vom Wirtschaftskomitee in den kurdischen Gebieten im Nordosten Syriens. Banken haben auch ihre Territorien gemieden, und internationale Hilfe sei schwer angekommen. „Jetzt werden Investoren nach wie vor von der Sicherheitssituation zurückgehalten, aber ich hoffe, das ändert sich bald“, bleibt er optimistisch.