Rebuilding lives in the Hajar al-Aswad area of Damascus
Wiederaufbau
Warum Syrien noch immer von der Finanzwelt abgeschnitten ist
Nach 14 Jahren Bürgerkrieg liegt Syrien in Trümmern. Das Land ist nach wie vor von internationalen Banken isoliert. Solange das so bleibt, schaut es schlecht aus für ein neues Syrien.
Das Thema ist Ahmed* unangenehm. Er druckst herum, nach einigem Überlegen erzählt er. Wenn er so 300, 400 Euro beisammenhat, schickt er seinem Kontaktmann eine Nachricht, wenig später treffen sie sich an einem belebten Ort. Eine schnelle Übergabe. Hawala (auf Arabisch wechseln, überweisen) nennt man diese uralte Transaktionsmethode. Nicht nur Zahlungen für Schlepper und jeglicher Schwarzhandel werden so abgewickelt, viele Migranten senden über das Hawala-System Geld in die Heimat.
Wenn Ahmed seiner Familie in Syrien Geld schicken möchte, dann geht das nicht per Banküberweisung. Kurz nach dem Ausbruch des syrischen Bürgerkrieges im Jahr 2011 verhängten die USA und die Europäische Union umfangreiche Sanktionen gegen das Regime von Bashar Al-Assad. Heute, fünf Monate nach dem Sturz des Langzeitherrschers, sind einige davon zwar gelockert worden, das Land ist aber nach wie vor von der internationalen Finanzwelt isoliert. Solange das so bleibt, sind die Chancen, ein neues Syrien aufzubauen, gering. Und so lange bleibt Ahmed nichts anderes über, als an einem belebten Ort einem Mann das Geld zu übergeben und darauf zu vertrauen, dass es ankommt.
Dabei hat die Europäische Union bereits im Februar Sanktionen gegen vier syrische Banken aufgehoben und auch die Beschränkungen gegenüber der syrischen Zentralbank gelockert. Und im März betonte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas: „Wenn wir weitere Gewalt verhindern wollen, müssen wir den Menschen in Syrien Hoffnung geben. Den Menschen Hoffnung zu geben, heißt auch, Zugang zu Bankdienstleistungen zu erhalten. Das bedeutet, dass Gehälter gezahlt werden können, und das bedeutet, dass die Unternehmen in Syrien investieren.“
Augenmerk auf syrische Rückkehrer
Das Interesse Europas an einer Stabilisierung Syriens ist nicht nur uneigennützig. Gemeinsam mit seiner deutschen Amtskollegin Nancy Faeser besuchte ÖVP-Innenminister Gerhard Karner Ende April Damaskus. Österreich hat in den vergangenen zehn Jahren mehr als 100.000 Syrer aufgenommen, in Deutschland waren es zehn Mal so viele. Dringlichster Punkt auf der Tagesordnung von Karner und Faeser: die Rückkehr von syrischen Staatsbürgern in ihre Heimat. Karner hatte bereits wenige Tage nach dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember im Nationalrat ein „geordnetes Rückführungs- und Abschiebungsprogramm“ angekündigt.
Aber auch der syrische Innenminister Anas Khattab machte beim Besuch der deutsch-österreichischen Delegation im April aus seinen Prioritäten kein Geheimnis: „Wir haben über Energie gesprochen und wie man Investitionen ermöglichen und Arbeitsplätze schaffen kann. Denn das wird Syrer, die das Land im Krieg verlassen haben, ermutigen, in größerem Umfang zurückzukehren“, erklärte er nach dem Treffen.
Die Rückkehrbewegung ist auch so schon enorm: Laut UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sind seit dem 8. Dezember, dem Tag an dem Bashar al-Assad fiel, rund 400.000 Syrer aus den Nachbarländern zurückgekehrt, aus Österreich waren es bisher rund 280 Personen. Insgesamt wird allein dieses Jahr mit 1,5 Millionen gerechnet. Mehr als 16 Millionen Menschen benötigen humanitäre Hilfe. Der Wiederaufbau Syriens wird Schätzungen zufolge bis zu 400 Milliarden US-Dollar kosten.
Vor fünf Monaten feierten Tausende das Ende von Assads Diktatur. Ahmed Al-Scharaa legte seinen früheren Kämpfernamen Al-Golani ab, empfing internationale Politiker in Damaskus und versuchte, sich ein Image als gemäßigt-religiöser Regierungschef aufzubauen. Er schloss ein Abkommen mit den Kurden im Nordosten des Landes – ein wesentlicher Schritt in Richtung Frieden –, verabschiedete eine Übergangsverfassung, die in einigen Punkten sehr kritisiert wurde, und stellte eine vorläufige Regierung auf, die zwar die ethnische Vielfalt des Landes repräsentiert, die zentralen Ministerien bleiben aber in der Hand seiner Vertrauten. Die EU hat weitere Lockerungen der Wirtschaftssanktionen in Aussicht gestellt, sollte Syrien Fortschritte auf dem Weg zu Frieden und Stabilität machen. Das Massaker, bei dem islamistische Kämpfer Hunderte Angehörige der alawitischen Minderheiten getötet haben, hat das Vertrauen in die Übergangsregierung allerdings erschüttert. Auf die brutalen Attacken auf Drusen in der letzten Woche reagierte Ahmed Al-Scharaa mit einem entspannten Videoclip, in dem er Basketball spielt.
Auch für Hilfsorganisationen ist die wirtschaftliche Isolation Syriens ein Problem. „Selbst Kleinunternehmer haben Schwierigkeiten, an Produktionsteile zu kommen, weil diese auf irgendeiner Sanktionsliste stehen“, erzählt Christine Müller, zuständig für die humanitäre Hilfe der Caritas in Syrien. „Als Hilfsorganisation erleben wir die Sanktionen vor allem beim Finanztransfer. Er ist umständlich, er ist teuer, er dauert extrem lang.“ Selbst nach dem Ende der Banksanktionen seien keine Überweisungen aus Deutschland möglich. „Wir arbeiten über libanesische Banken, das ist aber mit viel Zeit und vielen Gebühren verbunden. Außerdem gibt es zum Teil nur zwei Stunden Strom pro Tag.“
Ahmed erhält eine Nachricht auf seinem Handy, sie wirkt ziemlich offiziell: Name der Firma, der Überweisung, das Passwort, der Betrag, der Empfänger und der Ort sind aufgelistet. Schon wenige Minuten später kann sein Bruder in Syrien mit dem richtigen Passwort das Geld bei einem Geschäft abholen. Für seinen kleinen Bruder und seine Eltern ist das ihr Haupteinkommen.
Die Sanktionen waren gegen das Assad-Regime gerichtet. Jetzt müssen wir sie streichen.
Nahostexperte Markus Schneider
über Syrien
Wie kommt das Geld aber nach Syrien? Indirekt. Die Hawalarde können das Geld über Drittstaaten wie den Libanon schicken. Sie können aber ihre Zahlungen durch Überweisungen anderer Kunden ausgleichen oder dem anderen etwas schicken mit einem zu hoch angegebenen Wert, um die Schuld auszugleichen. Das System ist nicht nur mühsam, sondern auch teuer. Für Ahmed bedeutet dieses System pro 100 Euro fünf Euro Gebühr. „Das würde niemand zahlen, wenn es eine Alternative gibt“, sagt Ahmed. Billiger sind auch Geldtransferdienste wie Western Union in der Regel nicht. „Um Investoren anzulocken und Kredite zu beantragen, braucht es freie Finanzströme“, sagt der Nahost-Experte Marcus Schneider von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Beirut. Und: „Die Sanktionen waren gegen das Assad-Regime gerichtet. Jetzt müssen wir sie streichen.“
Die Golfstaaten Katar und Saudi-Arabien haben sich vor Kurzem bereiterklärt, Syriens Schulden bei der Weltbank zu begleichen. Die Verbindlichkeiten beliefen sich auf gerade einmal 15 Millionen US-Dollar. Viel wichtiger: Die Rückzahlung ist eine Bedingung, damit Syrien in Zukunft wieder finanzielle Unterstützung von der Weltbank erhalten kann.
Österreichs Kreditinstitute sprechen ungern über Sanktionen. profil hat mehrere international tätige Banken um eine Einschätzung der Situation gebeten, keine wollte ein Statement abgeben, höchstens „off the records“. „Betreffend Syrien ist davon auszugehen, dass sowohl die Ergebnisse einer Risikoanalyse als auch die Nachfrage im Markt sowie die generell noch unsichere Lage im Land derzeit keine Aufnahme von Geschäftsbeziehungen mit syrischen Banken rechtfertigen“, heißt es etwa von einer international tätigen Großbank. So viel ist klar: Derzeit verschwendet keine Bank einen Gedanken daran, allzu bald geschäftliche Beziehungen mit Syrien aufzunehmen. „Auch die Aufhebung wesentlicher Teile der Finanzsanktionen gegenüber dem Iran im Jahr 2016 hat bislang nicht dazu geführt, dass EU-Banken vermehrt Geldtransaktionen mit iranischen Banken durchführen“, erklärt Engelbert Bramerdorfer, Leiter der Rechtsabteilung der Oesterreichischen Nationalbank.
Die EU ist nicht die Einzige, die Syrien sanktioniert. Und schon gar nicht am einflussreichsten.
Armut radikalisiert. Je länger wir warten, desto polarisierter wird das Land
Benjamin Féve
über die Lage in Syrien
Der lange Arm der USA
Die Allgemeine Lizenz Nummer 24 des „Office of Foreign Assets Control“ (OFAC) hat ein Ablaufdatum. Am 7. Juli 2025 um exakt 00.01 Uhr Washingtoner Ortszeit erlischt die Genehmigung, die von der US-amerikanischen Sanktionsbehörde diesen Jänner ausgestellt wurde. Bis dahin erlaubt die Allgemeine Lizenz Nummer 24 Ausnahmen vom geltenden Finanzembargo gegen Syrien. Überweisungen an Angehörige, humanitäre Organisationen, sogar an Behörden der syrischen Übergangsregierung sind damit theoretisch möglich. Ob die Empfänger von Finanztransaktionen tatsächlich unter diese Ausnahmeregelung fallen, lässt sich nicht immer zweifelsfrei feststellen. Woher wissen, wer auf das Konto einer syrischen NGO Zugriff hat? Oder ob sich hinter der vermeintlichen Privatperson nicht doch ein hochrangiger Ex-Militär des gestürzten Assad-Regimes verbirgt? Dieses Risiko will derzeit keine Bank eingehen. Das Office of Foreign Assets Control ist eine gefürchtete Institution, die Behörde hat wegen Verstößen gegen US-Sanktionen in der Vergangenheit bereits Strafen in Milliardenhöhe verhängt. Im Extremfall kann sie Banken sogar vom gesamten Dollar-Zahlungsverkehr ausschließen.
„Selbst wenn die EU die Sanktionen ganz aufheben würde, bleiben die US-Sanktionen bestehen und koppeln Syrien weiterhin vom Bankensektor ab“, sagt Syrienexperte Benjamin Féve vom Beratungsinstitut Karam Shaar Advisory. Das behindert nicht nur den Wiederaufbau. „Armut radikalisiert. Je länger wir warten, desto polarisierter wird das Land.“
Nicht viel, ich kann mit dem Mann streiten, aber was bringt es?
Ahmed
über seine Möglichkeiten, wenn das Geld nicht ankommt
Bald hat Ahmed wieder seine 300 Euro zusammengespart, wird wieder seinem Kontaktmann schreiben und ihm so diskret wie möglich die Scheine übergeben. Dann kann er bloß hoffen. Zwei, drei Mal ist es ihm schon passiert, dass nichts bei seinem Bruder angekommen ist. Was macht er dann? „Nicht viel, ich kann mit dem Mann streiten, aber was bringt es?“ Bei Hawala geht es um Vertrauen.