Biologin: „Umweltschutz darf nicht Luxushobby der Reichen werden“

Hannah Mumby hat Verblüffendes über Elefanten herausgefunden. Ein Gespräch über den Elfenbein-Boom und das Sprachgefühl der Elefanten.

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profil: Sie haben Prinz William 2018 öffentlich für einen Auftritt bei einer Konferenz gegen Wilderei kritisiert. Was hat Sie so verärgert?

Mumby: Prinz William zeigte ein Video von seinem Besuch in Elefantenschutzgebieten in Tansania. Zu Wort kamen fast ausschließlich weiße Umweltschützer in hohen Positionen – nicht die Menschen an der Basis. Es ist unsere Aufgabe, den Menschen vor Ort wichtigere Jobs und solche Auftritte zu verschaffen, denn sie haben das nötige Wissen und die Erfahrung. Umweltschutz darf nicht zum Luxushobby der Reichen degradiert werden.

profil: Hat William auf Ihre Kritik reagiert?

Mumby: Nein, dafür hatte er wahrscheinlich keine Zeit.

profil: Warum werden Elefanten eigentlich so groß?

Mumby: Tatsächlich ist momentan nicht das Zeitalter der Megafauna, kleinere Tiere sind im Vorteil. Trotzdem besetzen Elefanten eine Nische. Sie werden so groß, damit kein Raubtier sie erlegen kann. Der Preis: Elefanten müssen 16 bis 18 Stunden am Tag fressen, weil sie ein ineffizientes Verdauungssystem haben.

profil: Sie haben in Myanmar Hunderte Dickhäuter gewogen. Wie stellt man einen Elefanten auf die Waage?

Mumby: Wir haben eine Waage für Kühe eingegraben, damit die Elefanten nicht auf eine Plattform klettern mussten. Doch sie wollten anfangs trotzdem nicht hinauf. Erst als ihre Mahuts, wie die Elefantenführer genannt werden, auf ihnen ritten und sie auf die Waage dirigierten, klappte es. Die Elefanten vertrauen ihnen, sie können sie auch mit Gesang beruhigen. Bis dahin hatte man das Gewicht von Elefanten meist anhand von Fotos und Fußabdrücken geschätzt.

profil: Ihr Kollege Josh Plotnik stellte Elefanten vor den Spiegel. Können sich die Giganten selbst erkennen?

Mumby: Josh unterzog viele Elefanten einem Test, der in der Verhaltensforschung als Goldstandard gilt. Ich war dabei, als er einem jungen Bullen namens Pepsi zwei Kreuze auf den Kopf malte. Eines gut sichtbar in Weiß, das andere transparent. Pepsi schlenderte auf den zwei Meter hohen Spiegel zu. Er öffnete das Maul und inspizierte gründlich seine Zähne. Erst danach wischte er mit der Rüsselspitze über das weiße Kreuz auf der Stirn – und hatte den Test mit Bravour bestanden.

profil: Sie beschäftigen sich viel mit der Sprache der Tiere. Gibt es Elefanten-Dialekte?

Mumby: Es gibt universelle Laute, etwa das Grummeln zur Begrüßung. Wir gehen aber davon aus, dass die Sprache von Region zu Region variiert.

„Umweltschutz darf nicht zum Luxushobby der Reichen degradiert werden“

Hannah Mumby

über Prinz William

profil: Sprechen afrikanische und asiatische Elefanten dieselbe Sprache?

Mumby: Es gibt viele Unterschiede. Asiatische Elefanten kommunizieren häufig über ein helles Quieken, das die Afrikaner nicht kennen. Wir wissen nicht, ob sich die Elefanten unterschiedlicher Kontinente richtig verstehen, wenn sie im Zoo aufeinandertreffen. Aber man hat beobachtet, dass sie die jeweils andere Sprache nachahmen.

profil: Das Team Ihrer Kollegin Karen McComb fand heraus, dass Elefanten auch menschliche Sprachen unterscheiden können. Wie das?

Mumby: Das Gebiet der Elefanten im Amboseli-Nationalpark in Kenia überschneidet sich mit den Gebieten zweier Stämme. Karens Team spielte Elefantenherden Sätze in Kikamba, der Sprache der Kamba, vor, woran diese kein Interesse zeigten. Bei den Stimmen von Massai-Männern gerieten die Herden aber in helle Aufregung und schlossen sich zu einem Pulk zusammen. Die Stimmen von Massai-Frauen ließen sie wiederum kalt. Der Grund ist einfach: Die Massai sind hauptsächlich Viehhalter, wodurch es immer wieder zu Konflikten mit Elefanten kommt. Wenn ein Massai durch einen Elefanten sein Leben verloren hat, verüben Massai-Männer häufig „Vergeltungsmorde“. Von dem Kunsthändlervolk der Kamba und den Massai-Frauen haben Elefanten hingegen nichts zu befürchten.

profil: Es gibt den Spruch: „Du hast ein Gedächtnis wie ein Elefant.“ Können sich die Giganten wirklich so gut erinnern?

Mumby: Ja. Sie haben ein außerordentlich gutes soziales Gedächtnis. Sie erkennen Elefanten wieder, die sie vor Jahren nur ein Mal getroffen haben. Zudem haben sie einen fantastischen Orientierungssinn. Eine Matriarchin kann ihre Herde in Dürrezeiten zu Wasserstellen führen, an denen sie seit Jahrzehnten nicht gewesen ist.

profil: Sie haben die Namen vieler Elefanten, über die Sie schreiben, anonymisiert. Warum das?

Mumby: Es geht vor allem um die Sicherheit der alten, großen Bullen, die mit Sendehalsbändern ausgestattet wurden. Sie besitzen die stattlichsten Stoßzähne und sind aus Sicht der Wilderer die wertvollsten Ziele.

profil: Im vergangenen Jahrzehnt gab es ein massives Abschlachten von Elefanten in Afrika, ähnlich schlimm war es zuletzt in den 1970er-Jahren. Was war der Auslöser?

Mumby: Die steigende Nachfrage nach Elfenbein. Ähnliche Anstiege verzeichnete man übrigens beim Waffen-, Drogen- und Menschenhandel. Die kriminellen Netzwerke hängen meistens zusammen. Die Lage war nicht überall in Afrika gleich dramatisch. Je politisch instabiler ein Land, desto mehr Wilderei ist möglich. Wir wissen wegen Corona noch nicht, ob das Morden nun vorbei ist oder nur pausiert.

profil: Warum war Elfenbein in den vergangenen Jahren wieder derart begehrt?

Mumby: Vor allem in China war es ein Statussymbol und eine Geldanlage. Elfenbein ist wunderschön. Vielen Menschen war nicht bewusst, wie viel Blut fließen muss, um es zu gewinnen. Zum Glück hat sich das geändert. Tierschutzorganisationen arbeiten mit chinesischen Prominenten zusammen, klären auf – und zeigen andere Wege auf, um Reichtum und Luxus auszudrücken. China hat den Handel mit Elfenbein 2018 verboten, und Hongkong, ein riesiger Umschlagplatz, ist heuer nachgezogen.

„Wenn wir eine Welt mit Elefanten wollen, müssen wir ein Zusammenleben mit Menschen ermöglichen – und es bezahlen.“

Hannah Mumby

profil: Pro Jahr werden im Schnitt 400 Menschen von Elefanten getötet. Wie ließe sich das vermeiden?

Mumby: Es ist eine Schande, dass wir jene Menschen, die in der Nähe von Elefanten arbeiten und leben, nicht besser schützen. Wenn wir eine Welt mit Elefanten wollen, müssen wir ein Zusammenleben ermöglichen – und es bezahlen. Es gibt viele Lösungen, um die Lage zu verbessern: Pufferzonen etwa mit Opferpflanzen für die Elefanten, Gräben oder Zäune mit Glocken als Alarmanlagen.

profil: Was tut man, wenn man plötzlich einem Elefanten gegenübersteht?

Mumby: Zunächst sollte es gar nicht so weit kommen. Wenn man aufmerksam ist, hört man Elefanten von Weitem, weil sie ständig am Fressen sind und Äste abreißen. Hört man sie, sollte man ihnen großräumig ausweichen. Kommt einem doch einer zu nahe, hilft es, das T-Shirt auszuziehen und es auf den Boden zu legen. Der Elefant wird stehen bleiben, um zu schnuppern, und man kann flüchten. Elefanten meiden Gräben. Sich auf Bäume zu retten ist nur dann sinnvoll, wenn es hohe Bäume sind. Kleinere knicken sie mühelos um.

profil: Was hat Sie bei Ihren Studien bisher am meisten überrascht?

Mumby: Dass Elefantenbullen viel sozialer sind als bisher angenommen. Sie verlassen die Mutterherde und schließen sich außerhalb der Brunftzeit, die bei Elefanten Musth heißt, in Gruppen zusammen. In deren Zentren stehen meist ältere Bullen.

profil: Sie hatten einmal Angst, ein Elefant könnte Ihnen das Genick brechen. Was war passiert?

Mumby: Ich saß in einem abgestellten, offenen Geländewagen in Südafrika, als ein großer Bulle auf uns zukam. Es war das erste Zusammentreffen mit einem Elefanten nach einem Schockerlebnis in Asien. Dort hatte man ein Kalb von seiner Mutter getrennt. Als es plötzlich aufschrie, stürmte die gesamte Familie auf das Kalb zu. Wir konnten in letzter Sekunde aus dem Weg springen. Mit dieser Situation im Kopf war ich sehr nervös, was wohl das Interesse des Bullen geweckt hatte. Er steuerte schnurstracks auf mich zu. Mit seinem Rüssel hob er von hinten meinen Hut ein Stück in die Höhe, und ich dachte: Wenn er will, kann er mir in der Sekunde den Hals brechen. Aber er nahm nur einen tiefen Atemzug und zog gelangweilt weiter.

profil: Der Elfenbeinhandel ist offiziell verboten. Manche Menschen sagen, dass ein gesetzlich kontrollierter Handel für den Naturschutz auf lange Sicht besser wäre. Sehen Sie das auch so?

Mumby: Nein. Es gibt zu wenige Elefanten um die Nachfrage zu decken, die wir durch eine Legalisierung möglicherweise provozieren würden.

"Wir wissen nicht, ob sich die Elefanten unterschiedlicher Kontinente richtig verstehen."

Hannah Mumby

profil: Leiden auch asiatische Elefanten unter dem Elfenbein-Boom?

Mumby: Zum Glück seltener. Asiatische Elefanten haben oft gar keine oder nur sehr kleine Stoßzähne. Ihre Probleme sind aber nicht weniger groß: Sie haben immer weniger Lebensraum, die Konflikte mit Menschen häufen sich.

profil: Ihre erste Studie machten Sie mit wildlebenden Elefanten in Kenia. Kurze Zeit später waren Sie bei Arbeitselefanten in Myanmar. Wie schwer fiel Ihnen dieser Kontrast?

Mumby: In Asien werden Elefanten seit Jahrtausenden zur Holzarbeit eingesetzt. Ich kann hier kein Pauschalurteil abgeben, es ist wie überall: Manche werden besser gehalten als andere. Aber sehr viele Elefantenführer und Tierärzte haben eine unglaublich enge Beziehung zu den Tieren und verfügen über enormes Wissen. Sehr lange war es so, dass ein Elefantenführer einen jungen Elefanten ausbildete, mit ihm arbeitete und dann gemeinsam mit dem Tier in Pension ging.

profil: Zählen diese Elefanten zu den Haustieren?

Mumby: Nein. Tiere werden erst dann als domestiziert bezeichnet, wenn sie vom Menschen gezielt gezüchtet werden. Das ist nicht der Fall. Die Elefantenkühe werden häufig über Nacht in die Freiheit entlassen, wo sie sich einen in der Wildnis lebenden Partner aussuchen.

profil: Sie fanden heraus, dass Bullen bis zu ihrem Tod an Gewicht zulegen. Warum tun sie das?

Mumby: Sie werden immer stämmiger mit dem Alter, ihre Gesichter und ihr Nacken wachsen in die Breite. Der Grund sind vermutlich die Stoßzähne, die ebenfalls ein Leben lang wachsen und immer schwerer werden.

profil: Stimmt es, dass Elefanten ein besonderes Verhältnis zu ihren Toten haben?

Mumby: Ja. In Experimenten legte man Elefanten die Schädel von Elefanten, Nashörnern und Büffeln vor sowie Stoßzähne und ein Stück Holz. Die Schädel der Elefanten interessierten sie mehr als die der anderen Tiere, das größte Interesse zeigten sie am Elfenbein. Sie nahmen sich Zeit es zu beschnüffeln, es hin und her zu schieben und mit den Füßen zu berühren. Ich frage mich, was die Elefanten in diesen Stoßzähnen sehen, was sie in ihnen riechen und fühlen.

profil: Wie reagieren Elefanten, wenn ein Familienmitglied stirbt?

Mumby: Dazu gibt es detaillierte Aufzeichnungen meines Kollegen Iain Douglas-Hamilton aus dem Samburu-Nationalpark. Die Matriarchin namens Eleanor war gestorben, und ihr Leichnam wurde über Tage hinweg sowohl von der eigenen Herde als auch von anderen Familien immer wieder besucht und intensiv beschnuppert. Wörter wie „Kummer“ und „trauern“ sind in diesem Zusammenhang viel zu menschlich, um sie ernsthaft zu gebrauchen, aber ich weiß noch nicht, welche Wörter wir sonst verwenden sollten.

„Elefanten haben ein besonderes Verhältnis zu ihren Toten.“

Hannah Mumby

profil: Sie pendeln normalerweise zwischen Afrika und Asien. Wie sehr hat Corona Ihre Arbeit behindert?

Mumby: Sehr. Meine letzte Reise in ein Elefantengebiet in Nepal war im Februar 2020. Zum Glück haben wir noch Daten, die wir auswerten können und Wissenschafter, die vor Ort leben. Auch die Elefanten leiden unter den fehlenden Touristen, viele Camps in Asien und Wildparks in Afrika haben ihre Einnahmequellen verloren. Ich hoffe, dass die Menschen sie nicht vergessen.

Hannah Mumby: Elefanten. Das Leben der Riesen zwischen Geburt, Familie und Tod. Hanser Verlag, 301 Seiten, 26,80 Euro.

Franziska   Dzugan

Franziska Dzugan

schreibt für das Wissenschaftsressort und ist Moderatorin von tauwetter, dem profil-Podcast zur Klimakrise.