Übergewicht ist immer ein heikles Thema. Auch oder vielleicht vor allem, wenn es um das geliebte Tier geht. Hundetrainerin Katja Staud sucht deshalb stets einen günstigen Zeitpunkt, um die überflüssigen Pfunde anzusprechen. „Man braucht Fingerspitzengefühl. Viele fühlen sich persönlich angegriffen“, sagt Staud. Sie arbeitet seit 2019 in der Martin Rütter Hundeschule in Wien, in der Erziehung nach den Methoden des deutschen Hundetrainers gelehrt wird. „Das ist nur das dicke Fell“, ist die häufigste Ausrede. Das könne natürlich sein, antwortet Katja Staud dann und tastet nach den Rippen des Tieres. Man muss sie bei Hunden gut fühlen können, ohne zu suchen und zu drücken. Auch die Taille des Tiers muss gut sichtbar sein (siehe Grafik Seite 52). Ist das nicht der Fall, ist es Zeit für ein Gespräch. Und für den wichtigsten Grundsatz für Menschen, deren Lieblinge zu viel auf den Rippen haben: „Fürs Liebsein gibt’s kein Leckerli, da muss man konsequent bleiben.“
Damit tun sich viele Menschen schwer. Ein treuherziger Blick, ein Stupser mit der Nase, ein eindringliches Mauzen oder das Umschmeicheln der Waden: Hunde und Katzen kennen die Schwachpunkte ihrer Besitzer genau. Deshalb sind viele Haustiere zu dick, manche sogar adipös. Tierärztinnen der Ludwig-Maximilians-Universität in München schätzen, dass bereits 65 Prozent der in Deutschland lebenden Hunde und Katzen übergewichtig sind. Für Österreich gibt es keine Zahlen, die Situation dürfte aber ähnlich dramatisch sein.
Es gibt durchaus Parallelen zwischen Mensch und Tier, wie Kurt Frühwirth, Präsident der Österreichischen Tierärztekammer, in seiner eigenen Praxis immer wieder feststellt. „Ist das Herrl zu dick, sind es oft auch Katze oder Hund.“ Und nicht nur die. Auch Hasen, Hamster und Meerschweinchen stehen häufig viel zu gut im Futter. Kein Wunder, dass sich viele Tierärzte mittlerweile auf Ernährungsberatung spezialisiert haben und Diätfutter in den Fachhandlungen boomt. Aber was heißt es für ein Tier, wenn es zu dick ist? Wie erkennt man Übergewicht, und wie werden es die Vierbeiner wieder los?
Wenn ein übergewichtiges Tier bei Michael Leschnik in der Kleintierklinik der Veterinärmedizinischen Universität Wien vorgestellt wird, dann meistens nicht wegen Adipositas, sondern wegen einer der Folgeerkrankungen: massive Gelenkprobleme, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Atembeschwerden, Diabetes oder Hautkrankheiten, weil sich in den überflüssigen Hautfalten Pilze oder Bakterien einnisten.
Abnehmen Schritt für Schritt
Neben deren Behandlung muss Leschnik den Tierbesitzern klarmachen, dass das Tier dringend abnehmen muss. Aber wie geht das? „Als Erstes bitte ich die Menschen, für eine Woche ein Ernährungstagebuch zu führen. Was bekommt das Tier in den Napf, als Leckerli, vom Tisch?“, sagt Leschnik. Alle Familienmitglieder müssen mitmachen, niemand darf vergessen werden. Dann wird eruiert, was weggelassen oder durch gesündere Futtermittel ersetzt werden muss. Und wo man bei der Bewegung nachbessern kann.
Gewichtszustände
Bei Hunden sollen die Rippen tastbar und die Taille gut sichtbar sein, Katzen sollten regelmäßig auf die Waage.
Meistens liegt es nicht an der Grundnahrung, sondern an den vielen Extras, mit denen Hund und Katze verwöhnt werden. Das Futtermittelgesetz in Österreich regelt haargenau, was in sogenannten Alleinfuttermitteln enthalten sein muss. Sprich: Mit derart bezeichnetem Nass- oder Trockenfutter sind Kalorien und Nährstoffbedarf eines Hundes oder einer Katze abgedeckt. Die Mengen sind wiederum sehr individuell, hängen stark von Alter, Rasse und Bewegungsleistung ab. Kastrierte Tiere neigen eher zu Übergewicht.
Hundetrainerin Katja Stauds Hündin Abbey ist verfressen, wie fast alle Labrador-Retriever. Viele Exemplare dieser Rasse haben einen Gendefekt, wodurch den Tieren das Sättigungsgefühl fehlt. „Abbey würde fressen, bis sie umfällt“, sagt Staud. Umso konsequenter achtet sie auf deren Ernährung. „Ich füttere sie vor allem draußen beim Spaziergang als Belohnung fürs Abrufen und für anderes Training“, sagt Staud. Hochkalorische Leckerlis gibt es selten bis gar nicht. Vielen Hunden ist es egal, was sie zugesteckt bekommen, Hauptsache Futter. Manche nehmen auch gern kalorienarme Gurkenstücke.
Aber draußen füttern anstatt im Napf, geht das auch bei Nassfutter? „Es gibt mittlerweile für unterwegs sehr praktische Futtertuben, die man selbst befüllen kann“, sagt Staud. Doch auch für jene, die zu Hause füttern, gilt: keine Extras mehr, und wenn, dann müssen sie vom Hauptfutter abgezogen werden.
Keine Radikalkuren
„Auf keinen Fall Radikalkuren“, warnt Tierarzt Kurt Frühwirth. Das kann vor allem bei Katzen zum Tod führen. Adipösen Stubentigern, die nichts mehr fressen oder zu fressen bekommen, kann der Stoffwechsel völlig entgleisen. Sie entwickeln binnen weniger Tage eine Leberverfettung samt lebensbedrohlicher Gelbsucht. „Eine dicke Katze, die nichts mehr zu sich nimmt, muss sofort in Behandlung“, sagt Frühwirth. Er hat schon viele solche Tiere gerettet – allerdings mit Intensivbehandlung und Zittern ums Überleben. „Vielen Menschen ist gar nicht bewusst, was sie ihren Tieren mit den gut gemeinten Leckereien antun“, sagt der Präsident der Tierärztekammer.
„Vielen ist nicht bewusst, was sie ihren Tieren mit den gut gemeinten Leckereien antun."
Kurt Frühwirth, Präsident der Tierärztekammer, hier mit Appenzeller Sennenhund Bucky und Tierarzthelferin Annalena Rieder
Woran erkennt man, dass die Katze zu dick ist? Hier hilft regelmäßiges Wiegen. Eine gewöhnliche Hauskatze sollte zwischen 3,5 und 5,5 Kilogramm auf die Waage bringen, für spezielle Rassen gibt es eigene Gewichtstabellen. Das Problem: Vor allem Wohnungskatzen fehlt es oft an Bewegung, die mit Fressen kompensiert wird. Ebenso geht es Meerschweinchen, Kaninchen und Hamstern. Wer sich solche Tiere zulegt, sollte sich vorher eingehend mit deren Haltung beschäftigen. „Ein Hamsterrad ist nur eine Notlösung. Hamster sollten genug Platz und Einrichtung im Gehege haben, um sich ein Nest bauen und die Umgebung erkunden zu können“, sagt Michael Leschnik von der Vetmeduni Wien. Auch bei der Fütterung von Nagern mangelt es häufig an Wissen. Heu muss deren Hauptnahrungsmittel sein, nicht Pellets, Körner oder anderes Kraftfutter, das sie massiv Fett ansetzen lässt.
Wie Kaninchen und Hamster werden auch sie oft falsch gehalten und ernährt. Zu viel Kraftfutter, zu wenig Bewegung.
Barfen, vegetarisch oder gar vegan: Menschen lieben Diäten und Ernährungstrends, zunehmend auch bei ihren Haustieren. „Barf“ steht für biologisch artgerechte Rohfütterung (engl.: Bones And Raw Foods oder Biologically Appropriate Raw Foods). Der Begriff wurde von dem australischen Tierarzt Ian Billinghurst in den 1990er-Jahren geprägt; er meinte damit die Fütterung von rohem Fleisch, Innereien und rohem Gemüse ohne Getreide. Mittlerweile gibt es Unmengen von Barf-Rezepten für Hunde und Katzen. Grundsätzlich ist an der Fütterung nichts auszusetzen – wenn sie richtig gemacht wird. Daran hapert es allerdings oft. Das Hantieren mit rohem Fleisch erfordert ein hohes Maß an Hygiene, um Salmonellen und andere Erreger zu vermeiden. Außerdem schleichen sich schnell Nährstoffmängel oder die Überversorgung mit Eiweiß ein, die vor allem bei alten Tieren Leber und Niere belasten. Bei jungen und alten Hunden und Katzen ist vom Barfen also abzuraten.
Striktes Knochenverbot
Ebenfalls wichtig: Knochen von Rind, Huhn oder Schwein sind tabu für Katze und Hund. Nicht selten landen Haustiere nach dem Genuss von Knochen mit blutigem Durchfall, Erbrechen oder lebensgefährlicher Verstopfung beim Tierarzt.
Was ist mit vegetarischer oder gar veganer Ernährung? Tierliebende Menschen haben zunehmend ein Problem damit, dass für ihre Lieblinge andere Tiere sterben müssen. Bei Hunden sieht Tierarzt Kurt Frühwirth kein Problem: „Hunde können pflanzliche Proteine gut verwerten.“ Es gibt ausgewogenes Alleinfutter im Handel, das alle Nährstoffe enthält. Wer nicht ganz auf tierische Proteine verzichten will, kann auf Futter mit Insekten zurückgreifen. Bei Katzen rät Frühwirth von veganer Ernährung ab: „Sie haben einen anderen Stoffwechsel, der auf bestimmte Aminosäuren angewiesen ist.“
Hundepopcorn, Katzenbrezeln, Pferdefleisch für glänzendes Fell: Die Österreicher sparen zwar, aber sicher nicht bei Katz und Hund. Der Tierfachhandel boomt auch in Krisenzeiten. Der Umsatz von „Fressnapf“ kletterte in Österreich 2023 um 9,5 Prozent auf den Rekordwert von 287 Millionen Euro. Dabei wäre weniger hier oft mehr.
Röchelnder Mops
Besonders dramatisch wirkt sich Übergewicht bei kurzköpfigen Rassen aus. Mini-Nase, Glubschaugen, Vorbiss: Viele Menschen finden Möpse, Boxer und Bulldoggen herzzerreißend niedlich. In Wahrheit gehören diese Rassen in die Kategorie Qualzucht. Ihre Nasen wurden durch gezielte Auswahl im Lauf von Generationen viel zu kurz geformt, um ausreichend Luft zu bekommen; der Gaumen ist zu kurz, das Gaumensegel zu lang, um seiner Funktion als Klimaanlage des Körpers gerecht zu werden. Hunde verschaffen sich durch Hecheln Kühlung, verdunstender Speichel in Maul und Rachen spielen dabei eine große Rolle.
Der Mops fällt in die Kategorie Qualzucht. Durch die viel zu kurzen Schnauzen kämpfen die Tiere oft mit Atemnot, Übergewicht verschärft das Problem.
Oft kann man den Tieren nur durch Ausweiten der Nasenlöcher oder Kürzen des Gaumensegels mittels OP ein schmerz- und angstfreies Leben ermöglichen. Sind kurzschnäuzige Tiere dann auch noch zu dick, wird die Situation lebensbedrohlich. Das Atmen fällt durch die Fettschicht noch schwerer, die das Tier zudem wärmt. Ein Spaziergang bei 30 Grad kann den Tod bedeuten.
Mit Geduld zum Erfolg
Wer ein Tier zu Hause hat, das abspecken muss, braucht Geduld. Es kann sein, dass sich lange gar nichts tut, obwohl der Vierbeiner weniger Futter und mehr Bewegung bekommt. „Das liegt am Stoffwechsel, der sich erst langsam umstellt“, sagt Michael Leschnik von der Vetmeduni. Frustrierte Tierbesitzer kann er beruhigen. Nach vier bis sechs Wochen stellt sich der Erfolg in der Regel ein, auch das oft nervtötende Betteln lässt nach. Man kann Hund oder Katze kein größeres Geschenk machen: Sie werden wieder aktiver, bekommen besser Luft, haben Freude an der Bewegung – und sie gewinnen Lebenszeit. Übergewicht kann das Leben eines Tieres um Jahre verkürzen.
Die Erfolgschancen sind hoch. 95 Prozent der Mensch-Tier-Teams in seiner Klinik schaffen es, die Pfunde purzeln zu lassen, schätzt Leschnik. Das kann Hundetrainerin Katja Staud bestätigen. Sie freut sich immer, wenn sie den Satz hört: „Wir haben abgenommen!“
Newsletter
Drucken
(profil.at, 44,30)
|
Stand:
Franziska Dzugan
schreibt für das Wissenschaftsressort, ihre Schwerpunkte sind Klima, Medizin, Biodiversität, Bodenversiegelung und Crime.