Neue Studien: Wie Waschmittel Europas Flüsse mit Glyphosat belasten
Die Geschichte hat alle Zutaten eines Wissenschaftskrimis. Sie handelt davon, wie Forschende mit detektivischem Spürsinn, Akribie und Beharrlichkeit bemerkenswerte Zusammenhänge aufdeckten. Ihren Beginn nahm sie im Sommer 2022. Damals watete Carolin Huhn, Professorin für Effektive Umweltanalytik an der Universität Tübingen, durch Gewässer nahe der deutschen Stadt. Zusammen mit Kollegen schaufelte die Chemikerin Schlamm vom Grund und studierte die Proben im Labor. Die Forschenden wollten wissen, wieviel Glyphosat sich in den Sedimenten abgelagert hatte – jene umstrittene Substanz, die als sogenanntes Totalherbizid das wichtigste Unkrautvernichtungsmittel in der Landwirtschaft darstellt.
Ihren vorläufigen Höhepunkt fand die Geschichte in mehreren wissenschaftlichen Publikationen. Die erste Veröffentlichung erschien im Juli 2024 im Fachjournal „Water Research“, die jüngsten im vergangenen März im selben Magazin sowie in „Nature Communications“. Die Zwischenergebnisse dieser Arbeiten wurden in Österreich, anders als in Deutschland, bisher gar nicht wahrgenommen – obwohl sie ebenso relevant wie auch verblüffend sind.
Waschmittel statt Landwirtschaft
Denn sie liefern eine überraschende Erklärung dafür, aus welcher Hauptquelle die teils erheblichen Belastungen europäischer Flüsse mit Glyphosat zu einem Gutteil tatsächlich stammen dürften. Und dabei handelt es sich im Widerspruch zur gängigen Annahme offenbar nicht um die Landwirtschaft. „Die Eintragungsmuster in die Gewässer passen nicht zu dem, was man erwarten würde“, sagt Carolin Huhn.
Die Forschenden aus Tübingen haben einen anderen Verdächtigen identifiziert: eine Substanz in Waschmitteln, die im Wege chemischer Prozesse in Glyphosat umgewandelt und ihrer Hypothese zufolge über Kläranlagen in Flüsse und andere Gewässer gespült wird. Hinweise darauf gibt es seit beinahe 20 Jahren, etwa aus Frankreich, doch bisher unterzog sich niemand der Mühe, die zugrunde liegende chemische Kaskade Schritt für Schritt nachzuvollziehen.
Schon die ersten Sedimentproben erbrachten Anhaltspunkte, dass an den verbreiteten Vorstellungen „etwas faul ist“, wie Huhn sagt. Solche Bohrkerne lassen sich wie ein Archiv lesen, das Schicht für Schicht den zeitlichen Verlauf von Ablagerungen verrät. Dabei fanden sich Spuren von Glyphosat, die bis in die 1960er-Jahren zurückreichten – in eine Zeit, in der der Stoff als Herbizid noch gar nicht in Gebrauch war. Wie konnte das sein?
Durch diese und weitere Unstimmigkeiten hellhörig geworden, begann die Chemikerin, behördliche Messdaten von Gewässern zusammenzutragen, zunächst aus Baden-Württemberg und anderen Regionen Deutschlands, schließlich aus ganz Europa sowie, zu Vergleichszwecken, aus den USA. Schließlich saß das Forschungsteam vor Millionen von Daten. Letztlich wählte es Ergebnisse von rund 100 Messstellen aus. 73 davon befinden sich in Europa, darunter in Frankreich, Schweden, Deutschland, Luxemburg, Italien und den Niederlanden.
Millionen von Daten
Dann begann die Auswertung, wobei die Forschenden wissen wollten: Wieviel Glyphosat findet sich in den Flüssen der verschiedenen Länder? Wie veränderte sich die Menge zwischen 1997 und 2023? Welche saisonalen Schwankungen gibt es, kommt es also zu Unterschieden je nach Jahreszeit? Und passen die Messergebnisse zu den typischen Anwendungsmustern in der Landwirtschaft?
Die Antwort auf die letzte Frage lautet: ja und nein, je nachdem, wohin man blickt. In den USA lässt sich eine Glyphosatbelastung im klaren Gleichklang mit landwirtschaftlicher Tätigkeit feststellen: merkliche Ausschläge nach oben vor und während der Wachstumssaison, bedingt in den USA durch den Anbau genetisch veränderter Nutzpflanzen; deutliche Peaks im Frühjahr sowie im Spätsommer und Herbst nach der Ernte zur Reinigung und Vorbereitung des Feldbettes; ein deutlicher Rückgang im Winter; Spitzen nach starkem Regen, der die Chemikalie aus den Böden in Gewässer spült; zeitgleich mit hohen Belastungen durch Glyphosat auch solche durch andere Pestizide.
Und in Europa? „Die in den USA beobachteten Merkmale sind in keiner Weise repräsentativ für Europa“, schreiben die Forschenden in einem ihrer Fachartikel. Die in den USA typischen Muster der Einträge in Gewässer ließen sich an den mehr als 70 europäischen Messstellen so gut wie gar nicht feststellen. Beispielsweise fänden sich auch in den Monaten November bis März, in denen üblicherweise kein Glyphosat auf die Felder ausgebracht wird, stattliche Mengen davon in den Gewässern. Außerdem strömen in Europa, anders als in den USA, auch in sommerlichen Trockenperioden nennenswerte Glyphosatmengen in die Gewässer, wenn nicht zu erwarten wäre, dass starke Niederschlage das Herbizid aus den Böden waschen. Kurz gesagt: In Europa ist die Belastung mit Glyphosat über das Jahr relativ konstant.
Weiters waren mitunter in Regionen mit intensiver Landwirtschaft die Werte auffallend niedrig, während sie umgekehrt in Gegenden mit wenig Landbau erstaunlich hoch waren. Teils fanden sich Konzentrationen bis zu 57 Mikrogramm Glyphosat pro Liter Wasser. Zum Vergleich: Der für die Trinkwassergüte relevante Schwellenwert liegt in der EU bei 0,1 Mikrogramm pro Liter, also fast um den Faktor 600 darunter.
Auffällige Unstimmigkeiten
Den Forschenden stachen noch weitere Auffälligkeiten ins Auge. So bringen die USA generell ein Vielfaches der in Europa angewandten Glyphosatmengen aus. In Nordamerika, wo gentechnisch gegen den Unkrautvernichter resistent gemachte Pflanzen zugelassen sind, sind es knapp 140 Kilo pro Quadratkilometer, im europäischen Schnitt dagegen weniger als 30 Kilo. Die Gewässerbelastung in amerikanischen, französischen und deutschen Flüssen ist aber relativ ähnlich.
Weiters wurden auch in Luxemburg, wo zwischen 2021 und 2023 ein Glyphosatverbot galt (das dann gerichtlich gekippt wurde), deutliche Belastungen durch das Herbizid gemessen respektive keine Veränderungen infolge des Verbots festgestellt. Relativ ähnlich stellt sich die Situation in Österreich dar: Österreichische Daten flossen zwar nicht in die altuellen Studien ein, allerdings zeigten Erhebungen von Umweltverbänden 2023, dass unter anderem Bäche in Niederösterreich erhebliche Glyphosatkonzentrationen aufweisen – genau wie in zehn weiteren von zwölf damals untersuchten Ländern Europas.
In Österreich gilt immerhin ein Teilverbot von Glyphosat: Im Privatbereich sowie auf öffentlich zugänglichen Flächen wie Parks oder Spielplätzen darf es schon seit 2021 nicht mehr zur Unkrautvernichtung angewandt werden, je nach Bundesland verzichten außerdem viele Kommunen freiwillig auf den Einsatz, und in der Landwirtschaft gingen die verbrauchten Mengen bereits zwischen 2017 und 2021 um fast ein Drittel auf rund 230 Tonnen pro Jahr zurück.
Warum schlagen sich solche Entwicklungen und verschiedene Einsatzbeschränkungen nicht in Gewässer-Messwerten nieder? Ist einfach das „Ausmaß der Glyphosatkontamination“ so gewaltig, dass Jahreszeiten, Verzicht auf oder Reduktion der Anwendung die Daten nicht beeinflussen, wie das Pesitizid-Aktions-Netzwerk nach den Messungen in den zwölf europäischen Ländern vermutete? Interessanterweise erwähnt der Umweltverband auch die Tatsache, dass Wasserproben sogar in der „Nebensaison“ starke Belastungen zeigte, wenn die Landwirtschaft eigentlich ruht, interpretierte dies allerdings eine der Folgen zügellosen Einsatzes auf Äckern und Feldern.
Die Forschenden um Carolin Huhn ziehen eine andere Schlussfolgerung aus den Daten: Die Analysen würden zeigen, dass die „dominante Quelle für Glyphosat in Europa nicht die Anwendung als Herbizid“ sein könne.
Statt dessen identifizierte das Wissenschafterteam einen anderen Faktor, der hervorragend zu den jeweils gemessenen Belastungsprofilen passt: Abwasser aus Kläranlagen. Zum Beispiel steigen die Glyphosatkonzentrationen an Abflussstellen von Kläranlagen, während sie mit zunehmender Distanz zu einer Kläranlage sinken. Außerdem zeigen dort, wo hohe Glyphosatwerte auftraten, auch Rückstände bestimmter Medikamente die gleichen Konzentrationsverläufe über das Jahr. Mangels alternativer Quellen wie der Industrie kamen an einigen Messstellen nur Haushalte als Ursprung infrage. Und von dort gelangt das ganze Jahr über Abwasser in die Kanäle und Kläranlagen, auch in den Wintermonaten, wenn die Landwirtschaft Pause hat.
Also untersuchte die Gruppe um Chemikerin Huhn nun Schlämme aus Kläranlagen. Sie wählte drei deutsche Anlagen aus, die fast ausschließlich Haushaltsabwasser verarbeiten, nicht aber solches aus Industrie oder Landwirtschaft. Einen Verdacht, worum es sich beim wahren Übeltäter handeln könnte, hatten die Forschenden bereits: um Zusätze in Waschmitteln, die vor allem die Kalkbildung verhindern sollen.
Flüssigwaschmittel unter Verdacht
Besonders eine Substanz geriet in den Fokus: Diethylentriaminpenta(methylenphosphonsäure), kurz DTPMP. Der Stoff fällt genau wie Glyphosat in die Klasse der Aminopolyphosphonate. Sehr viele Flüssigwaschmittel gängiger Marken sowie vieler Eigenmarken von Diskontern in Europa, aber auch in Commonwealth-Staaten enthalten Phosphonate wie DTPMP, ganz anders als in den USA, wo diese Substanzgruppe in Waschmitteln kaum vorkommt.
DTPMP hat eine spezielle Eigenschaft: Daraus bildet sich ein Abbauprodukt namens AMPA. Dieses ist aber ebenso das wichtigste Abbauprodukt von Glyphosat. Somit lag die Frage nahe: Kann DTPMP auch ein Vorläuferprodukt von Glyphosat sein, zumal es molekular ähnlich aufgebaut ist? Daher begannen die Tübinger Forschenden eine Reihe von Experimenten und prüften, ob sie im Klärschlamm gleichsam Glyphosat züchten konnten. Sie versetzten den Schlamm mit DTPMP und beobachteten, was geschah. Und tatsächlich: Schon nach wenigen Stunden konnten sie Glyphosat und auch AMPA im Klärschlamm nachweisen. Damit war die Indizienkette ziemlich dicht: Die Experimente zeigten, wie aus üblichen Waschmittelzusätzen in einer Kläranlage durch chemische Transformation Glyphosat entstehen kann.
In der Schlussfolgerung des Fachartikels in „Water Research“ schreiben die Wissenschafter: „In dieser Studie konnten wir beweisen, dass Glyphosat wie auch AMPA Transformationsprodukte von DTPMP sind.“ Die Resultate könnten dazu beitragen, Gewässerbelastungen mit Glyphosat zu erklären, die das ganze Jahr über weitgehend konstant seien.
Carolin Huhn ging noch einen Schritt weiter und kontaktierte ihren Kollegen Stefan Haderlein. Der Umweltchemiker und -mineraloge führte anschließend weitere Laborstudien durch, um zu überprüfen, auf welchem Weg im Detail aus DTPMP Glyphosat entstehen kann. Ergebnis: Wesentlich dabei dürften Manganverbindungen sein, die in Bodensedimenten, aber auch in Klärschlamm vorkommen. Im Labor zeigte sich, dass schon geringe Mengen Mangan zusammen mit Sauerstoff zur Bildung von Glyphosat aus DTPMP führten.
Offene Forschungsfragen
Es sei tatsächlich spannende Detektivarbeit gewesen, berichtet Huhn. Und diese sei noch keineswegs abgeschlossen. Vor allem gelte es eine Unstimmigkeit zu lösen: Die Mengen an Glyphosat, die in den Klärschlamm-Experimenten entstanden, sind relativ gering – zu gering, um das Ausmaß der europaweit gemessenen Gewässerbelastung schlüssig erklären zu können. Für den deutschen Industrieverband Körperpflege- und Waschmittel war dies Anlass, per Presseaussendung sofort zur Entlastung der Branche auszurücken: Schließlich seien nur „Mikrospuren“, aber keine „signifikante Menge an Glyphosat“ entdeckt worden. Eine alternative Begründung für die ganzjährig weitgehend konstante Belastung in Kläranlagen lieferte der Verband jedoch nicht.
Chemikerin Huhn indes will den Abweichungen mit weiteren Studien und Experimente auf den Grund gehen. Eine Möglichkeit wäre, dass DTPMP nicht nur in den Kläranlagen selbst zu Glyphosat umgewandelt wird, sondern zusätzlich bereits am Weg dorthin in der Kanalisation. Erste Hinweise darauf hat sie bereits mit ihrem Team in den aktuellen Studien ausgemacht.
Sicher ist: Vernachlässigbar sind die in Europa eingesetzten Mengen an Phosphonaten nicht. Bereits älteren Daten zufolge werden jährlich europaweit rund 12.000 Tonnen davon in Haushaltsprodukten angewandt, davon zirka 4000 Tonnen DTPMP. Hinzu kommen Produkte für die Industrie, unter anderem für Kühlwassersysteme, Entsalzungsanlagen, für die Textil- und Papierherstellung.
Aber warum finden sich Umwandlungsprodukte dieser Substanzen in Flüssen, obwohl sie bereits eine Kläranlage passiert haben? Wäre es gerade nicht der Job effizienter Abwasserbehandlung, solche Schadstoffe zu eliminieren? Die meisten Kläranlagen bewerkstelligen in drei- bis vierstufigen Verfahren Abbau oder Verarbeitung zahlreicher Substanzen – doch bei DTPMP handelt es sich um eine äußerst langlebige und stabile Verbindung, die biologisch kaum abbaubar ist. Hinzu kommt ein bisher ziemlich blinder Fleck der Schadstoffüberwachung, wie das Magazin „Spektrum der Wissenschaft“ anmerkt: Zwar seien viele Chemikalien hinsichtlich ihrer ökologischen und gesundheitlichen Auswirkungen reguliert – nicht aber deren chemischer Umbau wie zum Beispiel die Umwandlung von DTPMP zu Glyphosat, das sich prinzipiell, wenn unbemerkt aus Kläranlagen freigesetzt, in Sedimenten anreichern kann.
Was tun als Konsument? Ob ein Flüssigwaschmittel DTPMP enthält oder nicht, ist meist gar nicht so leicht zu eruieren. Vielfach ist auf den Packungen als Wirksubstanz lediglich der Oberbegriff Phosphonate angegeben, nicht aber, ob es sich um DTPMP handelt oder um HEDP, den zweiten gebräuchlichen Stoff, aus dem jedoch kein Glyphosat hervorgeht. Wer sichergehen möchte, wählt überhaupt phosphonatfreie Produkte, deren entkalkende Wirkung zum Beispiel auf dem biologisch besser abbaubaren Glutaminsäure-Diessigsäure-Tetranatriumsalz beruht.
Oder aber man unterzieht sich der Mühsal, die Hersteller mit Anfragen zu quälen, welche Stoffe im Detail in ihren Produkten enthalten sind.