Die Stadt Wien und Siemens: eine umstrittene Ausschreibung

Die Gemeinde Wien will Computer-Tomographen für Spitäler kaufen. Allerdings ist der Auftrag so gestaltet, dass nur ein Unternehmen zum Zug kommen kann: Siemens.

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Der deutsche Technologie-Weltkonzern Siemens und die Wiener SPÖ, das ist die Geschichte einer jahrzehntelangen Freundschaft. Bereits im Jahr 2000 wechselte die damalige Wiener Finanzstadträtin Brigitte Ederer in den Vorstand von Siemens Österreich, um danach bis in die Konzernspitze in München aufzusteigen. Später beschritt die damalige Wiener SPÖ-Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely ähnliche Wege. Sie trat 2017 aus der Stadtregierung aus, um in Deutschland bei Siemens Healthineers anzuheuern, der medizintechnischen Sparte des Konzerns.

Die Wiener Rathausopposition ortet regelmäßig Interessenskonflikte infolge der personellen Verstrickungen, zuletzt nach dem Abgang Wehselys – immerhin unterhält Siemens vielfältige Geschäftsbeziehungen zum Rathaus. Doch die Bürgermeisterpartei SPÖ verwehrte sich stets gegen derartige Verdächtigungen.

Nun jedoch liegt ein Fall vor, der Fragen aufwirft. profil und die ORF-ZIB haben ihn gemeinsam recherchiert. Es geht um eine Ausschreibung durch den stadteigenen Wiener Gesundheitsverbund (WIGEV, ehemals Krankenanstaltenverbund KAV), der die städtischen Spitäler betreibt. Der WIGEV fällt unter die politische Verantwortung des SPÖ-Gesundheitsstadtrats Peter Hacker. Nun sorgt ein millionenschwerer Auftrag zur Anschaffung von Computertomographen für Erstaunen und Widerstand der Mitbewerber. Der WIGEV habe die Computertomographie-Geräte (CT) derart ausgeschrieben, dass nur ein Bewerber erfolgreich aus dem Wettbewerb hervorgehen konnte, und zwar Siemens – diesen Vorwurf erhebt ein prominenter Konkurrent auf dem Markt für medizinische Geräte: die Österreich-Niederlassung des japanischen Weltkonzerns Canon, Canon Medical Systems. Später schloss sich auch GE Healthcare, Medizintechnik-Tochter des US-Mischkonzerns General Electric, an.

Inzwischen haben die Konkurrenten vor Gericht Recht bekommen. Im Jänner erklärte das Verwaltungsgericht Wien die gesamte Ausschreibung für nichtig. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig. Das Rathaus hat es nicht auf den Gang zu den Höchstgerichten ankommen lassen.

„Watsche für die Stadt Wien“

Als „deutliche Watsche für die Stadt Wien und den Wiener Gesundheitsverbund“ bezeichnet Thomas Neger, Rechtsanwalt der siegreichen Canon Medical Systems mit Kanzlei in Graz, die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichts in einer Stellungnahme gegenüber profil und ZIB. „Sie führt allen vor Augen, dass es so nicht gehen kann.“

Was genau war geschehen? Vergangenes Jahr veröffentlichte der WIGEV die Ausschreibung. Die Bieter konnten sich um den Abschluss einer „Rahmenvereinbarung zur Lieferung, Aufstellung, Inbetriebnahme sowie Wartung einer Computertomographieanlage“ bewerben. Der Vertrag umfasste also Beschaffung wie Wartung der CT-Geräte. Es waren bis zu fünf Maschinen im Wert von maximal 8,5 Millionen Euro, gedacht unter anderem für die Klinik Donaustadt im 22. Bezirk. Bis zum 24. November 2020, 10 Uhr, konnten interessierte Unternehmen ihre Gebote an das Rathaus herantragen. Solche hochpreisigen Anschaffungen müssen laut Bundesvergabebesetz veröffentlicht und EU-weit ausgeschrieben werden – was auch, ganz regulär, geschieht.

Dennoch regte sich beim Mitbewerber Canon Widerstand. Der Vorwurf: Die Ausschreibung war „so gestaltet, dass sie nur ein Bieter am Ende des Tages hätte gewinnen können“, so Canon-Anwalt Neger. Dazu muss man wissen, dass es bei hochspezialisierten Medizingeräten hunderte unterschiedliche Spezifika gibt. Ob es sich nun um die genaue Funktionsweise von Gerätekühlungen handelt, um exakte Größe von Displays oder um die Weise, wie genau sich ein Greifarm schwenken lässt – solche Details sind je nach Herstellerfirma verschieden. Unternehmen gehen bei der Konstruktion ihrer Maschinen unterschiedliche Wege – was nichts über deren Qualität aussagt.

Konkretes Beispiel im Fall der CT-Geräte: Siemens kühlt mit Wasser, andere Hersteller mit Luft. Qualitativ macht es keinen Unterschied, bestätigen Medizintechnik-Experten gegenüber profil. Allerdings: Der Wiener Gesundheitsverbund (WIGEV) bestand in seiner Ausschreibung auf eine Wasserkühlung. Eine Anforderung, die „nur von einem Hersteller (Siemens) erfüllt wird“, hält das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung fest. Nach derselben Methode definierte der WIGEV in seiner Ausschreibung andere Spezifikationen, über die nur Siemens-Geräte verfügen. Da wäre etwa eine genaue Größe des Scanbereichs (42 Zentimeter) oder der Einsatz einer 3D-Kamera.

Der stadteigene WIGEV ging sogar so weit, bei bestimmten technischen Spezifikationen Passagen aus den Datenblättern der Siemens-Geräte wortwörtlich in die Ausschreibungsunterlagen zu übernehmen – sie quasi abzuschreiben.

„Unsachlich und diskriminierend“

Es gebe keine sachliche Rechtfertigung, dass das Rathaus ausgerechnet auf die Siemens-Spezifika bestand, urteilt das Gericht. Am Beispiel der 3D-Kamera heißt es, alternative Technologien anderer Hersteller würden „gleich gute Ergebnisse“ bringen. Vor diesem Hintergrund erweise sich manche Aspekte der Ausschreibung als „unsachlich und diskriminierend“ gegenüber den Mitbewerbern. „Eine derartige Vorgangsweise widerspricht (…) den Grundsätzen des Vergaberechts“, so das Gericht.

Wollte die Stadt dafür sorgen, dass Siemens zum Zug kommt? Wenig überraschend weist man die Darstellung zurück. profil und der ZIB liegt eine umfangreiche Stellungnahme der Wiener Rechtsanwaltskanzlei Doralt, Seist und Csoklich vor, die das Rathaus vertritt. Die Spezifikationen seien „sehr wohl aus medizinischen Gründen erforderlich und sachlich gerechtfertigt“, heißt es darin. Die Anwälte erklären es am Beispiel der Wasserkühlung. Diese sei der alternativen Luftkühlung vorzuziehen – denn letztere könne zur „erhöhten Keimbelastung“ in Behandlungszimmern führen. Außerdem müsse man in Wiens Spitälern um teures Geld die Klimaanlagen umbauen, weil die Luftkühlungen im Gegensatz zu Wasserkühlungen „Abwärme“ verursachen würden.

Stimmt’s? Nein, sagt das Gericht. Im Verfahren wurden Ärzte und Medizintechniker befragt. Sie hätten „nachvollziehbar dargelegt“, dass Luftkühlungen zu keiner höheren Keimbelastung führen. Auch brauche es ihretwegen keine besseren Klimaanlagen.

Fest steht jedenfalls, dass für alle Anschaffungen dieser Art die Steuerzahler berappen. Sie tragen die möglicherweise höheren Kosten, sollte die Stadt Wien tatsächlich Ausschreibungen so gestalten, dass nur ein Bieter gewinnen kann. Auf Anfrage von profil und ZIB will der politisch verantwortliche SPÖ-Gesundheitsstadtrat Peter Hacker nichts mit der Causa zu tun haben. „Weder das Stadtratbüro noch der Stadtrat selbst waren in diesen Beschaffungsvorgang involviert“, so Hackers Büro – daher möge man im WIGEV weiterfragen. Von dort heißt es: „Der Gesundheitsverbund respektiert selbstverständlich das Urteil des Verwaltungsgerichts, welches zum Schluss gekommen ist, dass die Leistungsanforderung zu eng gefasst war. Deshalb werden wir selbstverständlich ein neues Verfahren unter Berücksichtigung der vom zuständigen Gericht formulierten Kritikpunkte in die Wege leiten.“ Im Fall der Beschaffung der CT-Geräte, betont der WIGEV, habe das Verwaltungsgericht durchaus bestätigt, „dass sehr hohe Anforderungen an die zu beschaffenden Leistungen gestellt werden dürfen“. Ganz grundsätzlich erfolge „jeder Beschaffungsvorgang mit dem Ziel, die beste medizinische Versorgung unserer PatientInnen zu gewährleisten – auch die gegenständliche“. Entscheidungen würden nie von Einzelpersonen getroffen, immer in Gremien. Und vor allem: „Die Andeutung, dass Verfahren in irgendeiner Weise von parteipolitischen Überlegungen beeinflusst sein könnten, weisen wir aufs Schärfste zurück.“

In eine ähnliche Kerbe schlägt Siemens auf profil- und ZIB-Anfrage. „Sonja Wehsely leitet Siemens Healthineers in Zentral-, Osteuropa und der Türkei. Der Verantwortungsbereich umfasst 21 Länder“, so die Sprecherin von Siemens Healthineers – wovon Österreich nur eines sei. Wehsely betreue darüber hinaus gar keine österreichischen Kunden, sondern lediglich jene im Ausland. Dass eine politische Verstrickung Einfluss auf etwaige Ausschreibungen habe, weist die Sprecherin von Siemens Healthineers zurück.