Ein Mann (Riad Darar) steht vor einer Karte.
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Syrischer Oppositioneller: „Wollen unsere Waffen nicht abgeben“

Riad Darar kämpfte Jahrzehnte gegen Syriens Diktator, saß in Gefängnissen und im Exil. Ein Gespräch darüber, wo das Land heute steht.

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Fünf Jahre in syrischen Gefängnissen, dann Exil in Ägypten und schließlich die Flucht nach Österreich: Riad Darar bezahlte für seinen Aktivismus für Menschen- und Minderheitenrechte in Syrien einen hohen Preis.

Sein Bart ist grau, er geht nur langsam in seinen Hausschuhen. Der Araber, der früher als islamischer Geistlicher tätig war, hat Aufstieg und Fall der Familie Assad erlebt: 71 Jahre ist Darar alt. profil trifft ihn in seinem Wohnzimmer in einer Wiener Wohnung – das auch gleichzeitig sein Büro ist.

Ein älterer Herr (Riad Darar) sitzt vor einem vollen Schreibtisch.
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Darar ist aktuell Berater des Syrischen Demokratischen Rates, des politisches Armes der Milizen der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF), dessen Ko-Vorsitzender er früher auch war. Die von den Kurden angeführten SDF hatten einst den sogenannten Islamischen Staat besiegt und kontrollieren den Nordosten Syriens.

Darar war einst Gegner des alten Regimes, auch heute ist er noch Oppositioneller.

Erinnern Sie sich an den Moment am 8. Dezember 2024, als Sie erfuhren, dass das Regime gestürzt wurde?

Riad Darar

Das Regime fiel in der Früh. Meine Frau weckte mich auf und rief: „Das Regime ist gestürzt!“ Ich drehte mich zur Seite und schlief wieder ein.

Sie wurden 2005 vom Assad-Regime inhaftiert. Warum?

Darar

Ich sprach damals auf einer Beerdigung eines ermordeten kurdischen Gelehrten und verurteilte dessen Mörder. Danach verhörte mich der Geheimdienst und warf mir vor, mit den „Mördern“ Assad oder die Ba’ath gemeint zu haben. Schlussendlich verurteilte man mich zu fünf Jahren Haft, weil ich mit Elementen, die die „Teilung Syriens“ wollen, zusammengearbeitet haben soll. Gemeint waren die Kurden.

Wie erging es Ihnen im Gefängnis?

Darar

Ich saß in zwei Gefängnissen ein. Im Adra-Gefängnis, wo viele politische Gefangene eingesperrt waren, waren die Bedingungen noch okay, aber selbst dort war ich ein Jahr in Einzelhaft. Sie verlegten mich ins Saydnaya-Gefängnis – als Bestrafung, weil ein Gefangener ein Handy ins Gefängnis geschmuggelt hatte. Mit mir saßen in Saydnaya viele Islamisten, die im Irak gegen die USA gekämpft hatten, ein. Darunter waren auch welche, die der Al-Kaida nahestanden.

System Assad

Der syrische Luftwaffe-Kommandant Hafiz Assad putscht 1970. Die Assad-Familie baut ein System aus Geheimdiensten und Foltergefängnissen auf – getragen durch familiäre Seilschaften und Korruption. 2000 übernimmt Sohn Baschar die Macht, nachdem Hafiz Assad an einem Herzinfarkt verstarb. Als Massenproteste 2011 das Ende des Systems Assad forderten, reagierten Regimekräfte mit Gewalt und Terror. 14 Jahre dauerte der Bürgerkrieg an.

Saydnaya gilt als berüchtigt, weil das Assad-Regime dort systematisch Gräueltaten an Insassen beging.

Darar

Die Arabische Liga hielt 2008 ein Gipfeltreffen in Damaskus ab. Darum erleichterte das Regime unsere Haftbedingungen. Die Familien der Häftlinge brachten Sachen ins Gefängnis mit. Nachdem der Gipfel vorüber war, wollte die Gefängnisleitung uns das wieder wegnehmen. Die islamistischen Insassen bereiteten sich vor, ließen ihre Bärte lange wachsen und als unerfahrene Angehörige der Militärpolizei ins Gefängnis kamen, stürmten sie los und überwältigten die Sicherheitskräfte unter „Allahu-Akbar“-Rufen („Gott ist groß“ auf Arabisch, Anm.). Viele Militärpolizisten, darunter 13 Offiziere, wurden als Geiseln genommen.

Wie ging der Gefängnisaufstand weiter?

Darar

Wir kontrollierten das Gefängnis – sie stellten unsere Mahlzeiten ab diesem Zeitpunkt vor den Gefängnistüren ab. Scharfschützen erschossen von außen Häftlinge – darauf verbarrikadierten wir die Fenster mit Fliesen und Erde, damit man nicht mehr hineinsehen konnte. Der Aufstand dauerte sieben Monate an. Nebenbei wurden zähe Verhandlungen geführt. Für viele Islamisten war das eine Art Feuertaufe.

Assad ließ 2011 viele Islamisten frei in der Hoffnung, sie würden die Protestbewegung gegen ihn diskreditieren. Was machten ihre islamistischen Mithäftlinge, als sie freikamen?

Darar

Sie schlossen sich al-Nusra (Rebellengruppe, die bis 2016 zur al-Kaida gehörte) oder den „Islamischen Staat“ an. Ich kenne den jetzigen Justizminister Mazhar al-Wais aus dieser Zeit, er war später Teil von al-Nusra. Abseits der Ideologie war er eigentlich ein netter Kerl. Er hat mich öfters zum Gefängnisarzt begleitet.

Ahmed Scharaa sitzt auf einem großen Holzsessel, links und rechts eine Syrien-Flagge
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Ahmed Scharaa (Ex-Chef von al-Nusra und der HTS – dem islamistisch-orientierten „Komitee zur Befreiung der Levante“) ist seit 2024 Staatschef Syriens.

Wie islamistisch ist die aktuelle Übergangsregierung? Staatschef Ahmed Scharaa war einst Chef von al-Nusra und stand auf Terrorlisten der USA und UN.

Darar

Nicht jeder Islamist ist Überzeugungstäter – viele sind einfach machthungrig. Bei Ahmed Scharaa und (Außenminister, Anm.) Asaad Schaibani ist das der Fall. Doch sie haben aber noch immer eine islamistische Agenda: So wollen sie zum Beispiel, dass eine rückständige Version des Islam in den Schulen gelehrt wird. Doch der internationale Druck limitiert, wie weit sie gehen können.

Im März kam es zu Massakern an der Minderheit der Alawiten in den Küstenregionen, im Sommer eskalierten Kämpfe zwischen der Übergangsregierung und der Minderheit der Drusen im Süden. Sind die kurdisch-angeführten SDF vorsichtiger geworden?

Darar

Für die Übergangsregierung zählen nur Macht und Waffen. Das neue Regime grenzt aus, will andere kontrollieren und beherrschen. Sie greifen uns nicht an, weil wir militärisch stark sind. Wir wollen unsere Waffen nicht abgeben – wir haben gesehen was mit den Drusen und Alawiten passiert ist.

Wer sind die SDF?

Die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) gingen 2015 aus den kurdischen Verbänden „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) und „Frauenverteidigungseinheiten“ (YPJ) hervor, die gegen den sogenannten Islamischen Staat (IS) kämpften. Die SDF kontrollieren den erdölreichen Nordosten Syriens – darunter, bis auf die Region Afrin, alle traditionell kurdischen Gebiete des Mittelmeerlandes. 70.000 bis 100.000 Kämpfer stellt das Bündnis, das aus kurdischen, anderen Minderheiten- und arabischen Milizen besteht – die meisten davon mit sozialistischer Ausrichtung. 20 Prozent der Streitkräfte sollen laut Schätzungen weiblich sein. Die USA unterstützt die SDF im Kampf gegen Überreste des IS.

Karte Syriens: Im Süden kontrollieren Israel und die Drusen kleine Gebiete, im Nordosten kontrollieren die SDF große Gebiete.
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Die SDF verhandelt mit Damaskus: Ihre Streitkräfte sollen Teil des syrischen Militärs werden. Was ist daran das Problem?

Darar

Damaskus fordert, dass SDF-Kämpfer als Einzelpersonen ins Militär eintreten. Sie könnten in ganz Syrien verstreut werden. Defacto würden wir entwaffnet werden, Damaskus hätte die Kontrolle. Unsere aktuelle Forderung ist, dass die SDF in drei Divisionen des syrischen Militärs aufgeht, die dann aber weiterhin in Nordostsyrien stationiert bleiben. So könnte die SDF die Bevölkerung dort weiterhin schützen.

Was passiert mit dem Syrischen Demokratischen Rat, wenn das von den Kurden angeführte Nordostsyrien dem Rest Syriens beitritt? Scharaa verspricht freie Wahlen in den nächsten vier Jahren.

Darar

Wir sind Demokraten. Wir verhandeln mit anderen demokratischen Kräften, die für ein Syrien ohne islamistische Ideologie einstehen. Wir bereiten uns auf die Wahlen vor. Wir wollen daran teilnehmen.

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

ist seit Juli 2025 im Außenpolitik-Ressort. Davor freier Journalist für APA, Kurier und die deutsche Nahostfachzeitschrift zenith. Schwerpunkt Nahost / Kaukasus / Osteuropa.