US-Experte über Trump: „Das ist alles illegal“

Von Siobhán Geets
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Donald Trump baut den Staat um, und er missachtet Gesetze und Gerichtsurteile, die ihm das verbieten wollen. Überschreitet er seine Kompetenzen?
Thomas Jäger
Ja. Trump hat angekündigt, Widerstände mit exekutiver Gewalt auszuräumen, und genau das tut er jetzt. Das Ziel ist die Gründung einer imperialen Präsidentschaft, welche die Gewaltenteilung in den USA aufhebt und letztlich alle Macht beim Präsidenten sammelt.
Die USA sind eine der ältesten Demokratien der Welt, die Gewaltenteilung ist in der Verfassung festgehalten. Könnte Trump dieses Ziel überhaupt erreichen?
Jäger
Ja, und das gilt nicht nur für die USA: Wenn jemand nach der Macht greift und es gibt keine Gegenkräfte, die ihn davon abhalten, dann hat er sie in Händen. Was Trump von der Verfassung hält, hat er schon in den ersten Tagen gezeigt, als er ein Dekret unterzeichnete, welches das in der Verfassung verankerte Recht abschaffen soll, das allen in den USA Geborenen die US-Staatsbürgerschaft zusichert. Er hat in den ersten Tagen öffentlich klargemacht: Ich breche die Verfassung.
Was gerade geschieht, ist revolutionär.
Dieses Dekret wurde von einem Gericht gestoppt …
Jäger
Es gibt ein entsprechendes Urteil, aber man wird abwarten müssen, ob das beachtet wird – oder ob Kindern illegaler Flüchtlinge die Staatsbürgerschaft aberkannt wird. Wir sehen täglich, wie das mit Visas und Greencards geschieht. Vielleicht werden als nächstes Staatsbürgerschaften aberkannt. Über allem steht die Frage: Wer hält Trump auf bei seinen Vorhaben? Die Gerichte sind es nicht, wenn die Regierung sie ignoriert.

© Privat
Thomas Jäger,
Jg. 1960, ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Der Politikwissenschaftler und Autor befasst sich seit Jahrzehnten mit europäischer und amerikanischer Politik sowie internationalen Beziehungen.
Thomas Jäger,
Jg. 1960, ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln. Der Politikwissenschaftler und Autor befasst sich seit Jahrzehnten mit europäischer und amerikanischer Politik sowie internationalen Beziehungen.
Wer kann Trump sonst noch stoppen?
Jäger
Letztlich gibt es nur eine Kraft, die ihn stoppen kann: der Kongress. Vorausgesetzt, dass dieser in einer anderen Zusammensetzung, also mit einer Mehrheit der Demokraten, dem Präsidenten wieder seine Grenzen zeigt. Alles andere ist wirkungslos.
Bis zu den Zwischenwahlen im Herbst kommenden Jahres ist noch viel Zeit …
Jäger
Der Kongress wird im Jänner 2027 zusammentreten. Mit einer großen demokratischen Mehrheit könnte er Gesetze erlassen, die Trump bremsen. Doch der Präsident hat Veto-Rechte. Um ihn zu überstimmen, braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, das ist bisher selten vorgekommen und sehr unwahrscheinlich. Mit einer Mehrheit im Repräsentantenhaus könnten die Demokraten ein Amtsenthebungsverfahren anstreben, aber das dauert. Insofern hat Trump noch sehr lange ein offenes Feld.
Donald Trump bricht auch beim Budget, das Sache des Kongresses ist, mit der Verfassung. Er übergeht den Kongress, aber dieser akzeptiert das stillschweigend. Macht das Trumps Handeln rechtens?
Jäger
Nein. Solange sich der Kongress nicht wehrt, kann der Präsident das tun, aber damit wird es nicht legal. Nach geltender Rechtslage muss der Präsident das Geld, das der Kongress für einen bestimmten Bereich bestimmt hat, auch dafür ausgeben. Er tut es aber nicht. Er löst Bundesbehörden auf, die einen Etat haben. Das ist alles illegal. Wenn Trump Zölle auf Automobile erhebt und mit der Sicherheit des Landes argumentiert, ist das objektiv Quatsch, und legal ist es auch nicht. Aber solange das hingenommen wird, kann er es machen.
Wieso hat sich der Supreme Court hier nicht längst eingeschaltet?
Jäger
Der Supreme Court ist Trumps Auffassung nicht abgeneigt. Das sind mehrheitlich konservative Richter, wobei konservativ nicht die richtige Beschreibung ist. Was gerade geschieht, ist revolutionär. Grundlegender Widerstand ist von dieser Seite nicht zu erwarten – auch, wenn sich einzelne Richter manchmal gegen die Regierung stellen.
Im Fall eines irrtümlich nach El Salvador abgeschobenen Mannes haben die Richter des Supreme Court einstimmig festgestellt, dass die Regierung dessen Rückholung einleiten muss. Doch die Regierung ignoriert das. Was sind die nächsten Schritte?
Jäger
In dem Fall hat der Supreme Court ein vorinstanzliches Urteil bestätigt. Trumps Vize JD Vance hat schon vorher gesagt: Was wollen die Richter machen, wir sind die Exekutive. Es wird einfach nicht beachtet.
Der Supreme Court hat Trumps Handeln mit einem Urteil den Weg bereitet.
Wo könnte es am ehesten zur Eskalation zwischen Trumps Regierung und dem Supreme Court kommen?
Jäger
Ich sehe keine. Der Supreme Court hat Trumps Handeln mit einem Urteil den Weg bereitet. Die Richterinnen und Richter haben im vergangenen Jahr festgelegt, dass der Präsident für Amtshandlungen immun ist. Was kann Trump mehr wollen? Alles wird als Amtshandlung deklariert, und damit kann Trump alles egal sein.
Sind die USA noch ein Rechtsstaat?
Jäger
Nein, weil man sich nicht mehr darauf verlassen kann, dass dem Recht Folge geleistet wird. Wo das Recht dem Willen des Präsidenten nicht entspricht, wird es übergangen. Trumps Intuition wird zum Gesetz, weil der Präsident per definitionem nichts Illegales tun kann. Das hat ihm der Supreme Court zugestanden. Das Urteil ist der Ursprung allen Übels, das war ein laut formulierter Freibrief.
Richter und Medien werden ins Visier genommen, und politische Gegner Trumps werden eingeschüchtert.
Trumps Team schüchtert Anwaltskanzleien ein und droht Richtern. Das erinnert an die Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan und an Wladimir Putins Russland. Sind die USA auf dem Weg in eine Autokratie?
Jäger
Natürlich, das sind autoritäre Tendenzen. Die USA sind noch nicht so weit wie die Türkei oder Russland, weil sich die Opposition noch äußern darf. Doch es sind nicht nur die Anwaltskanzleien. Auch Richter und Medien werden ins Visier genommen, und politische Gegner Trumps werden eingeschüchtert. Justizministerin Pam Bondi droht: Wir sind hinter euch her, wir kriegen euch alle. Das sind Drohungen, wie sie in autoritären Staaten vorkommen.
„Der Präsident beansprucht diktatorische Macht“, sagt der Jurist Jamal Green von der Columbia University zur „New York Times“: „,Verfassungskrise’ reicht nicht, um den Ernst der Situation zu beschreiben.“ Stimmen Sie ihm zu?
Jäger
Ja, das ist so. Erstaunlich ist auch, wie wenig Gegenwind Trump aus den eigenen Reihen erhält. Ich erinnere mich an keine Regierung, in der die Minister und Berater bis zur Selbstverleugnung ihres eigenen Verstandes nachgeplappert haben, was ein Mensch sagt, den man eigentlich nicht ernst nehmen kann.
Welche Folgen hat das alles langfristig?
Jäger
Innenpolitisch läuft ein Manuskript ab, das vorher bekannt war und das die Wählerinnen und Wähler gewählt haben, wenn auch mit hauchdünner Mehrheit. Im Inneren lässt sich das zurückdrehen, wenn sich die Mehrheiten ändern. Nur: Der Schaden ist angerichtet. Wenn das Justizministerium die Behörde für Bürgerrechte auflöst und hunderte von Anwälten auf die Straße setzt, dann reicht es nicht zu sagen: Wir machen das rückgängig. Wenn die Entwicklungshilfebehörde USAID aufgelöst wird, dann sind die Leute weg, die Kontakte und Strukturen.
Das Vertrauen dürfte auch dahin sein.
Jäger
Das ist der Punkt. In den USA haben viele Menschen Angst, es sind zwischen zwölf und 20 Millionen Menschen mit Deportation bedroht. Ihre Sorgen bleiben, auch, wenn Trump weg ist. Die Kanadier werden den USA nicht mehr vertrauen, dasselbe gilt für Europa. Das Vertrauen in die USA als stabile Demokratie ist weg. Was über Jahrzehnte aufgebaut wurde, ist in wenigen Monaten zertrümmert worden.
Können sich die USA wirklich zum vollständig autoritären System entwickeln? Es wird ja wieder freie Wahlen geben.
Am Beispiel Amerika zeigt sich einmal mehr: Demokratien sterben, weil sie nicht von Demokraten verteidigt werden.
Jäger
Vielleicht wird es die geben. Aber womöglich werden die Ergebnisse nicht anerkannt. Wer Umfrageinstitute strafrechtlich verfolgen will, wenn sie für ihn nachteilige Umfragen veröffentlichen, wer Fernsehsendern mit dem Entzug von Lizenzen droht, der bewegt sich haarscharf entlang der Kante. Was, wenn das umgesetzt wird? Was, wenn Trump sagt: Die Wahlen waren gefälscht, die zählen jetzt nicht.
Würde der Supreme Court dann in Trumps Sinne urteilen?
Jäger
Das ist sehr schwer zu prognostizieren. Sollte es so weit kommen, könnte es ohnehin egal sein – weil Urteile dann nicht mehr beachtet würden.
Nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Jänner 2021 hat kaum jemand an eine zweite Amtszeit Trumps geglaubt. Hat man sich zu sehr auf die sogenannten Checks and Balances in den USA verlassen – oder hätte man das alles kommen sehen können?
Jäger
Doch, man hätte es kommen sehen können. Es gab wenige Menschen, die gewarnt haben. Die meisten haben auf die Checks and Balances verwiesen, auf die Bundesstaaten, und nur wenige haben damit gerechnet, dass die Gegenwehr so gering ist. Am Beispiel Amerika zeigt sich einmal mehr: Demokratien sterben, weil sie nicht von Demokraten verteidigt werden.

Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.