Nieder mit der Freiheit!
Von Siobhán Geets und Robert Treichler
Schriftgröße
Marci Shore, Timothy Snyder und Jason Stanley lehrten und forschten bis vor Kurzem an der amerikanischen Elite-Universität Yale. Ihr Fachgebiet: autoritäre Regime. Jetzt haben alle drei ihre Jobs gekündigt und das Land verlassen. In einem Gastbeitrag für die „New York Times“ erläuterten sie ihre Beweggründe. Professor Stanley sagte, er wolle den Amerikanern durch seinen Protest klarmachen, dass sie gerade einen „demokratischen Notfall“ erlebten; Professorin Shore zog einen drastischen Vergleich: „Wir sind wie die Leute auf der Titanic, die meinen, unser Schiff könne niemals sinken.“ Professor Snyder schließlich warnte vor der Idee, die USA als historische Ausnahme anzusehen, als Staat, in dem so etwas wie Faschismus per Definition niemals passieren könne: „Und am Ende verwendet man das Wort ‚Freiheit‘, doch es bedeutet längst ‚Autoritarismus‘.“
Sehen Shore, Snyder und Stanley viel zu schwarz? Nun, immerhin gehören die drei zu den besten Fachleuten auf ihrem Gebiet. Und sie sind mit ihren Prognosen nicht allein. Viele Medien in den USA beschreiben seit Donald Trumps Amtsantritt beunruhigende Szenarien. „Autokratischer Durchbruch: Trumps Showdown mit den Gerichten bringt die USA nahe daran, die Demokratie aufzugeben“, titelt der Sender NBC. Autoren der renommierten Denkfabrik Brookings Institution schreiben von „gefährlichen Rissen in den Säulen der US-Demokratie“.
Vorfälle, die solch düstere Beschreibungen rechtfertigen, gibt es genug: Deportationen von Migranten auf fragwürdiger Rechtsgrundlage; Entlassungen von missliebigen Beamten; Einschüchterungen von Richtern; willkürliche Festnahmen von Studierenden; ein Feldzug gegen die Harvard-Universität, gegen Anwaltskanzleien und gegen Unternehmen, die Diversitätsprogramme durchführen.
Doch diejenigen, die jetzt an der Macht sind – Donald Trump und seine Administration, seine Anhänger und Unterstützer –, machen sich über diese Warnungen lustig. Sie sehen sich als Verteidiger der Demokratie, während alle, die deren Zerstörung beklagen, bloß linksradikale Feinde Amerikas seien. Das Trump-Lager hat seine eigene Vorstellung von Demokratie, und die hält es allen Kritikern selbstbewusst entgegen. „Was ist Demokratie?“, fragt etwa Charlie Kirk in einem Beitrag für die rechtspopulistische Nachrichten-Website „Breitbart.com“.
Für Kirk, einen 31 Jahre alten Aktivisten und Gründer der Organisation „Turning Point USA“, die Trumps rechtsnationalistische Wende unterstützt, zählt in der aktuellen Demokratie der USA nur ein Datum: der 6. November 2024, als Donald Trump zum Präsidenten gewählt wurde. Alles, was er jetzt tut, sei durch diese Wahl demokratisch legitimiert, denn, so Kirk: „Können Sie eine einzige Sache nennen, die Trump jetzt macht und die nicht genau dem entspricht, was er versprochen hat und wofür er gewählt wurde?“
Demokratie oder Autokratie?
Reizt Trump bloß die legalen Möglichkeiten präsidentieller Machtausübung aus? Oder hat er die vielzitierten Leitplanken der Demokratie bereits durchbrochen?
Diese Auffassung von Demokratie ignoriert jegliche Gewaltenteilung und die Legitimation von Justiz, Kongress und unabhängigen Aufsichtsorganen, also alles, was mit dem Begriffspaar „checks and balances“ gemeint ist, das der Verfassung der USA zugrunde liegt.
Kann es sein, dass Donald Trump dennoch bloß die legalen Möglichkeiten präsidentieller Machtausübung ausreizt, um eine vom Wählerwillen gedeckte politische Wende durchzusetzen?
Oder lässt sich vielmehr belegen, dass die Trump-Administration Gesetze und Urteile von Gerichten missachtet, vorsätzlich Verfassungsregeln bricht und die USA in Richtung einer präsidentiellen Alleinherrschaft – und damit einer Autokratie – treibt?
Die eingebildete Invasion
Die Frage, wann ein Staat den Pfad der Demokratie verlassen hat, lässt sich wohl erst im Nachhinein mit Sicherheit beantworten. Im Fall der USA könnte das am 15. März dieses Jahres geschehen sein. An jenem Tag ließ Donald Trump rund 260 angeblich kriminelle und illegale Einwanderer, die meisten davon aus Venezuela, aufgeteilt auf drei Flugzeuge nach El Salvador abschieben. Oberflächlich betrachtet löste der US-Präsident damit bloß eines seiner zentralen Wahlkampfversprechen ein. Tatsächlich aber handelte es sich bei der Amtshandlung um eine Deportation, wie sie in einem demokratischen Rechtsstaat wie den USA bisher undenkbar schien.
Die Regierung ging dabei überfallsartig vor. Am 14. März, einen Tag vor der Abschiebung, aktivierte Präsident Trump in einem Präsidialerlass den sogenannten Alien Enemies Act, ein Gesetz aus dem Jahr 1789, das es ermöglicht, Angehörige „feindlicher Nationen“ in Kriegszeiten oder während einer Invasion ohne Verfahren zu inhaftieren und außer Landes zu bringen. Trump behauptete, die im Land aufhältigen Mitglieder der kriminellen Organisation „Tren de Aragua“ aus Venezuela stellten eine Invasion dar. Die Öffentlichkeit wurde über den Erlass nicht informiert.
Doch zwei Bürgerrechtsorganisationen bekamen von dem Vorgang Wind und brachten am 15. März, einem Samstag, in aller Früh eine Sammelklage gegen die Abschiebungen ein. Noch am selben Nachmittag wurde das Eilverfahren beendet: Bundesrichter James Boasberg stoppte die Abschiebungen per einstweiliger Verfügung. Zu spät, zwei der drei Flugzeuge hatten bereits abgehoben, das dritte startete unmittelbar nach dem Urteilsspruch.
Für die abgeschobenen Venezolaner und Salvadorianer war der Moment schicksalhaft. Die Trump-Administration hatte mit der Regierung von El Salvador die Vereinbarung getroffen, die Männer gegen ein Honorar der USA im gefürchteten Hochsicherheitsgefängnis Cecot einzusperren – und zwar auf unbestimmte Zeit, potenziell lebenslang.
Damit hat die Regierung Trump Menschen ein Recht vorenthalten, das „Habeas Corpus“ genannt wird und jede und jeden – auch illegale, mutmaßlich kriminelle Migranten – vor Willkür schützt. Es besagt, dass Festgenommene Anspruch auf richterliche Anhörung haben, ehe sie in Haft genommen oder außer Landes gebracht werden dürfen. Diese Bestimmung hat ihren Ursprung im 17. Jahrhundert, und selbst der US-Präsident kann sie nur in extrem eingeschränkten Fällen vorübergehend aufheben, etwa im Fall einer Invasion. Eine solche allerdings liegt nach Ansicht des National Intelligence Council, der Behörde, die der US-Regierung geheimdienstliche Informationen übermittelt, nicht vor, da die Gang „Tren de Aragua“ nicht im Auftrag der venezolanischen Regierung handle. Dem widersprach lediglich die Bundespolizeibehörde FBI, zu deren Direktorin Trump Tulsi Gabbard ernannt hat, eine ehemalige Demokratin, die ihrem Präsidenten gegenüber extrem loyal ist.
Im Hochsicherheitsgefängnis
Heimatschutzministerin Kristi Noem Kristi Noem im Megagefängnis Cecot: „Kommen Sie nicht illegal in unser Land."
Ob die Abgeschobenen tatsächlich kriminell sind, wurde nie von einem Gericht geprüft, es gab kein Verfahren und somit auch kein Urteil. Kann ein Staat, der sich so über grundlegendste Rechte hinwegsetzt, demokratisch sein?
Ja, antwortete darauf Heimatschutzministerin Kristi Noem vergangene Woche bei einer Anhörung vor dem US-Senat. Noem definierte das „Habeas-Corpus“-Recht kurzerhand so: Es sei „das verfassungsmäßige Recht des Präsidenten, Leute aus dem Land zu entfernen und ihr Recht aufzuheben“ – also das Gegenteil dessen, was das Gesetz seit rund 300 Jahren vorsieht. Seit Bestehen der USA wurde der „Alien Enemies Act“ erst vier Mal angewandt, zuletzt während des Zweiten Weltkrieges gegen Einwanderer deutscher, italienischer und japanischer Herkunft.
In einem der drei Flugzeuge, die Unerwünschte nach El Salvador brachten, saß auch ein Mann namens Kilmar Ábrego García, ein Einwanderer aus El Salvador. Er lebte seit Jahren in den USA, hatte eine Familie mit einer US-Bürgerin gegründet und 2019 wegen drohender Verfolgung durch Gangs aus seinem Heimatland El Salvador Schutz vor Abschiebung erhalten. Verhaftet wurde García auf dem Parkplatz vor einem Supermarkt. Seine Familie wusste nicht, was mit ihm geschehen war, bis sie ihn auf einem Foto in den Medien erkannte. Zu sehen war darauf García, kahlrasiert und mit Handschellen auf dem Boden kauernd, zusammen mit Dutzenden anderen Häftlingen im Hochsicherheitsgefängnis Cecot.
Die Verhaftung Garcías sei ein Irrtum gewesen, räumte die Regierung zunächst ein, korrigieren wollte sie diesen Fehler aber nicht. Selbst als der Supreme Court die Abschiebung als „illegal“ bezeichnete und anordnete, die Regierung müsse Garcías Freilassung „ermöglichen“, machte Trumps Team keinerlei Anstalten, den Mann zurückzuholen. Das Justizministerium behauptete sogar, dazu gar nicht in der Lage zu sein. Ein Staatsanwalt, der dieses Vorgehen kritisierte, wurde von Justizministerin Pam Boni kurzerhand beurlaubt.
Trump behauptete später, García sei ein Mitglied der kriminellen Gang „M-13“, doch auch in diesem Fall wurde nie ein Gericht mit dem Vorwurf befasst. Es blieb bei der Anschuldigung von Trump, der sich damit zum Richter aufschwang.
Was die Regierung ärgerte, war die einstweilige Verfügung von Richter Boasberg, denn er und seine Amtskollegen hatten die Macht, Abschiebungen auf Basis herrschender Gesetze zu stoppen, und ihre Urteile hatten landesweite Gültigkeit. Zunächst überlegte die Administration, Amtsenthebungsverfahren gegen Richter einzuleiten, die unliebsame Urteile fällten, doch dafür fehlen die nötigen Mehrheiten. Also beschlossen die republikanischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus im April den sogenannten No Rogue Rulings Act – übersetzt etwa: Gesetz gegen außer Kontrolle geratene Urteile. Damit soll Bundesrichtern die Möglichkeit entzogen werden, dass ihre Verfügungen außerhalb ihres Bundesstaates gelten. Es ist jedoch fraglich, ob dieses Gesetz im Senat die nötige Mehrheit bekommt.
Der Präsident reißt Befugnisse an sich, der Justiz wird die Möglichkeit zur Kontrolle entzogen.
Die Strategie der Trump-Administration ist klar: Weder die Verfassung noch ein Grundrecht und schon gar keine Richterin und kein Richter, nicht einmal der Supreme Court dürfen die Pläne des Weißen Hauses durchkreuzen. So wird in wichtigen Punkten die Gewaltenteilung beschädigt. Der Präsident reißt Befugnisse an sich, der Justiz wird die Möglichkeit zur Kontrolle entzogen.
Dass Trump die unbeliebten illegalen Immigranten ins Visier nimmt, ist wohlkalkuliert: Die Öffentlichkeit hat kaum ein Interesse, die Rechte von tätowierten, mutmaßlichen Gang-Mitgliedern zu verteidigen.
Doch die Geschichte endet nicht an dieser Stelle.
Eine Studentin wird grundlos verhaftet
Rümeysa Öztürk ist keine illegale Migrantin, sondern eine 30 Jahre alte Doktoratsstudentin im Fach Entwicklungspsychologie aus der Türkei. Dank eines prestigeträchtigen Fulbright-Stipendiums plant sie, im kommenden Jahr an der Tufts-Universität nahe Boston im US-Bundesstaat Massachusetts ihre Dissertation fertigzustellen.
Doch möglicherweise wird daraus nichts. Am frühen Abend des 25. März trat Öztürk vor ihrer Wohnung auf die Straße, als sie plötzlich von einem Mann in schwarzer Zivilkleidung und Hoodie angesprochen wurde. Die Szene wurde auf Video festgehalten. Der Mann packte Öztürk an den Händen, und kurz darauf wurde die junge Frau von sechs Personen umringt, die sich als Beamte der Immigrations- und Zollbehörde zu erkennen gaben. Öztürk, sichtlich verängstigt, ließ sich schließlich mit Handschellen hinter dem Rücken abführen.
Sechs Wochen lang verbrachte Öztürk in Haft in einem Anhaltezentrum im Bundesstaat Louisiana, wohin man sie per Flugzeug gebracht hatte. Ihre Familie wusste zunächst nicht, wo sie war. Der Fall bekam öffentliche Aufmerksamkeit. Das Heimatschutzministerium warf Öztürk vor, sie habe „Aktivitäten zur Unterstützung der Hamas gesetzt, einer ausländischen Terrororganisation, die Tötungen von Amerikanern bejubelt“. Sogar Außenminister Marco Rubio kommentierte Öztürks Verhaftung und sagte, sie habe ihr Visum nicht dazu bekommen, um „als Aktivistin unsere Universitätscampusse zu zerstören“.
Was hatte Öztürk getan? Bekannt war lediglich, dass sie gemeinsam mit anderen für die Campus-Zeitung ihrer Universität einen Text verfasst hatte, in dem sie die Universitätsführung kritisierte. Diese hatte demnach Anträge des Studierenden-Senats ignoriert, den „Genozid an den Palästinensern anzuerkennen“ und wirtschaftliche Beziehungen zu israelischen Unternehmen abzubrechen.
Nach sechs Wochen in Haft kam es schließlich zu einer Gerichtsverhandlung. Es brauchte kaum Zeit, um festzustellen, dass die Mitarbeit an dem Text durch das in der Verfassung garantierte Recht auf Redefreiheit gedeckt war. Die Anwälte der Regierung wollten sich dazu erst gar nicht äußern. Sie riefen zudem weder Zeugen auf, noch brachten sie Beweismaterial vor. Öztürk wurde nicht vorgeworfen, zu Gewalt aufgerufen zu haben oder gar selbst gewalttätig gewesen zu sein. Der Richter entschied, Öztürk müsse sofort und ohne Fußfessel freigelassen werden.
Allerdings hatten die Behörden Öztürk auch ihr Visum entzogen. Die Begründung dafür: Ihre Handlungen „könnten die US-Außenpolitik untergraben, indem sie eine für jüdische Studenten feindselige Umgebung schaffe und Unterstützung für eine Terrororganisation erkennen lasse“.
Rümeysa Öztürk ist nur eine von mehreren Hundert Studentinnen und Studenten, deren Visa annulliert wurden, ohne dass man ihnen konkrete Delikte vorwarf. Auf diese Weise wird die Redefreiheit, verankert im ersten Zusatzartikel der US-Verfassung, verletzt. Festnahme, mehrwöchige Haft und die Drohung des Visaentzugs scheinen darauf angelegt, unliebsame Stimmen zum Schweigen – und außer Landes – zu bringen.
Erst trifft es die illegalen Migranten, dann ausländische Studenten mit gültigem Visum; erst das Recht auf ein faires Verfahren, dann das Recht auf freie Meinungsäußerung. Bei dieser Strategie ist oft gar nicht entscheidend, ob die Regierung die Gerichtsverfahren gewinnt. Sie produziert Bilder der totalen Unterwerfung, die man aus totalitären Staaten kennt: Heimatschutzministerin Noem posiert vor den Deportierten in El Salvador, die mit nacktem Oberkörper zu Dutzenden hinter Gittern sind; Rechtlose, die zur Abschreckung präsentiert werden. Die Regierung verbreitet Angst vor willkürlichen Verhaftungen, vor Strafen ohne Verfahren, vor grundrechtswidriger Repression.
Haben es Trump und seine Leute nur auf die abgesehen, die sich nicht wehren können? Migranten und Auslandsstudenten? Ganz und gar nicht.
Die Entmündigung der Universitäten
Mit der Harvard-Universität hat sich Donald Trump eine ziemlich einflussreiche Institution als Feind auserkoren. Die private Elite-Uni in Boston ist die wohl prestigeträchtigste Bildungseinrichtung der Welt und zudem ein florierendes Unternehmen. Im Fiskaljahr 2023/24 erwirtschaftete Harvard bei Einnahmen von umgerechnet 5,7 Milliarden Euro einen operativen Gewinn von 40 Millionen Euro. Trump wirft Harvard ebenso wie anderen US-Universitäten vor, Antisemitismus geduldet und sogar gefördert zu haben, und hat deshalb scharfe Maßnahmen gegen sie verhängt – so betrachtet ein nachvollziehbarer Standpunkt. Tatsächlich offenbart die Trump-Regierung durch ihre Vorgangsweise ganz andere Motive.
Dass Harvard ein massives Problem mit Antisemitismus hat, behauptet nicht nur Donald Trump, doch die Regierung ignoriert, dass genau aus diesem Grund im vergangenen Jahr Claudine Gay, die Präsidentin der Harvard-Universität, von ihrem Amt zurücktreten musste. Unter ihrem Nachfolger Alan Garber legte die Universität einen Bericht vor, in dem auf mehr als 200 Seiten festgehalten wird, dass sich auf dem Campus und auch in Lehrveranstaltungen eine zunehmend aufheizte antijüdische und antiisraelische Stimmung verbreitete. Garber bekannte in einem Interview, dass in Harvard Meinungen, mit denen Linke nicht übereinstimmen, oft unterdrückt wurden, während Antisemitismus unbehelligt blieb.
Garber führte daraufhin eine Reihe von Maßnahmen ein, unter anderem ein Forschungsprojekt zu Antisemitismus, eine Überprüfung der Disziplinarregeln und verstärkte Ressourcen für Studenten, die Antisemitismus ausgesetzt waren. Zudem kündigte der Universitätspräsident an, mit der staatlichen Einsatzgruppe gegen Antisemitismus zusammenzuarbeiten.
Doch all das genügt Trump nicht. Seine Administration verlangt das Recht, Entscheidungen der Universität zu überprüfen: wer angestellt wird, welche Studentinnen und Studenten aufgenommen werden und auch welche akademischen Inhalte und Programme Harvard anbietet. All dem will die Universität nicht nachkommen, da dies einen ungerechtfertigten Eingriff in ihre Freiheit und Unabhängigkeit darstellt.
Also strich Trump Harvard alle staatlichen finanziellen Zuwendungen und auch das Recht, am Visa-Programm teilzunehmen. Die Universität kann somit keine ausländischen Studenten mehr aufnehmen. Mit dem Kampf gegen Antisemitismus haben Trumps Forderungen wenig bis gar nichts zu tun. Es ist kein Geheimnis, dass der US-Präsident Harvard und andere Universitäten für linke Zellen hält. Trump benutzt den berechtigten Vorwurf des Antisemitismus, um eigene ideologische Ziele zu verfolgen. So verbannt er etwa das ihm verhasste Konzept „Diversität, Gleichberechtigung, Inklusion“ in allen Bereichen – auch an den Unis.
Ist der Kampf gegen Antisemitismus Trump ein so dringendes Anliegen? Jedenfalls nicht immer. Er hätte sonst wohl kaum Mitglieder der extremistischen, antisemitischen Gruppe „Proud Boys“ begnadigt, die am Sturm auf das Kapitol beteiligt gewesen waren.
Ein totaler Boykott seitens der Regierung kann auch erfolgreiche Universitäten ruinieren. Die meisten von ihnen haben bereits klein beigegeben, nur Harvard versucht, seine Freiheit zu bewahren. Die Universität klagte gegen die Sanktionen der Regierung. Doch was im Kleinen bei ausländischen Studenten funktioniert, kann auch große Player in die Knie zwingen: die Angst, alles zu verlieren. Prozesse dauern lange, die Regierung verfügt über viele Hebel, um ihren Gegnern zu schaden, und falls Harvard je Recht bekommen sollte, könnte sie bis dahin ihre Stellung als begehrteste, potenteste Universität der Welt längst verloren haben.
Kann das im Sinne einer US-Administration sein? Nur dann, wenn die Durchsetzung der eigenen Ideologie Priorität gegenüber allen anderen Motiven genießt. Eine demokratische Regierung schützt den Pluralismus, eine autokratische eliminiert den Widerspruch. Jetzt plant die Trump-Administration, vor der Vergabe von Studentenvisa auch die Social-Media-Accounts der Antragsteller zu überprüfen – nennt aber keine Kriterien, was ein Ausschlussgrund sein könnte.
Denselben Druck, den die Trump-Administration auf Universitäten ausübt, wandte sie auch auf Anwaltskanzleien an, die in der Vergangenheit Personen oder Institutionen vertreten hatten, die Trump oder ihm Nahestehende verklagten. Der US-Präsident drohte ihnen damit, sie als Sicherheitsrisiko einzustufen, sodass ihre Anwältinnen und Anwälte keinen Zugang mehr zu Gerichten haben würden. Das bedeutete de facto ein Berufsverbot. Nur wenige Firmen wehren sich gegen Trumps Angriffe, die meisten haben bereits eingelenkt – und versprochen, in erheblichem Ausmaß gratis für Zwecke zu arbeiten, die dem US-Präsidenten genehm sind.
Mittels Drohungen ideologische Linientreue zu erpressen, ist ein weiteres Kennzeichen einer autokratisch agierenden Administration.
Das Ende der Gewaltenteilung
Die Verfassung der USA gilt nicht ohne Grund seit ihrem Inkrafttreten im Jahr 1789 als grandios. Die fein austarierten Kompetenzen der wesentlichen Institutionen – das Präsidentenamt, die beiden Kammern des Kongresses, die Bundesstaaten, der Oberste Gerichtshof – garantieren, dass keine einzelne Gewalt im Staat alle Macht an sich reißt. Jetzt, im 236. Jahr ihrer Gültigkeit, droht dieses Gefüge zu bersten. Das liegt auch daran, dass Trump seine Partei komplett auf Linie gebracht hat. Im Kongress stimmt die republikanische Mehrheit fast immer so ab, wie der Präsident sich das wünscht. Und im Supreme Court sitzen seit Trumps erster Amtszeit mehrheitlich konservative Richterinnen und Richter.

© Andrew Roth / Zuma / picturedesk.com
Verfassungswidriger Traum von einer dritten Amtszeit
Trump spielt immer wieder mit der Idee, ein drittes Mal als Präsident anzutreten. Ein 1951 in Kraft getretener Verfassungszusatz verbietet das.
Verfassungswidriger Traum von einer dritten Amtszeit
Trump spielt immer wieder mit der Idee, ein drittes Mal als Präsident anzutreten. Ein 1951 in Kraft getretener Verfassungszusatz verbietet das.
Vor allem aber missachtet Donald Trump die Grenzen seines Amtes. Dutzende Verfahren gegen viele seiner mutmaßlich illegalen Maßnahmen laufen. Deshalb agitieren er und seine Mitstreiter gegen Bundesrichter und manchmal sogar gegen den Supreme Court. Als ein Richter vergangene Woche Trumps Anordnung, Harvard dürfe keine ausländischen Studenten mehr aufnehmen, blockierte, tobte Stephen Miller, stellvertretender Stabschef des Weißen Hauses: „Das ist die Tyrannei der Justiz!“ Präsident Trump werde von „kommunistischen, marxistischen Richtern“ daran gehindert, das zu tun, wofür ihn das amerikanische Volk gewählt habe. Das sei ein „Putsch“.
Der Supreme Court wird von radikalen linken Verlierern manipuliert!
Donald Trump
Millers Argument läuft darauf hinaus, dass kein Gericht Trumps Executive Orders auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfen und sie gegebenenfalls für unrechtmäßig erklären dürfe. Einzig der Wahlsieg vom 5. November 2023 zähle. Das Gegengewicht der Justiz als Teil der sogenannten checks and balances geißelt Miller als „undemokratisch“. Das gilt auch für den Supreme Court. Dessen Entscheidung, vorübergehend Abschiebungen nach dem „Alien Enemies Act“ zu blockieren, lässt Trump in Großbuchstabenraserei verfallen: „DER SUPREME COURT WIRD VON RADIKALEN LINKEN VERLIERERN MANIPULIERT, DIE KEINE UNTERSTÜTZUNG HABEN, DIE ÖFFENTLICHKEIT HASST SIE, UND IHRE EINZIGE HOFFNUNG IST DIE EINSCHÜCHTERUNG DES GERICHTS. WIR MÜSSEN UNSER LAND DAVOR BEWAHREN!“
Die US-Variante der Autokratie nimmt Formen an.

Siobhán Geets
ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.

Robert Treichler
Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur