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Ausland

Erbeben in der Türkei: Meine Straße ist nicht mehr

Die Stadt Antakya in der türkischen Provinz Hatay gilt als am stärksten vom Erdbeben betroffen. Unser Autor kehrt dorthin zurück.

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Bradley Secker

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Die Straße auf dem Foto war meine Straße. Jetzt ähnelt sie einer Apokalypse. Nur vereinzelt trifft man auf Menschen, die um kleine Feuer herumstehen: Rettungskräfte oder Überlebende, die nach Verwandten suchen. Ich habe mit einigen gesprochen, und sie sagten mir, dass hier ihre Wohnung lag. Mir geht es gleich. 2012  zog ich von Istanbul nach Antakya, um über den Krieg in Syrien zu berichten. Antakya liegt nur drei Autostunden von Aleppo entfernt. Die Stadt war der Ort, an dem ich nach Reportagen zur Ruhe kam. Jetzt ist alles zerstört. Ich  habe im Auto übernachtet, weil kein einziges Hotel mehr offen hatte.

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Bradley Secker, 35,

ist ein britischer Fotojournalist mit Sitz in Istanbul. Er berichtet seit mehr als zehn Jahren über die Türkei und Syrien.  Derzeit befindet er sich im Erdbebengebiet. 

Gleich gegenüber von meiner Wohnung befand sich ein Drucker-Shop für Plakate und ein Zahnarzt für Prothesen. Die Straße weiter runter war ein Hamam. In heißen Sommernächten saß ich hier mit Freunden zusammen, um Tee zu trinken und Künefe zu essen, eine türkische Süßspeise. Als ich einzog, kamen die Nachbarn mit Kaffee vorbei. Ich konnte noch kein Türkisch. Aber wir verstanden uns gut. Sie warfen mir – dem Ausländer aus England – Kussmünder zu. Damals gab es noch keine Smartphones. Die Kinder auf der Straße haben auf Game Boys gezockt. 

Aber nicht alles war schön in dieser Straße. Mein Mitbewohner war Syrer – und schwul. Er war der Chefredakteur von Syriens erstem LGBT-Magazin. Irgendwann bekam er Todesdrohungen. Es war die Zeit, als die Terrormiliz „Islamischer Staat“ ihr Unwesen trieb und Menschen verschwanden. Unsere Adresse machte die Runde. Und ich packte innerhalb von einer Woche meine Sachen und zog weg.

Als ich wiederkehrte, hatte sich Antakya gewandelt, ja fast schon eine Hipsterisierung durchgemacht. Neue Cafés und Street-Food-Shops eröffneten. Jetzt ist Antakya eine Geisterstadt. In der Nacht ist alles dunkel, weil es keinen Strom gibt. Die Straßen sind menschenleer. Überall Rauch und Feuer.  Das Ausmaß der Zerstörung ist gewaltig. 

Transkript: Franziska Tschinderle