Joe Rogan

Joe Rogan: Der Mann, dem hundert Millionen Menschen vertrauen

Joe Rogan ist ein enorm erfolgreicher amerikanischer Podcast-Moderator. Ist seine Show so gesundheitsgefährdend, dass man sie abdrehen sollte?

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Unrasiert und im grauen Hoodie steht Joe Rogan im Garten und macht mit seinem Mobiltelefon ein Selfie-Video. "Wegen der Kontroverse, die da gerade im Laufen ist", sagt er eingangs, um sich zuerst einmal bei den Zusehern für all die "Liebe" zu bedanken, die sie ihm zukommen haben lassen. Dann erläutert Rogan zehn Minuten lang, was er aus seiner Sicht eigentlich so macht, nämlich Leute in seine Podcast-Sendung "The Joe Rogan Experience" einzuladen, weil er einfach nur ihre Meinungen hören wolle. Mal würde er anerkannte Mediziner einladen, etwa den Epidemiologen Michael Osterholm, der in US-Präsident Joe Bidens Covid-19-Beratungsgremium sitzt, und manchmal auch Leute, die Meinungen vertreten, "die vom Mainstream-Narrativ abweichen". Hier beginnt die Kontroverse.

Der gutmütig und harmlos wirkende Joe Rogan ist ins Zentrum einer Debatte darüber geraten, wie gefährliche Desinformation bekämpft werden soll. Sein Podcast namens "The Joe Rogan Experience" hat auf der Audio-Plattform Spotify mehr Downloads als jeder andere, und weil manche Gäste in der Show falsche Behauptungen über die Coronavirus-Pandemie und vor allem auch über die Schutzimpfung äußerten, werfen 270 Ärztinnen und Ärzte Rogan in einem offenen Brief vor, er sei eine "Bedrohung für die öffentliche Gesundheit". Die Rockstars Neil Young und Joni Mitchell schlossen sich dem Protest an und ließen ihre Werke auf "Spotify" löschen, weil sich die Plattformbetreiber weigern, Rogan aus dem Programm zu nehmen.

Die Verbreitung von "The Joe Rogan Experience" ist enorm. 190 Millionen Downloads verzeichnet der Podcast pro Monat, dazu kommen bis zu zehn Millionen Aufrufe der Videoversionen auf YouTube, und auf Instagram hat Rogan noch einmal 14,3 Millionen Follower.

Was in dem Podcast gesagt wird, hat demnach Relevanz und Einfluss. Wer ist dieser Joe Rogan, und welche Absichten verfolgt er? Wie schlimm ist das Phänomen "Joe Rogan Experience" wirklich?

Der unerwartete Aufstieg eines Kampfsportlers


Joseph James Rogan wird am 11. August 1967 im US-Bundesstaat New Jersey geboren, und man kann nicht behaupten, dass ihm besonders viel in die Wiege gelegt worden sei. Der Vater, ein Polizist, soll zu Hause gelegentlich gewalttätig gewesen sein, und die Eltern trennten sich, als Joe fünf Jahre alt war. Von da an lebt er mit seiner Mutter und später auch mit seinem Stiefvater, den er einmal als "Hippie" charakterisierte, erst in Kalifornien, später ina Massachusetts. In einem Interview mit dem US-Magazin "Rolling Stone" erzählte Rogan, dass er als Kind unsicher gewesen sei und Angst gehabt hätte, plötzlich keine Freunde mehr zu haben. In der High School entdeckt er den Kampfsport und erweist sich als Talent. Er wird US-Meister in Taekwondo.

Seine Kumpel in der Kampfsportszene finden Rogans Sprüche und Imitationen anderer Leute witzig und ermutigen ihn, sich als Comedian zu versuchen. Rogan tingelt durch Comedy-Clubs und hält sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er zieht nach Los Angeles und ergattert eine Rolle in einer Sitcom.

Noch ist Joe Rogan meilenweit vom Celebrity-Status entfernt - und mindestens ebensoweit davon, Einfluss darauf zu nehmen, was Millionen von Leuten für wahr oder falsch halten. Seine Karriere wird noch ein paar erstaunliche Wendungen nehmen, ehe er einige der wichtigsten Leute des Landes interviewen wird.

1997 nimmt Rogan einen Job an, der ihm Spaß macht: Er wird Interviewer bei Kämpfen der Kampfsportorganisation "Ultimate Fighting Championship". Dabei treten zwei Gegner in einem Käfig gegeneinander an, erlaubt ist dabei - damals noch - so ziemlich alles. Als die Kämpfe verboten werden, erstellen die Veranstalter ein Reglement, das die Verletzungsgefahr etwas verringert. Als legaler Sport werden die UFC-Matches rasch zu Kassenschlagern, die auf Pay-TV-Sendern von Millionen von Zusehern verfolgt werden - und Rogan ist einer der Stars der Szene. Das - überwiegend männliche - Publikum liebt seine Kommentare, Textprobe: "Er hat ein Cut so groß wie die Vagina einer Ziege." Joe Rogan hat es in die Liga der TV-Celebrities geschafft. Bald moderiert er die Reality-Game-Show "Fear Factor", tritt weiter als Comedian auf, und 2009 kreiert er schließlich seinen eigenen Podcast "The Joe Rogan Experience".

Rogan startet mit überschaubarem Aufwand im Home Studio. Der erste Sponsor, den er an Land zieht, ist ein Hersteller von Sexspielzeug. Gäste sind meist Rogans Freunde aus der Comedy-Szene mit denen er dies und das bespricht. Als die Fangemeinde wächst, kommen auch Prominente der obersten Kategorie ins Studio: Tesla-CEO Elon Musk, Twitter-Gründer Jack Dorsey, Popstar Miley Cyrus, Rapper Kanye West...

Im Podcast-Genre kann mittlerweile kaum jemand Rogan das Wasser reichen. In seine "Experience" eingeladen zu werden, bedeutet ungeheure Publicity, und als die Plattform Spotify mit ihm im vergangenen Jahr einen Exklusivvertrag schließt, beträgt das Honorar kolportierte 100 Millionen Dollar. Joe Rogan ist längst einer der einflussreichsten Meinungsbildner in den USA geworden.

Hat Joe Rogan eine politische Agenda?

Sein Werdegang legt nahe, dass Joe Rogan kein Intellektueller ist und auch keiner sein will. Im Gegenteil, gerade jetzt, wo er heftig kritisiert wird, zieht er sich auf seine Rolle als bloßer Fragensteller zurück. Er würde bloß Leute einladen, die interessante Meinungen vertreten. Die Liste der mehr als 700 Gäste im Lauf der Jahre lässt kaum ideologische Rückschlüsse zu. Rogan bat den rechtslastigen Radiorabauken Alex Jones ebenso zum Gespräch wie den linken US-Senator Bernie Sanders.

Nachdem Rogan im Anschluss an das Gespräch mit Sanders für diesen eine Empfehlung im Vorwahlkampf 2020 abgegeben hatte, beeilte sich Sanders' Kampagnenteam, diesen Scoop publik zu machen.

Rogan als Rechten einzustufen, wäre also ein Irrtum. Entscheidend ist vielmehr, wie der Podcast-Guru seinen Gästen gegenüber auftritt. Er gibt dabei - sehr authentisch - den ein wenig unbedarften Normalbürger, der sich eine Meinung bilden möchte. "Ich bin kein Arzt und kein Wissenschafter", sagt Rogan, "ich bin jemand, der sich hinsetzt und mit ihnen redet."

Bloß: Wenn das Gegenüber ein Verschwörungstheoretiker wie der US-amerikanische Virologe und Impfskeptiker Robert Malone ist, hat Rogans Gesprächsführung einen fragwürdigen Effekt: Was Malone behauptet, bleibt weitgehend unwidersprochen. Der ergeht sich in wüsten Visionen, wonach die Bevölkerung durch eine "Massenbildungspsychose" (der Terminus klingt wissenschaftlich, ist es aber nicht) gleichsam "hypnotisiert" werde, um die Wirksamkeit der Impfstoffe für wahr zu halten. Eine Abmachung der Regierung mit den großen Pharmakonzernen und den Mainstream-Medien sorge dafür, dass Informationen über Impfschäden nicht öffentlich gemacht werden könnten. Rogan sitzt Malone gegenüber und unterbricht ihn oft minutenlang nicht. Rogan sieht es nicht als seine Aufgabe an, sich vor einem Interview alle wesentlichen Informationen zu beschaffen, um die Aussagen eines Gasts hinterfragen - oder widerlegen - zu können.

Das ist der große Unterschied zu Interviews, wie sie in "Mainstream-Medien" geführt werden. Und es mag paradox klingen, aber das macht einen großen Teil des Erfolgs von Leuten wie Rogan aus. Seine Zuhörerschaft hasst die Besserwisserei einer "New York Times", die Malones abenteuerliche Theorien Punkt für Punkt widerlegt. Rogan selbst wirkt manchmal wie ein naives Kind, wenn er etwa in einem Podcast erzählt, weshalb er lange Zeit die Meinung vertreten habe, dass die Mondlandung nie stattgefunden habe, inzwischen jedoch zur Überzeugung gelangt sei, er habe sich geirrt. Über die ehemalige US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton sagt er: "Ich weiß nicht, ob sie Leute ermordet hat. Aber ich habe Angst, sie könnte welche ermordet haben." Wie kann ein Mann mit einem unterdurchschnittlich ausgeprägten Urteilsvermögen ausgerechnet als Interviewer so unglaublich beliebt sein?

Der Reiz von "The Joe Rogan Experience" liegt in der subversiven Haltung, alles für wahr halten zu können. So abwegig die Theorien von Rogans Gästen auch sein mögen, vor seinem Mikro herrscht absolute Gleichheit zwischen Fakten und Hirngespinsten, Realität und Unsinn. Rogan behauptet zwar, er wolle "wissen, was die Fakten sind", aber ist in seinem Zugang so weit davon entfernt, dass seine Hörer darauf vertrauen dürfen, dass auch Verschwörungstheorien unbeschadet bleiben.

In einer seiner Sendungen hat Rogan einen Comedy-Kollegen namens Bill Burr zu Gast, und Rogan möchte mit ihm über die Frage diskutieren, ob man wegen der Corona-Pandemie auf der Straße eine Maske tragen solle. Rogan ist dagegen. Burr wird ungehalten: "Fang jetzt nicht damit an!" Als Rogan nicht lockerlässt, weist ihn Burr zurecht: "Ich habe keinen Doktor in Medizin und du auch nicht, und wir sitzen hier Zigarre rauchend und wollen so tun, als wüssten wir besser Bescheid als die Gesundheitsbehörde?"

Burr trifft den entscheidenden Punkt. Es ist sinnlos, sich von dem Podcast "The Joe Rogan Experience" ernsthafte Antworten auf faktische Fragen zu erwarten. Am Ende zieht sich der Gastgeber ohnehin auf die Position zurück, er wisse nicht, was wahr sei. Und doch verfolgen Millionen Menschen Rogans Podcasts, die manchmal bis zu drei Stunden lang sind.

Matthew Rosenberg, ein Reporter der "New York Times", hat zum Phänomen Rogan auf Twitter eine Anregung für Journalisten geschrieben: "Wir in den Medien sollten mehr Zeit darauf verwenden, darüber nachzudenken, warum so viele Leute ihm vertrauen anstatt uns."

Soll man "The Joe Rogan Experience" aus dem Verkehr ziehen?

Die Sorge der 270 Ärztinnen, Ärzte und Gesundheitsexperten, die einen öffentlichen Aufruf unterzeichnet haben, um Spotify dazu zu bewegen, Podcast-Folgen wie die mit Robert Malone nicht mehr so einfach zuzulassen, ist nachvollziehbar. Während die zuständigen-und kompetenten-Institutionen sich bemühen, die Bevölkerung aufzuklären, sabotieren Leute wie Malone dank der Mithilfe eines Joe Rogan alle Informationskampagnen.

Doch wie man gegen die Verbreitung von Falschinformationen vorgehen soll, ist nicht so einfach zu beantworten. Die Rockstars Neil Young, David Crosby, Stephen Stills, Graham Nash und Joni Mitchell wollen Spotify so lange boykottieren, bis "The Joe Rogan Experience" von der Plattform verschwindet. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn ausgerechnet Musiker einer Ära, in der der Konsum illegaler Drogen zum Lifestyle erhoben wurde ("Sex and Drugs & Rock'n'Roll"), einen Bann gegen gesundheitsgefährdende Äußerungen verlangen.

Aber sie sind nicht die Einzigen, die meinen, man könne sich nur mit Verboten gegen Fake News zur Wehr setzen. Doch wer dieser Meinung ist, sollte sich die Folge von "The Joe Rogan Experience" mit Robert Malone noch einmal anhören. Darin unterhalten sich die beiden ausführlich darüber, dass Malone bereits auf den Plattformen LinkedIn und Twitter gesperrt ist. Für den Doktor, der sich als verfemten Outlaw der Wissenschafts-Community inszeniert, sind solche Maßnahmen eine Auszeichnung und ein Beweis dafür, wie sehr sich die von ihm herbeifantasierte Koalition aus Regierung, "Big Pharma" und "Big Media" vor seinen vermeintlichen Erkenntnissen fürchtet. Und für seine Gefolgschaft - und die treuen Rogan-Hörer - gilt dasselbe.

Ob die tatsächlich alles glauben, was ein Malone oder andere Podcast-Gäste von sich geben, ist alles andere als sicher. Sich wilde Theorien reinzuziehen, die als gefährlich gelten, ist vor allem auch eine Form des Entertainments. Zudem schafft Ausgrenzung (oder die Illusion davon) ein Gefühl der Gemeinsamkeit. Die überwiegende Mehrheit der Joe-Rogan-Fans sind Männer, die es auch gern hören, wenn ihr Kumpel Joe darüber schwadroniert, dass gegen heterosexuelle weiße Männer "bald Ausgangssperren verhängt" würden. "Ich scherze nicht", sagt Rogan.

Der US-Comedian Jon Stewart rief vergangene Woche Neil Young und alle anderen, die Spotify wegen Rogan boykottieren, dazu auf, wieder zurückzukommen. "Geht nicht weg. Gebt nicht auf. Zensuriert nicht. Beteiligt euch!"

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur