Adama Ndiaye, 46

Mode: Der afrikanische Traum der Adama Paris

Die weltweit erfolgreiche Designerin Adama Paris hat Dakar zum Zentrum der westafrikanischen Modeszene gemacht. In ihrer Heimat Senegal gilt sie vielen jungen Menschen als Vorbild.

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Von Gabriel Proedl
Die Königin wird erwartet: Eine Kräuterverkäuferin nimmt ihre Schüssel vom Kopf, die Nachbarin hält ihre Kinder am Schoß, ihr Mann hat gerade sein Gebet beendet und drückt den Gebetsteppich zwischen den Knien. Auch der Mann, den hier alle nur den "Verrückten" nennen, ist gekommen, hebt seinen Finger und ruft: "Adama!" Ein Chauffeur hat sie hierher gebracht, an die Rue Corniche in einem Armenviertel von Dakar, Senegal. Es ist die Heimatstadt der Designerin Adama Ndiaye, 46. Die internationale Modeszene kennt sie als Adama Paris, in Dakar nennt man sie beim Adelstitel: "Königin der Mode".

Zum ersten Mal seit Langem ist sie wieder aus der französischen Hauptstadt zu Besuch. In Paris ist die Diplomatentochter aufgewachsen, dort hat sie das Schneiderhandwerk gelernt, ihr eigenes Label gegründet und internationalen Ruhm erlangt. Und dabei immer den Kontakt nach Dakar gehalten. Zehn Tage will sie bleiben in der Küstenstadt, die auch dank ihr zum Zentrum der westafrikanischen Modeszene wurde.

Adama Paris steigt aus: "Mes sœurs, mes frères, meine Schwestern, meine Brüder, es ist so schön, wieder hier zu sein." An der Rue Corniche, ganz im Westen der Stadt, hat sie eine Boutique. Das Portal ist aus buntem Wellblech, in den Schaufenstern sind Kleider ihrer Kollektion ausgestellt. Hinter einer vierspurigen Straße liegt der muslimische Friedhof, dahinter das Meer. Wenige Hundert Meter sind es zum westlichsten Punkt des Kontinents. Senegal, eine ehemalige französische Kolonie und seit 1960 unabhängig, grenzt im Norden an Wüste, im Süden an Regenwälder und im Westen an den Atlantik. Rund 17 Millionen Menschen leben hier, heute eine der stabilsten Demokratien auf dem afrikanischen Kontinent.

Adama Paris betritt den Laden, ihre Mitarbeiterin Fatou hat zuvor lange Staub gefegt. Es riecht nach Abgasen und Jean Paul Gaultiers Parfum "So Scandal". Als sie vor 16 Jahren die Boutique eröffnete, führte durch das Viertel nicht einmal eine Straße, mittlerweile haben sich Fotografinnen und Designer in der Nähe angesiedelt. Das größte Geschenk an ihr Land ist aber die "Dakar Fashion Week", die sie vor knapp 20 Jahren zum ersten Mal veranstaltete. Es war die erste Fashion Week am gesamten afrikanischen Kontinent. Jetzt ist Dakar die Hauptstadt der Mode.


Adama Paris hat es geschafft. Sie ist international erfolgreich, kleidet Stars wie Beyoncé ein und reist durch die Welt. Ihr eigener Fernsehsender FA TV Channel wird in 46 afrikanischen Ländern übertragen und sendet ununterbrochen, 24 Stunden am Tag, "Fashion made in Africa". Ihre "Black Fashion Week" reist von Dakar aus um die Welt, findet in São Paulo, Montreal, Prag und Paris statt, dort direkt am Place Vendôme, zwischen Luxushotel Ritz und Chanel-Boutique. "Ich habe 20 Jahre meine Bühne gehabt", sagt Paris gegenüber profil, "jetzt will ich anderen zeigen, wie man sich die Bühne nimmt."

Dakar wirkt an manchen Tagen, als fände eine öffentliche Modeschau statt: Frauen und Männer stolzieren in kunstvoll bestickten Boubous durch die Straßen, rechteckige Stoffe, die durch ein Loch für den Kopf über den Körper gestreift werden. Dazu bunte, aufwendig gewebte Kopftücher. Aber auch recycelte Kleidung, extravagante Entwürfe, hohe Schuhe und transparente Oberteile.

Dank Designerinnen wie Adama Paris oder Oumou Sy, die 69-jährige Grande Dame der Mode im Senegal, wird die Szene auch international bekannt. Die beiden machen vor: Wer talentiert ist, hart arbeitet und gut gebildet ist, kann den Sprung nach Europa oder in die USA schaffen. Sie inspirieren junge Kreative, helfen bei Firmengründungen und geben neues Selbstbewusstsein - auch für lokale Designer im Senegal. So entscheiden sich senegalesische Künstlerinnen und Musiker immer häufiger dazu, keine Mode aus Europa zu tragen, sondern Einzelstücke im eigenen Land anfertigen zu lassen.

Einer der angesagten Designer dafür ist der 22-jährige Loumou Evans. Er hat zuletzt fast alle großen Musikvideodrehs im Senegal ausgestattet. In der Künstlerszene Dakars ist er ein Star. Im Vergleich zu Adama Paris hat seine Karriere gerade erst begonnen.

In der Straße von Loumou Evans' Studio hat es einen Rohrbruch gegeben, das Wasser steht knöchelhoch. Taxis weichen den tiefsten Löchern aus, Frauen nehmen ihre Schuhe in die Hand, heben ihre Boubous und waten durch das schlammige Wasser. Evans balanciert über eine Betonkante auf eine schwere Eisentür zu und schiebt den Riegel zurück.

Tische, Stühle und Kisten mit Gläsern stapeln sich in dem Raum, in dem seine Tante ein Restaurant eröffnen will. Bis dahin darf Loumou hier mietfrei sein Atelier einrichten, an der Nähmaschine arbeiten und seine Kollektionen entlang der Wände hängen.

"Fattah!", sagt er zu seinem jüngeren Bruder, "schalte den Ventilator ein. Es ist schon wieder so heiß." "Ich wollte etwas Strom sparen", sagt Fattah. Der Raum hat keine Fenster, nur eine große Tür, doch selbst die bleibt stets geschlossen. "Ich will ungestört arbeiten, niemand soll wissen, dass ich hier die Modeszene revolutioniere", sagt Evans und gefällt sich in seiner bewussten Übertreibung. An der Wand hat er eine komplette Ausgabe der französischen "Vogue" gekleistert. "Irgendwann will ich da auch rein", sagt er.

Alle paar Minuten schaut er auf sein iPhone. 26.800 Abonnenten hat er auf Instagram-Kunden aus der ganzen Welt und bekannte Künstlerinnen und Künstler aus Westafrika. Wer seinen Account sieht, möchte meinen, Loumou Evans sei Kreativdirektor eines kleinen französischen Labels mit eigener Produktion und verschiedenen Abteilungen von Werbung bis Vertrieb. Wenige seiner Follower wissen, dass alles, was er macht, hier in diesem kleinen Studio entsteht. Ohne Angestellte, auf einer einzigen alten Nähmaschine. Seine Gehilfen: die Brüder Shal und Fattah, 16 und 18 Jahre alt. Hier leben und übernachten sie auch, auf schmalen Feldbetten zwischen Schneidetisch und Kleiderstangen.

Loumou Evans lernte nicht in einem Atelier in der französischen Hauptstadt, wie sein Vorbild Adama Paris, er lernte auf der Straße. Bei Schneiderinnen, die in seinem Viertel an zahlreichen Hauseingängen ihre Nähmaschinen aufgestellt haben. Evans beobachtete sie schon als Kind. Aus Freude begann er als Neunjähriger, mit der alten Maschine seiner Großmutter zu nähen, später leistete er Hilfsarbeit bei seiner Tante, selbst Schneiderin: Schmale Bahnen aus Stoffresten vernähte er zu größeren Stücken, aus denen die Tante Hemden und Boubous fertigte. "Nähen kann in meiner Familie jeder", sagt er, "aber alle machen traditionelle Kleidung."In Dakar heißt das: Näherinnen und Näher stellen eine Nähmaschine in einen kleinen Stand auf der Straße oder nähen in Markthallen nebeneinander. Alle arbeiten eigenständig, es gibt kaum Zusammenschlüsse oder gemeinsame Ateliers. Sie fertigen Auftragsarbeiten an, alles Einzelstücke, nähen Boubous für Taufen und Hochzeiten.

Nachdem Loumou Evans die Schule ein Jahr vor dem Abschluss verlassen hatte, sollte er auch so werden: Schneider in einer großen Markthalle wie der des stadtbekannten Marché Sandaga. Die Tante riet ihm, in die Halle zu gehen, in der sich Stoffe und Garne bis zur Decke stapeln, Schnüre gedreht und Stoffe gewebt werden. Noch im selben Jahr bekam er die Nähmaschine seiner Großmutter geschenkt. Weil er schüchtern war, traute er sich aber nicht in die Halle. Er eröffnete seine erste kleine Stube; die Tür hielt er verschlossen.

Seine Tante machte ihn mit den Stoffhändlern und Webern bekannt, brachte ihm bei, wie man am Markt verhandelt und im Geschäft die Preise festlegt. "Kenne deine Straße", habe sie ihm geraten, "arbeite anfangs um Taschengeld, bis die Menschen wissen, was du kannst." Zu Beginn habe sie ihm sogar einige Kunden überlassen. Evans verdiente schnell Geld-am meisten bei Ausbesserungen. Die Menschen brachten ihm löchrige Kleidung, Evans flickte sie zusammen und verdeckte die Naht. Seine Tante war zufrieden. Sie überlegte, alle Kunden an ihn zu übergeben und ein Restaurant zu eröffnen. Evans aber lehnte ab - er hat sich entschieden, anders zu sein als ein traditioneller senegalesischer Schneider.

Loumou Evans hat seit drei Tagen nicht geschlafen. Er wischt sich den Schweiß aus dem kantigen Gesicht, auf seinem tätowierten Hals perlen die Tropfen weiter. "Ich tue alles, um erfolgreich zu werden", sagt er, "ich arbeite ohne Pause - wenn ich groß bin, dann will ich so berühmt sein wie Adama Paris." "Du wirst es schaffen", sagt sein Bruder Fattah, "und ich werde Fußballprofi. Wir werden den African Dream leben." Den Begriff sagt er auf Englisch: Wie der American Dream, soll auch der African Dream die Verwirklichung beinahe unrealistischer Ziele ermöglichen-wenn man nur hart genug dafür arbeitet.

Evans hat früh gespürt, dass er anders ist. Als Jugendlicher war er schüchtern und wollte sich ausschließlich über Kleidung ausdrücken. Einmal, das muss vor etwa drei Jahren gewesen sein, sagt er, habe er zum ersten Mal ein selbst genähtes Outfit getragen. Er zeigt Bilder auf seinem Smartphone: schwarze Turnschuhe mit roten Lackstrichen bemalt, über die Hose die Signalstreifen einer Warnweste geklebt. Ein zusammengeflicktes Sakko aus alten Stoffresten. "Die Leute dachten, ich sei ein Star", sagt er, "als ich ihnen sagte, ich sei aus Dakar, wollten sie mir nicht glauben." Das mag daher kommen, dass sich Evans von Stars inspirieren lässt: Auf Instagram folgt er Musikgrößen, im Sender FA Channel von Adama Paris sieht er dabei zu, wie Models über den Laufsteg gehen. Er will nicht berühmt werden, sagt er, aber sein Label, das soll international erfolgreich sein. "Mein Gesicht muss niemand kennen, meine Kleidung schon. Ich will ein richtiges Label in Europa oder Nordamerika, wie Gucci. Die machen mutige Entwürfe." Er will Angestellte und einen Vertrieb, eine Website und eine Werbekampagne. "Ich habe aber keine Ahnung, wie das geht", sagt Evans. "Du musst auf eine Schule, mein Freund", sagt sein Bruder Fattah.

Evans schaltet Musik ein. Seine drei Wellensittiche wippen im winzigen Käfig ihre Köpfe im Takt. Er setzt sich an die Nähmaschine und kramt wieder mal sein Handy hervor. Er hat eine Videonachricht erhalten. Anaïs, eine junge Frau, wünscht sich ein Hemd von ihm. Er spielt das Video ab: "Schönen Abend, lieber Lou. Ich schicke dir Fotos, damit du weißt, was für ein Hemd ich will." Die Kommunikation im Senegal läuft über Instagram und andere soziale Netzwerke. Das liegt wohl auch an der Demografie: 60 Prozent der Bevölkerung sind jünger als 25 Jahre. Auf Instagram werden Nachrichten geschrieben und sogar telefoniert. Die meisten Firmen verzichten komplett auf klassische Websites - ein Instagram-Kanal genügt. So funktioniert das auch bei Loumou Evans: Kunden entdecken über Empfehlungen von Freunden seinen Account und schicken Kleidungswünsche per Chat. Evans erfüllt den Auftrag, packt das Stück in eine Tüte und verschickt es mit Paketdiensten. Gezahlt wird per Paypal oder Überweisung. Im Grunde ist die Mundzu-Mund-Propaganda immer noch die gleiche wie bei seiner Tante - nur eben digital über das Internet.

Adama Paris interessiert sich für die Entwürfe ihrer jungen Kollegen. Als sie die von Loumou Evans auf Instagram sieht, sagt sie: "Er ist talentiert!" Junge Designer wie er versuchen oft, ein Praktikum bei ihr zu bekommen. Paris wählt nach harten Kriterien aus. Sie sagt nur zu, wem sie eine internationale Karriere zutraut. Wenn möglich, findet das Praktikum nicht nur im Senegal, sondern auch in Paris statt, wo in der Nähe des Place de la Bastille der Hauptstandort ihrer Boutiquen ist. Hin und wieder schauen dort auch senegalesische Designer vorbei. "Alle wollen weltweiten Erfolg, aber wissen nicht, wie der Markt außerhalb Senegals funktioniert. Wie sollten sie auch?", sagt sie. Auch hier sei Bildung alles. Eine Modeschule beispielsweise lehre viel mehr, als gute Mode zu machen. Sie lehre, groß zu denken. "Ein guter Schneider muss nicht von anderen das Schneidern lernen. Das lernt er von allein. Er muss lernen, aus seinem Talent was Größeres zu machen", sagt Paris.

Europa soll nicht die einzige Chance für den Durchbruch bleiben. Adama Paris sucht seit Jahren Investoren für ihr bisher größtes Projekt: Sie will eine Fabrik nahe Dakar bauen, mit 100 Mitarbeitern. "Wir wollen nur produzieren, was wir verkaufen. Die Arbeitsbedingungen sollen so gut sein wie in Frankreich." Später fügt sie hinzu: "Ich will hier im Senegal eine Szene aufbauen-wenn wir es nicht machen, wer macht es sonst? Wir sollen nicht auf die Hilfe aus Europa angewiesen sein - wir brauchen kein Mitleid." Adama Paris will ihrem Heimatland zu mehr Selbstbewusstsein verhelfen, Corona könnte dabei gelegen kommen: Reiche Senegalesen shoppen nicht mehr in Paris oder Dubai, sondern gehen zum lokalen Schneider. Paris sagt auch: "Wir müssen Erfolg neu definieren. Wer bestimmt, dass der Durchbruch nur dann gelungen ist, wenn man Boutiquen in Paris, London und New York hat? Das ist westliches Denken!"

Auch Loumou Evans glaubt an den African Dream. Er umklammert die Nähmaschine, als er diese Geschichte erzählt: Vor einem Jahr im Sommer, als das Islamische Opferfest anstand, wollte er seine Mutter überraschen. Am Markt kaufte er sich erstmals mit seinem eigenen Geld ein Schaf, das er opfern wollte. Seine Mutter sei stolz wie nie zuvor gewesen. Evans habe sich gefühlt, als könne er von nun an alles schaffen. Er entschied sich, zum ersten Mal seine Kollektion mit Models zu fotografieren. Auf Instagram schrieb er ein Casting aus, zu dem sich 110 Models bewarben. Evans entschied sich für Marina, eine großgewachsene Senegalesin, die nur ein paar Straßen weiter wohnt. Marina kommt aus einer achtköpfigen christlichen Familie, Evans ist streng muslimisch. Die beiden wurden gute Freunde.

Kurz nach dem Casting erkrankte die Mutter schwer. Sie kam ins Krankenhaus und starb wenige Tage später. Bis heute weiß Evans nicht, woran. Er blieb mit seinen beiden Brüdern zurück, für die er nun allein sorgt. Jetzt zucken seine Augenlider, der Blick geht zu Boden. Seine Halsschlagader pulsiert. Darüber die Tattoos, die er nach dem Tod der Mutter stechen ließ. Ein großes A für Awa, seine Mutter. Ein F für Fattah, ein S für Shal. So sollte ab jetzt auch sein Label heißen: AF-Shal. Ein gebrochenes Herz steht für seinen Vater, den er nie richtig kennengelernt hat. "Lass uns endlich Marina anrufen", sagt Fattah, als ertrage er es nicht, seinen Bruder länger so zu sehen. Evans beendet die Geschichte: "Ich habe überlegt, mit allem aufzuhören. Aber das ging nicht, ich musste für meine Geschwister sorgen. Zwei Tage nach ihrem Tod machte ich das Shooting mit den Models."

Evans greift zum Handy und ruft Marina an. 20 Minuten später steht sie im Atelier. Ihre Haltung ist aufrecht, die Arme lang und grazil. Sie modelt für Evans-und für Evans' größtes Idol: Adama Paris. Zwei Mal war Marina für sie bereits auf der Dakar Fashion Week. Evans war noch nie dort. Aber er kennt Designer, die dadurch den Sprung geschafft haben. Plötzlich werden Investoren aufmerksam oder europäische Firmen laden zu Praktika. Loumou Evans will unbedingt teilnehmen. Bis Herbst muss man sich anmelden. Evans spart für die Teilnahmegebühr: 250.000 CFA-Francs, umgerechnet etwa 380 Euro.

Marina, Evans und Fattah gehen entlang einer staubigen Straße auf einem der größten Märkte der Stadt. Dort will Evans die Stoffe für den Auftrag von Anaïs besorgen. Evans besucht den Markt mehrmals pro Woche. Passanten zücken ihre Handys und fotografieren Marina. Über dem Markt kreisen Geier. Die Händler haben ihre Rufe mit Megafonen aufgenommen und diese an ihren Stand gehängt: "Alles für 500, alles für 500", schallt es blechern auf Wolof, einer im Senegal gesprochenen Sprache. In einem Laden liegen Tarnstoffe aus. Farben und Muster, die nach Militär aussehen, sind im Senegal verboten, doch Evans liebt es, Regeln zu brechen. Er will provozieren. "Mit braven Entwürfen nimmt dich keine internationale Modeschule", sagt er. Er will eine Bewerbungsmappe erarbeiten, um in London, Paris oder New York anzutreten. Dakar sei ihm zu klein. Es gebe zwar eine lokale Schule, aber dort lerne man nur das klassische Handwerk. "Ich will wie die erfolgreichen Designer denken lernen", sagt er, "ich will wissen, wie eine internationale Marke funktioniert." Evans träumt von einer größeren Werkstatt, mehreren Nähmaschinen und Angestellten. Marina soll die erste Mitarbeiterin sein, das hat er ihr bereits versprochen.

Am Abend im Atelier ölt er die Maschine, putzt sie und spannt den Keilriemen ein-er tritt das Pedal bis zum Anschlag durch. Die Maschine klingt wie ein kaputtes Motorrad. Ein Mechaniker betritt den Raum. "Lou", sagt er, "du hattest mal gemeint, du willst eine neue Maschine? Ich hätte jetzt eine im Angebot!" - "Ja? Die nehme ich!", sagt Evans. Er spannt Zwirn ein und beginnt ohne Zeichnung mit dem Entwurf. So wird er bis zum nächsten Morgen arbeiten. Seine Brüder werden währenddessen bei lauten Motorgeräuschen und grellem Licht auf schmalen Feldbetten neben der Nähmaschine schlafen. So ist es fast jede Nacht. "Ich glaube nicht an Wunder", sagt Evans, "ich glaube an harte Arbeit. Und wer hart arbeitet, der kann es schaffen. Jeder kann ein Star werden wie Adama Paris."

Auch Paris liebt die Nacht. "Ich erlaube mir zu sagen: Du hast es geschafft, und das musst du feiern", sagt sie. An diesem Abend hat ihr Bruder eingeladen, er eröffnet ein Fitnessstudio: ein Haus am Strand mit frischem, grünem Rasen. Stehtische mit delikaten Snacks, ein DJ legt Musik auf. Wenige Meter weiter liegt ein kleiner Strand, auf dem sich zahlreiche Menschen tummeln. Es ist ein öffentlicher Ort, auch Familien aus ärmeren Vierteln sind gekommen. Sie planschen und tollen herum, trainieren und genießen. Bei der Party sind sie nur Stacheldrahtzaungäste. Dahinter tanzen, von Sicherheitskräften bewacht, Paris und die Freunde ihres Bruders. Als es dunkel wird, will Adama Paris als eine der Ersten die Party verlassen. "Von all dem, was Sie geschaffen haben", fragt sie ein Gast noch, "worauf sind Sie am meisten stolz?" Paris denkt lange nach. "Auf meine Beständigkeit", sagt sie schließlich. "Hier im Senegal ist alles so fragil. Aber ich mache seit 20 Jahren mein Ding." Ein schwarzer Range Rover kommt angefahren und grüßt sie mit der Lichthupe. Es ist der Golfclubbesitzer, er hat versprochen, sie mitzunehmen. Im Hintergrund hört man Tracy Chapmans "Talkin' Bout a Revolution": "Poor people gonna rise up/And get their share." Adama Paris stakst über die Schotterpiste, der Wagen fährt los. Den Abend dokumentiert sie auf Instagram. Sie schreibt dort: "Living my African Dream."