Demonstrierende zünden nach der Kundgebung am 1. Dezember 2025 in Sofia Müllcontainer an
Bild anzeigen

Proteste und Krawalle in Bulgarien: Was steckt dahinter?

Steigende Sozialabgaben und Steuern, gepaart mit einer weit verbreiteten Korruption. Warum in Bulgarien demonstriert wird.

Drucken

Schriftgröße

Es war die wohl größte Kundgebung seit Jahren. In der bulgarischen Hauptstadt Sofia haben am Montagabend Zehntausende gegen die Regierung protestiert. Schätzungen reichen von 50.000 bis zu 100.000 Menschen. Bilder zeigen Demonstrierende, die friedlich Plakate hochhalten, aber auch Zusammenstöße mit der Polizei nach der Kundgebung. Müllcontainer brannten, Knallkörper flogen und Schaufenster wurden zerstört. Sogar ein Büro der Regierungspartei blieb verwüstet zurück. Seit Tagen gehen zahlreiche Bulgarinnen und Bulgarien in allen größeren Städten des Landes auf die Straße, um den Rücktritt der Regierung zu fordern und ihren Unmut über Korruption und Misswirtschaft kundzutun.

Was genau hat diese Wut geschürt? 

Die Luftaufnahme zeigt wohl zehntausende Menschen, die am Abend in der Innenstadt von Sofia demonstrieren.
Bild anzeigen

Der Auslöser: ein Haushaltsentwurf 

Zum Protest aufgerufen hatte ein Oppositionsbündnis, dem unter anderem Anti-Korruptionsparteien angehören. Sie fordern den Rücktritt der Regierung, derzeit angeführt von der konservativen Gerb-Partei des ehemaligen Ministerpräsidenten Bojko Borissow. In Bulgarien wird seit Jahren immer wieder demonstriert. Der aktuelle Auslöser war ein von der Regierung vorgelegter Haushaltsentwurf für das Jahr 2026. Die Opposition kritisiert, dass der Budgetentwurf zu viel Geld für den Staatsapparat vorsieht, darunter auch höhere Löhne für Beamte und Beamtinnen. Gleichzeitig hätten die Sozialabgaben sowie die Steuerlast erhöht werden sollen – zulasten von Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern. Mittlerweile hat die Regierung den Entwurf auf Druck der Proteste zurückgezogen. 

Selbst bei der Müllentsorgung kommt es zu Korruption 

Bei den aktuellen Protesten geht es aber nicht nur um steigende Sozial- und Steuerabgaben. Ähnlich wie in Serbien, wo es seit über einem Jahr Massenproteste gibt, richten sich auch die Demonstrationen in Bulgarien gegen die weit verbreitete, staatliche Korruption im Land. Der Vorwurf der Demonstrierenden: Die höheren Steuern und Abgaben würde nicht zu einer Verbesserung der Lebensumstände der Bevölkerung beitragen, sondern in Miss- und Freunderlwirtschaft versickern.

Der Unterschied zu Serbien: Bulgarien ist bereits in der EU, die restlichen Länder auf dem Westbalkan wollen es noch werden (Mehr dazu lesen Sie hier). 

Die Demonstrierenden in Sofia werfen ihrer Regierung also auch vor, EU-Gelder zu veruntreuen. Im Korruptionswahrnehmungsindex der Organisation Transparency International landete Bulgarien neben Ungarn und Rumänien auf dem letzten Platz der EU-Mitgliedstaaten.

Konkret zeigt sich die Korruption etwa im mangelnden Wettbewerb bei öffentlichen Ausschreibungen, dem Einfluss mafiöser Strukturen auf die Verwaltung und die Justiz sowie der damit einhergehenden Veruntreuung von öffentlichen Geldern. Festmachen lässt sich das an einem aktuellen Beispiel. Im Oktober diesen Jahres kam es in Teilen der Hauptstadt Sofia zu einer Müllkrise. In den Bezirken Ljulin und Krasno Selo lief der Vertrag mit einer privaten Entsorgungsfirma ab. Nachdem immer mehr Mitbewerber aus dem Wettbewerb ausschieden, sollte sich ein Bieter durchsetzen, dessen Angebot deutlich teurer als der Mitbewerber war. Der Versuch seitens des Bürgermeisters von Sofia von der Oppositionsparatei "der Wandel wird fortgesetzt", einen günstigeren Anbieter zu installieren und die daraus entstandene Blockade hatte goße Müllberge auf den Straßen der Hauptstadt zur Folge. Ein Beispiel von vielen, wie intransparente Vergabeverfahren und Vetternwirtschaft ganz konkrete Auswirkungen auf die Bevölkerung haben. Nachdem die Müllsäcke nicht mehr abgeholt wurden, legten einige Bewohner selbst Hand an. Aus Angst, Krankheiten könnten sich sonst ausbreiten. 

Bei einer Kundgebung im Juni 2025 demonstrieren Euro-Gegner in Sofia mit bulgarischen Fahnen
Bild anzeigen

Am 1. Januar 2026 kommt der Euro 

Die aktuellen Proteste lassen sich auch mit einem generellen Misstrauen gegenüber dem Staat erklären. Seit 2020 kam es zu sieben vorgezogenen Neuwahlen. Dazu kommt eine weitere Verunsicherung. Bulgarien wird am 1. Januar 2026 als 21. Staat den Euro einzuführen und die nationale Währung Lew abschaffen. Das soll den Handel erleichtern und Investitionen aus dem Ausland ankurbeln. Aber nicht alle sehen die neue Währung positiv. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist skeptisch. Sie fürchten, dass im Anschluss die Preise steigen könnten. Allerdings passiert das schon seit einem Jahr spürbar.

Moskau nutzt jetzt genau diese Euro-Skepsis. Rechte bis Kreml-freundliche Parteien in Bulgarien machen seit Monaten Stimmung gegen die EU. Falschmeldungen, die über russische Social-Media-Kanäle Verbreitung finden, haben in Bulgarien massenhaft zugenommen. In solchen Videos wird unter anderem behauptet, Geld aus Pensionsfonds werde in die europäische Militärindustrie umgeleitet und die Ersparnisse von Bulgarinnen und Bulgaren würden sich in Luft auflösen. 

Russische Desinformation ist in Bulgarien seit Jahren ein Thema und hat seit dem Krieg in der Ukraine nachweislich zugenommen. Das Land ist auch deswegen so anfällig, weil die Bevölkerung in EU- und Russlandanhänger gespalten ist. Um die Frage, ob sich das Land stärker am Westen oder am Osten orientieren sollte, geht es bei den aktuellen Protesten aber nicht. Die Demonstrierenden sind nicht per se gegen den Euro. Sie warnen, dass die Regierung den Währungswechsel nutzen könnte, um den Haushalt noch weiter zu belasten. Womöglich zugunsten der eigenen Klientel. 

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.