Ursula von der Leyen und  Milojko Spajić (Premier Montenegros) stehen auf einem Podium vor einer Montenegro-Flagge.
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EU-Erweiterung: Wollen wir wieder wachsen?

Seit dem Krieg in der Ukraine ist die EU gewillt, wieder neue Mitglieder aufzunehmen. Aber der Weg ist noch lang.

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„Ich rufe aus dem Gefängnis an“, sagt Elene Khoshtaria. Es sind Grußworte für die Anhänger der liberalen Partei „Droa“, der die georgische Oppositionelle vorsitzt. Sie hat die Nachricht heimlich im Frauengefängnis Rustawi aufgenommen und hinausschmuggeln lassen. „Ich bettle nicht um Hilfe, sondern verlange nur, dass Sie für unsere gemeinsamen europäischen Werte aufstehen“, heißt es weiter.

Khoshtaria wird mit einer Härte für ein Delikt bestraft, die in einem demokratischen Land undenkbar sein sollte. Im September ließ sich die 45-Jährige dabei filmen, wie sie ein Plakat der Regierungspartei „Georgischer Traum“ beschmierte. Die georgische Justiz ermittelte wegen Sachbeschädigung, wenige Tage später führten Polizisten Khoshtaria ab. Ihr drohen im Extremfall bis zu fünf Jahre Haft. „Meine Inhaftierung ist rechtswidrig, genau wie die unzähliger anderer freier Seelen“, schreibt Khoshtaria in einem online veröffentlichten Brief. Sie weigerte sich, auf Kaution freizukommen, und bezeichnet den Gerichtsprozess gegen sie als „Farce“.

Eine Frau (Elene Khoshtaria) spricht und gestikuliert. Sie sitzt, vor ihr stehen Wasserflaschen und Gläser.
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Khoshtaria ist nicht die Einzige, die im Fadenkreuz der Behörden steht. Sechs von zehn Oppositionschefs sitzen in Georgien in Haft oder befinden sich im Exil. Im Fall des Bündnisses „Coalition for Change“, das bei den Wahlen 2024 mit elf Prozent die meisten Stimmen unter den Oppositionsparteien erhielt und zu dem auch Khoshtarias „Droa“ gehört, befindet sich die gesamte vierköpfige Führungsriege in Haft.

Und der Druck steigt weiter.

Am Dienstag wurde bekannt, dass die Regierungspartei die drei größten Oppositionsparteien verbieten und deren Wahlbündnisse auflösen will. „Wir werden weitermachen“, sagt die „Droa“-Politikerin Marika Mikiashvili, die für „Coalition for Change“ die Auslandsbeziehungen leitet, gegenüber profil. Das Wahlbündnis soll verboten werden, während kleinere Parteien wie Khoshtarias „Droa“ verschont bleiben. „Der „Georgische Traum“ zielt auf die Parteien mit den meisten Ressourcen ab, weil die ihnen am gefährlichsten werden könnten. Wenn jemand ihre Macht bedroht, werden sie mit neuen Verboten nachschärfen“, glaubt Mikiashvili.

Eine Frau steht vor einer EU-Flagge und der Aufschrift "Council of Europe - Parliamentary Assembly"
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Marika Mikiashvili von der liberalen Partei „Droa“ lobbyiert bei der EU für Sanktionen gegen Georgiens Regierung.

Die Festnahmen von Oppositionellen in Georgien erinnern an Methoden in autoritären Ländern wie Russland oder Belarus. Dabei will das Land mit knapp über drei Millionen Einwohnern eigentlich in eine andere Richtung: Seit Dezember 2023 ist Georgien einer von insgesamt acht EU-Beitrittskandidaten (Siehe Karte). Doch während Länder wie Albanien oder Montenegro bereits bis 2030 beitreten wollen, sind die Gespräche mit Georgien bis auf Weiteres eingefroren.

Das Cover des Buches "Der Westbalkan: Im Wartezimmer der EU": Männer in tradtionellen Trachten tanzen vor einer Gruppe an Politikern in Anzügen, die vor einem Gebäude stehen.
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Weiterführende Lektüre

Um die EU-Erweiterung auf dem Balkan geht es auch im neuen Buch von profil-Journalistin Franziska Tschinderle (Co-Autoren: Krsto Lazarević und Danijel Majić). Es erscheint am 6. November bei der deutschen Bundeszentrale für politische Bildung (Bpb) und ist online bestellbar. 

„In den Neunzigern und Nullerjahren, also vor der großen Osterweiterung 2004, gab es eine regelrechte EU-Euphorie und das Gefühl, dass die EU als Player alles schaffen kann“, sagt die deutsche Politologin Frauke Seebass, die bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Brüssel zur Erweiterung forscht. Dann kam die Eurokrise, die Finanzkrise, die Migrationskrise und schließlich der Aufstieg EU-feindlicher rechter Parteien. „All das hat den Zusammenhalt innerhalb der Union erschüttert“, sagt Seebass.

Wenn wir unseren Einfluss nicht in der direkten Nachbarschaft verteidigen, mit der wir die Kultur, die Geschichte und den Wirtschaftsraum teilen, wo sonst in der Welt soll es uns gelungen?

Frauke Seebass, Politologin bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Brüssel

2020 trat dann Großbritannien aus. Die EU schrumpfte, anstatt zu wachsen.

Dass es jetzt wieder in die andere Richtung gehen könnte, berge viele Chancen für die EU, glaubt Seebass, sowohl wirtschaftlich als auch geopolitisch. „Der Binnenmarkt wird erweitert, Handelsketten diversifiziert, Niedriglohnländer und Märkte für erneuerbare Energien erschlossen“, sagt sie. Geopolitisch sei die Erweiterung für die Außenpositionierung der EU wichtig. „Wenn wir unseren Einfluss nicht in der direkten Nachbarschaft verteidigen, mit der wir die Kultur, die Geschichte und den Wirtschaftsraum teilen, wo sonst in der Welt soll es uns gelungen?“, fragt Seebass.

Dem stehen aber auch unleugbare Risiken gegenüber. So etwa die Angst, sich ein zweites Ungarn ins Haus zu holen, das gemeinsame EU-Entscheidungen torpediert und sich als Trojanisches Pferd für russischen Einfluss entpuppt.

Mit solchen Einwänden machte zuletzt Frankreich gegen eine Erweiterung auf dem Balkan Stimmung. Das Credo von Präsident Emmanuel Macron: Bereits jetzt, mit 27 Mitgliedern, tut sich die EU schwer, Kompromisse zu finden. Noch mehr EU-Staaten würden die Union lahmlegen.

Seit Beginn des Ukraine-Krieges heißt das Mantra: zusammenstehen. Die Erweiterung ist wieder in der Agenda nach oben gerückt und damit auch die Situation in den Ländern, die beitreten wollen.

Europas Anwärter sind kein monolithischer Block. Wäre das Beitrittsverfahren ein Marathon, dann könnte man drei Geschwindigkeiten ausmachen.

Raphael  Bossniak

Raphael Bossniak

seit Juli 2025 im Außenpolitik-Ressort. Davor freier Journalist für APA, Kurier und die deutsche Nahostfachzeitschrift zenith. Schwerpunkt Nahost / Kaukasus / Osteuropa.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.