SOS Femizid: Zahlen, Risikofaktoren und Gegenmaßnahmen

Wie viele Morde an Frauen könnten verhindert werden, und vor allem: wie?

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Das Phänomen der Femizide ist überall in der westlichen Welt in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Das liegt vor 
allem daran, dass wohl viele Morde an Frauen, begangen durch Partner, Ex-Partner oder nähere Bekannte, verhindert hätten werden können. Viele Fragen werden diskutiert: In welchen Ländern ist die Situation am schlimmsten? Welche Risikofaktoren gibt es? Soll Femizid ein eigener Straftatbestand werden? Und vor allem: Welche Maßnahmen helfen, die Gefahr für Frauen zu verringern? Ein Überblick.

Begriffsklärung

In Frankreich verlangen Frauenschutzorganisationen, dass der Begriff „Femizid“ (auf Französisch: „feminicide“) als behördlicher Terminus etabliert und als eigenes Delikt ins Strafrecht aufgenommen wird. Doch eine parlamentarische Kommission hat dies im Februar abgelehnt, weil es „unnütz oder sogar kontraproduktiv“ sei, so die damit befasste Abgeordnete Fiona Lazaar. „Femizid“ werde einerseits synonym mit „Frauenmord“ verwendet, andererseits enger definiert als „Mord an einer Frau aufgrund ihres Geschlechts“. Beide Varianten bergen Probleme.

Die weite Definition sei juristisch nicht haltbar, weil die bloße Unterscheidung des Geschlechts eines Opfers keinen Unterschied im Strafrecht rechtfertige; die engere Definition wiederum nehme keine Rücksicht auf die Diversität an Identitäten – etwa Transgender-Personen oder Morde in lesbischen Beziehungen. Außerdem sei es schwierig, in einem Gerichtsverfahren nachzuweisen, dass das Geschlecht des Opfers das ausschlaggebende Motiv für die Tat gewesen sei.

In Belgien hingegen gibt es eine Initiative, „Femizid“ als erschwerenden Tatumstand in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, weil der Mord an einer Frau wegen deren Geschlechts das Kriterium der Diskriminierung als Motiv erfülle.

Maßnahmen

Seit 2017 verfolgt Schweden eine „Nationale Strategie, um Gewalt von Männern an Frauen zu beenden“. So wurde etwa 2019 eine Hotline für Personen eingerichtet – mehrheitlich Männer –, die ihre Neigung zu gewalttätigem Verhalten nicht unter Kontrolle bringen können. Untersuchungen zeigten, dass damit Täter erreicht werden können, die ihr Problem davor mit niemandem besprochen hatten.

Seit September des vergangenen Jahres müssen Gewalttäter in Frankreich elektronische Warnsysteme tragen, sogenannte Fußfesseln. Diese informieren bedrohte Frauen, wenn sich die gefährliche Person nähert.

In Frankreich bekommen Frauen, die zu Hause Gewalt ausgesetzt sind, ein sogenanntes Gefahrentelefon zur Verfügung gestellt: Die Frau muss nur auf einen Knopf drücken und ist mit dem Notruf verbunden. Waren die Kriterien, wer ein solches Telefon bekommt, zunächst strenger formuliert, so wurden nach der Lockerung allein im November 2019 nicht weniger als 682 Nottelefone ausgegeben.

Zahlen

Im Jahr 2020 wurden in Frankreich 90 Femizide verübt – also Morde an Frauen, verübt durch einen Partner, Ex-Partner oder Bekannten. Das ist der niedrigste Wert seit Beginn der Erhebungen vor 15 Jahren. Im Jahr davor waren es 148 gewesen. Ob der Rückgang an Femiziden auf Maßnahmen der Behörden zurückzuführen ist oder auf die besonderen Umstände wegen der Coronavirus-Pandemie, ist unklar – und umstritten.

Eine „Untersuchung häuslicher Morde“ durch die französische Justiz von 2019 ergab, dass 15 Prozent der Täter bereits zuvor wegen häuslicher Gewalt verurteilt worden waren. 77 Prozent dieser Vorbestraften hatten das Delikt am späteren Mordopfer begangen.

22 Prozent der Opfer waren vor der Tat bereits Gewalt durch den Täter ausgesetzt gewesen, hatten dies aber nicht angezeigt.

Eine weitere Untersuchung der französischen Justiz kommt zu dem Schluss, dass in 63 Prozent der Femizide vorangegangene Gewalttaten als Alarmsignal erkannt werden hätten können.

Mehr als 40 Prozent der Täter begehen nach dem Femizid Selbstmord oder einen Selbstmordversuch.

Risikofaktoren, die Femizide begünstigen

  • Alkoholismus und Drogenabhängigkeit 
  • Beschäftigungslosigkeit
  • Trennungssituationen oder die Ankündigung einer Trennung
  • Soziale oder familiäre Isolation des Paares
  • Eifersucht und das Gefühl der Besitzergreifung, das daraus resultiert
  • Psychiatrische Krankheiten und psychologische Labilität

Laut der erwähnten französischen Studie ist in 43 Prozent der Fälle die Weigerung des Mannes, eine Trennung zu akzeptieren, das Motiv für den Femizid. Bei 31 Prozent ist es Eifersucht. Sowohl Täter als auch Opfer finden sich in allen Altersgruppen – auch in jener der über 70-Jährigen.

Zahlen

Seit dem 31. März dieses Jahres wird Schweden von einer Serie von Femiziden erschüttert. Fünf Frauen wurden innerhalb weniger Wochen getötet, in jedem der Fälle war der mutmaßliche Täter ein Mann, den das Opfer kannte.

Laut den Vereinten Nationen wurden 2017 weltweit rund 50.000 Frauen von einem engen Partner oder einem Familienmitglied getötet.

Für Österreich ermittelt die Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie die Verhältnisse der Täter zu den Opfern. Demnach wurden heuer zwölf Frauen getötet, davon sieben durch ihre Ehemänner oder Lebensgefährten, vier durch Ex-Partner und eine durch die Hand des Ex-Freundes ihrer Tochter.

Das Problem mit der Statistik

Europa- oder gar weltweite Vergleiche von Femizid-Statistiken sind schwierig. Die Länder haben unterschiedliche Definitionen von Femizid, mehr als ein Dutzend EU-Mitgliedstaaten führen überhaupt keine Statistiken darüber. So gilt etwa Gewalt durch den Partner mit Todesfolge nur in fünf EU-Staaten als Femizid. Das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) fordert einen gemeinsamen Zugang – nur so könne Gewalt gegen Frauen erfolgreich bekämpft werden.

Neue Formen von Stalking

Eifersucht und Kontrollwahn gehen vielen Femiziden voraus. Mit neuer Technik ändern sich auch die Mittel, die Tätern zur Verfügung stehen. Auf besonders grausame Weise deutlich wurde das im Fall Sophie N. in Deutschland.

Fast zwei Jahre hatte Patrick S. seiner ehemaligen Arbeitskollegin nachgestellt, bevor er die 23-Jährige tötete.

Patrick S. war es gelungen, den Handy-PIN von Sophie S. einzusehen. Mithilfe einer App verschaffte er sich Zugriff – und las fortan mit und hörte zu, ohne dass sie es merkte. Möglich wurde das durch Stalkerware: Apps, die wenig kosten und alle Daten vom fremden Handy an den Nutzer schicken.

Menschen nachzustellen, ist zwar verboten. Doch Stalkerware ist legal – und immer mehr Menschen laden sich solche Apps herunter. In Deutschland etwa gab es Anfang des Jahres einen Anstieg von mehr als 100 Prozent im Vergleich zu 2020.

Dort werden rund 19.000 Fälle pro Jahr angezeigt, 83 Prozent der Opfer sind Frauen, 87 Prozent der Täter Männer. Nicht jeder Stalker wird zum Mörder, doch oft gehen Stalking, Drohungen und Belästigung den Morden voraus. Einen Zusammenhang zwischen Stalking und Gewalt gibt es jedenfalls: Laut EIGE waren 70 Prozent der von Cyberstalking betroffenen Frauen auch Opfer von Gewalt durch ihren Ex-Partner oder Partner.

Hilfe für Betroffene finden Sie hier:

Frauenhelpline (rund um die Uhr, kostenlos): 0800 222 555
Männernotruf (rund um die Uhr, kostenlos): 0800 246 247

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur