Geflüchtete ukrainische Kinder am Hauptbahnhof in Wien
profil-Morgenpost

Warum jetzt viele Geflüchtete in die Ukraine zurückkehren

Mehr als 800.000 geflohene Ukrainer:innen sind wieder in ihrer Heimat. Sie wollen kämpfen – oder bei ihren Familien sein.

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Seit Kriegsbeginn sind laut UNHCR viereinhalb Millionen Menschen aus der Ukraine nach Moldawien, Polen, Ungarn und auch nach Österreich geflüchtet. Während die Menschen im Osten des Landes der bevorstehenden Großoffensive harren, bewegt der Rückzug der russischen Truppen aus der westlichen Ukraine viele zu einer Rückkehr nach Hause.

Zumeist handelt es sich um Männer, die kämpfen wollen; in den letzten Wochen seien es jedoch vermehrt Frauen, Kinder, Familien gewesen. Auch Männer über 60 melden sich zur Territorialverteidigung, das ukrainische Innenministerium spricht von rund 870.000 Rückkehrer:innen. „Sie sagen, dass sie sehen, dass die Situation sicherer ist, vor allem in den westlichen Regionen, und sie können nicht länger im Ausland bleiben. Sie sind bereit, in ihr Land zurückzukehren und hier zu bleiben,“ so ein Sprecher des ukrainischen Grenzschutzes.

Es ist ein entsetzliches Abwägen: Bleiben oder gehen? Kämpfen oder flüchten? Über diese Zerrissenheit, vor allem die der jungen Männer, schreiben Edith Meinhart und Christa Zöchling im aktuellen profil. „Wenn ich anfange, nachzudenken, tut mir das Herz weh“, erzählt ihnen ein Vater, der mit seiner Frau und seinem kleinen Kind über Rumänien in die EU geflüchtet ist.

Männer schämen sich; Mütter rechtfertigen sich, wenn sie ihre volljährigen Söhne bei sich haben. So auch Warwara aus Nikolajew, die ich für die profil-Geschichte „Stationen der großen Flucht“ am Hauptbahnhof in Wien kennengelernt habe.

Während ich mit ihr sprach, schlief der älteste Sohn eingerollt und mit seiner Hand über dem Gesicht auf einem der Stühle in der ÖBB-Lounge, die sonst von Erste-Klasse-Reisenden frequentiert werden. Fast beschämt erzählte mir Warwara, dass er gerade 18 geworden ist. „Eigentlich dürfte er gar nicht hier sein.“ Sie erzählte mir die Geschichte ihrer Flucht: Als sie an der Grenze zu Polen im Stau stehen, legt sie Geld in den Pass ihres Sohnes. Nach der Reihe reicht sie dem Grenzbeamten die Pässe von ihr und ihren Kindern. Als sie ihm den Pass des ältesten Sohnes in die Hand gibt, schaut sie ihn eindringlich an und sagt: „Wenn du an Gott glaubst und ein Herz hast, dann trennst du diesen Jungen nicht von seiner Familie und lässt ihn alleine in der Ukraine bleiben.“

Muss man kämpfen? Darf man flüchten? Diese beiden Fragen haben wir – neben anderen – auf das aktuelle profil-Cover gehoben. Es sind quälende Gewissensfragen, mitten im Krieg gegen einen Agressor. Aber sie müssen gestellt werden. Unsere Denkanstöße und –sätze dazu lesen Sie schon jetzt in der neuen Ausgabe: Hier geht es zum E-Paper.

Ein schönes Wochenende wünscht

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

Lena Leibetseder

ist seit 2020 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. Schreibt über Popkultur und Politik.