Am 6. Januar 2021 stürmen Trump-Anhänger das Kapitol, weil sie seine Wahlniederlage nicht akzeptieren wollen.
Hitler-Vergleiche

Was Faschisten faschistisch macht

Im öffentlichen Diskurs wird oft freigiebig die Faschismus-Keule geschwungen. Aber ab wann ist ein Staat überhaupt faschistisch und woran merken wir das?

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Ein deutscher SPD-Abgeordneter wirft der CDU vor, „mit den Faschisten“ gemeinsame Sache zu machen. Gemeint ist die rechtsextreme Alternative für Deutschland (Afd), die ein nie dagewesenes Umfragehoch erfährt. Sie steht derzeit bei 22 Prozent.

Der tschechische Präsident Petr Pavel vergleicht Putin mit Hitler

Vergangene Woche kritisierte Vizekanzler Kogler eine Aussage der Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner in diesem Magazin als „präfaschistoid“.

Der Gebrauch des Faschismus-Begriffs hat Konjunktur, und selten sind historische Figuren damit gemeint, sondern amtierende Staatschefs oder solche, die es noch werden wollen.

Mit dem Erstarken von Rechtspopulisten wie Marine Le Pen in Frankreich, Viktor Orbán in Ungarn oder der AfD in Deutschland ging auch immer der Versuch einher, ein passendes Etikett für sie zu finden. Auf Populisten und Rechtsextremisten, in manchen Fällen sogar Autokraten, können sich viele einigen. Ungarn ist heute keine liberale Demokratie mehr, und Orbán ist dabei, sich zu radikalisieren. Das jüngste Beispiel dafür: Vor zwei Wochen breitete er im Wiener Bundeskanzleramt Verschwörungstheorien über George Soros aus. Der Milliardär, US-Investor und Holocaust-Überlebende gilt als Zielscheibe von Rechten aus aller Welt. Orbán wirft ihm vor, gemeinsam mit den „Brüsseler Bürokraten“ muslimische Migranten nach Europa zu locken. „Wir haben gekämpft, wir sind bereit, uns mit uns zu vermischen, aber wir wollen nicht Völker gemischter Rasse werden“, sagte Orbán vergangenes Jahr vor Tausenden Anhängern.

Orbán teilt sich Soros als Feindbild mit der Partei „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens) in Rom. Sie gelten als „Postfaschisten“, weil ihre Wurzeln im „Movimento Sociale Italiano“ (MSI) liegen, der von 1946 bis 1995 existierte. Ihr Gründer Giorgio Almirante war ein ehemaliger Propagandist Benito Mussolinis gewesen, der Italien zwei Jahrzehnte lang als „Duce“ faschistisch regierte und mit seinem Führerkult nicht zuletzt Hitler inspirierte (Lesen sie dazu ein profil-Interview mit dem Faschismus-Forscher Joshua Arthurs) Seit vergangenem Jahr stellen die „Brüder Italiens“ mit Georgia Meloni die erste Ministerpräsidentin in der Geschichte Italiens.

Wir wollen nicht Völker gemischter Rasse werden

Ungarischer Ministerpräsident Viktor Orbán

Politischer Kampfbegriff

Als politischer Kampfbegriff ist der Faschismus längst zurück. Dabei scheinen viele zu vergessen, dass das Wort auch eine wissenschaftliche Kategorie ist. Kann, ja, darf man eine Partei der Gegenwart, so fremdenfeindlich und anti-demokratisch sie auch sein mag, überhaupt mit einem so historischen Begriff umschreiben? Wo liegt die Trennlinie zwischen einem „gewöhnlichen“ Diktator und einem Faschisten?

Die wichtigsten Merkmale des Faschismus sind: die Verherrlichung des gewaltsamen Kampfes, Führerkult, Rassenhass und das Erträumen der nationalen Wiedergeburt.

Nur: Trifft vieles davon nicht auch auf China zu, ein kommunistischer Einparteienstaat, der die muslimische Volksgruppe Uiguren in Umerziehungslager steckt und dem kleinen Inselstaat Taiwan mit der Invasion droht? Träumt nicht auch Putin von einer russischen Welt, für die er bereit ist, Kriegsverbrechen zu begehen?

profil hat mit drei Historikern und Historikerinnen über diese Fragen diskutiert. Sie waren sich nicht immer einig, aber in einem Punkt kommen sie überein: Personenkult, Angriffskriege oder ein übersteigerter Nationalismus machen aus einem Xi Jinping, Wladimir Putin oder Viktor Orbán noch keine Faschisten. „Wenn Faschismus zu inflationär benutzt wird, dann verliert er seinen Schrecken und seine analytische Schärfe“, sagt die Historikerin Regina Fritz von der Universität Bern.

Wenn Faschismus zu inflationär benutzt wird, dann verliert er seinen Schrecken und seine analytische Schärfe

Regina Fritz, Historikerin an der Universität Bern

Also: Was ist Faschismus?

Florian Wenninger, Leiter des österreichischen Instituts für historische Sozialforschung, räumt mit einem Missverständnis auf. Der Faschismus werde oft mit Hitler in Verbindung gebracht, obwohl es unterschiedliche Faschismen gab. „Wer jemandem unterstellt, ein Hitler zu sein, der unterstellt ihm das absolut Böse, nämlich den Nationalsozialismus“, sagt Wenninger, „und genau das macht die Debatte so schwierig: Wer vergleicht, dem wird automatisch vorgeworfen, zu verharmlosen.“

Auch über die Frage, ob der Faschismus ein Phänomen seiner Epoche, also des 20. Jahrhunderts bleibt, oder ob er jederzeit wiederkehren kann, wie der Journalist Paul Mason argumentiert, gibt es Debatten. Mason hat dazu 2022 ein Buch vorgelegt. Es trägt den Titel: „Faschismus und wie man ihn stoppt“. Darin stellt er die These auf, dass viele Entwicklungen unserer Zeit nicht bloß anti-demokratisch oder rassistisch seien, sondern als faschistisch benannt werden müssten. Mason nennt einige Beispiele.

Der 6. Januar 2021 ist darunter, als Anhänger von Donald Trump das Kapitol stürmten, weil sie seine Wahlniederlage nicht akzeptieren wollen, aber auch die Normalisierung von Verschwörungstheorien, die vor einem „großen Austausch“ warnen. Darunter ist eine rechtsextreme Theorie zu verstehen, die Einwanderung als „Genozid“ an der „weißen Rasse“ begreift. Das Fatale sei nicht, dass es solche Splittergruppen gibt, meint Mason, sondern wie ihre Sprache durch nicht-faschistische Politiker normalisiert werde. „Trump ist kein Faschist“, stellt Mason klar, „aber es gibt in den USA eine Massenbasis für den Faschismus, und Trump hat sich entschlossen, die Führung dieser Massen zu übernehmen.“ Populisten wie Trump seien eine Art Steigbügelhalter, indem sie klassische faschistische Codes normalisierten. In Ungarn tut Orbán dasselbe, indem er ganz offen vor einem Bevölkerungsaustausch warnt. Die Freiheitliche Jugend in Österreich hat sogar eine Website ins Netz gestellt, die vor einem solchen Szenario warnt (profil-Faktencheck hat berichtet)

Trump ist kein Faschist. Aber es gibt in den USA eine Massenbasis für den Faschismus, und Trump hat sich entschlossen, die Führung dieser Massen zu übernehmen

Paul Mason, Journalist und Buchautor

Ist er zurück? „Faschismus. Und wie man ihn stoppt“

Der britische Journalist Paul Mason hat ein Buch über die Rückkehr des Faschismus geschrieben. 

Die Faschismus-Keule

Der Historiker Thomas Schlemmer vom Institut für Zeitgeschichte in München hält es dennoch für wenig hilfreich, Rechtspopulisten als Wegbereiter des Faschismus zu deuten, wie das Mason tut. Sei es nicht schlimm genug, dass Parteien wie die Alternative für Deutschland (AfD) die Demokratie angreifen, fragt Schlemmer. Braucht es da auch noch die Faschismus-Keule obendrauf?

Paul Mason widerspricht in seinem Buch: Um heute die Vorzeichen des Faschismus zu erkennen, müsse man nur in die Geschichte schauen. Er schreibt: „Wir wissen heute mehr als jede Generation vor uns Bescheid, was der Faschismus angerichtet hat, als er an der Macht war. Aber wir wissen besorgniserregend wenig darüber, wie die Faschisten an die Macht kamen.“

Die Wahrheit ist: Viele schafften es erst gar nicht an die Macht. Nach dem Ersten Weltkrieg gab es in fast allen Staaten Europas faschistische Bewegungen. Nur in wenigen setzten sie sich durch und stellen die Regierung. In Italien, dem Geburtsland des Faschismus, war dies bereits seit 1922 mit Benito Mussolini der Fall. Dann dauerte es mehr als zehn Jahre, bis Hitler 1933 Reichskanzler wurde. Andere faschistische Bewegungen gelangten erst im Zuge des Zweiten Weltkriegs an die Macht, tatkräftig unterstützt von Deutschland und Italien, wie die Ustascha in Kroatien oder die Pfeilkreuzler in Ungarn.

Ideologie der Tat 

Gibt es eine Art Ideologie, auf die Faschisten sich berufen? Der Historiker Florian Wenninger bezweifelt das: „Ich glaube, faschistische Ideologie wird überschätzt.“ Die Faschisten seien stolz darauf gewesen, eine „Ideologie der Tat“ zu vertreten, wie Mussolini es nannte. „Es ging um forsches Machen, nicht darum, das eigene Tun mit einem konsistenten Weltbild in Einklang zu bringen“, sagt Wenninger. Für den Gesinnungswandlung des Mussolini steht nicht zuletzt diese Anekdote: Er war einst Chefredakteur eines sozialistischen Magazins gewesen.

Zu Mussolinis Taten zählte auch ein weiteres, wichtiges Merkmal des Faschismus: der Expansionismus der Achsenmächte. Mussolini vergrößerte sein Reich in Ostafrika, Japan führte einen Eroberungskrieg in China, Hitler sah ganz Osteuropa als natürlichen deutschen „Lebensraum“. Müsste dieser Logik zufolge nicht auch Putin faschistisch sein? Er zelebriert das „Z“ als Symbol des Krieges und spricht Ukrainerinnen und Ukrainern ab, eine eigene Kultur und Sprache zu haben. All das mache ihn aber noch nicht zum Faschisten, sagt der Historiker Florian Wenninger: „Putins Partei Einiges Russland ist eine nationalistische Truppe, keine Frage. Aber sie kontrolliert weder das Militär noch unterhält sie eigene Milizen wie die NSDAP einst mit der Schutzstaffel (SS).“ Eine Söldner-Truppe wie Wagner lasse sich nicht damit vergleichen.

Faschismus setzt auf charismatische Führerfiguren und lebt von Mythen. Anders als in Polizeistaaten unterjochen diese das Volk nicht nur, sondern setzen auf Partizipation als soziale Praxis. „Genau das ist zentral“, glaubt Wenninger, „Faschismus ist eine Herrschaft durch Aktivismus.“ Österreich unter Dollfuß war nicht zuletzt deswegen (austro)faschistisch, weil es die Vaterländische Front (VF) gab, eine Mitgliederbewegung, deren Symbol das christliche Kruckenkreuz war.

Ich glaube, faschistische Ideologie wird überschätzt 

Florian Wenninger, Leiter des Instituts für Historische Sozialforschung in Wien

Faschisten kontrollierten einerseits Parteien und andererseits paramilitärische Bewegungen. Sie saßen also einerseits in den Parlamenten und trugen den Terror andererseits auf die Straßen.

Thomas Schlemmer, Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München

Aber mobilisieren nicht alle Diktatoren die Massen?

Schlemmer ist gegen diese Gleichsetzung. Kommunistische Führer regierten in der Regel „im Apparat“. Die Partei stand über dem Führer, der seine Nachfolge regelte. „Im Faschismus stirbt die Bewegung, wenn der Führer stirbt“, so Schlemmer. Und noch ein Punkt ist zentral: „Faschisten kontrollierten einerseits Parteien und andererseits paramilitärische Bewegungen. Sie saßen also einerseits in den Parlamenten und trugen den Terror andererseits auf die Straßen.“ Zentral ist auch die Idee des neuen Menschen und der Volksgemeinschaft. „Faschismus organisiert sich über Klassen hinweg“, sagt die Historikerin Regina Fritz „und die Zugehörigkeit zur ,Volksgemeinschaft„ soll die Klassenzugehörigkeit aufheben.“

Wie also schafft es Faschismus an die Macht? Ein Krisengefühl (bürgerkriegsähnliche Zustände, Wirtschaftskrise), der Glaube an die Vormacht einer Gruppe und das Opfernarrativ werden in der Forschung am häufigsten genannt. Gleichzeitig braucht es früher oder später die Kooperation mit den traditionellen Eliten, zumeist rechtskonservative Parteien, nicht selten auch Populisten ohne ideologischen Kompass. Wenn wir diese Populisten alle pauschal Faschisten nennen, machen wir uns angreifbar. Denn ihre prompte Antwort wird immer lauten „So sind wir nicht.“ Wer stets mit dem ultimativen Böse gemessen wird, muss sich irgendwann nicht mehr erklären.

Franziska Tschinderle

Franziska Tschinderle

schreibt seit 2021 im Außenpolitik-Ressort. Studium Zeitgeschichte und Journalismus in Wien. Schwerpunkt Südosteuropa / Balkan.