Blaupausen für eine grüne Zukunft
Links oben der Kahlenberg, rechts unten der Donaukanal: Angesiedelt in den oberen Etagen der Spittelauer Lände 45 bietet das Climate Lab einen fast schon irritierend beschaulichen Ausblick für einen Innovationshub, der in Sachen Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft ordentlich aufs Gas tritt. Initiiert von Klima-und Energiefond, Klimaschutzministerium, Wien Energie, Impact Hub, Wirtschaftsagentur Wien und EIT Climate-KIC arbeitet das Climate Lab seit 2022 mit vielen Partnern wie IKEA, REWE, WAFF und Wiener Linien an Lösungen zur Klimawende. Zwischen recycelten, gemieteten Büromöbeln und kohlenstoffneutralen Teppichfliesen bringt es seitdem Klimainnovator:innen und Stake-Holder aus allen Bereichen für Kooperationsprogramme und Projekte in einem neutralen Raum zusammen, moderiert Prozesse, übersetzt zwischen den Branchen, schlägt Brücken, wo sich sonst gern Gräben auftun.
Es ist ein – derzeit noch weltweit einzigartiger – sektorübergreifender Ansatz, der eine Lücke im österreichischen Innovationssystem schließt und Vertrauen, Tempo und Hebelwirkung für die Klimatransformation schafft. Wie gut das gelingt, zeigt sich schon drei Jahre nach Gründung. Längst hat sich der Hub bei Unternehmen und Start-ups, Politik und NGOs, Wissenschaft und Zivilgesellschaft als Kompetenzzentrum etabliert, das fern von Parteizugehörigkeiten groß denkt und Zugang zur gesamten Wertschöpfungskette hat. Im Gespräch mit profil Extra beleuchten Barbara Inmann, ab Oktober Climate-Lab-Geschäftsführerin, Circularity Lead Helene Pattermann und Communications-Experte Markus Palzer-Khomenko bisherige Erfolge und künftige Herausforderungen.
Das Climate-Lab-Ziel ist klar: Klimaneutralität – so schnell wie möglich. Wie sieht der Weg dahin aus?
Barbara Inmann
Wir unterstützen Unternehmenspartner:innen, gemeinsam mit unserer Community systemische Lösungen für ihre Fragestellungen zu erarbeiten, die einen Impact und transformative Kraft für ganze Sektoren haben – etwa durch ihre rasche Skalierbarkeit oder ihr Blaupausenpotenzial. Dazu analysieren wir Hindernisse am Weg zu Klimaneutralität und Kreislaufwirtschaft und identifizieren gangbare Lösungen. Am Ende steht ein Plan, der tatsächlich und vor allem rasch umgesetzt werden kann.
Vorzeigeprojekte gibt es einige – von grüner Beschaffung über Lehm als klimaneutraler Baustoff und die Phosphor-Rückgewinnung aus Klärschlamm bis hin zum Second Life von Windradrotorenblättern als Schallschutzwände. Stellen wir eines ins Schaufenster, um die Lab-Arbeit zu veranschaulichen ...
Helene Pattermann
Eines unserer ersten Programme waren „Zirkuläre Matratzen“. Jährlich landen hierzulande ca. eine Million Matratzen in der Müllverbrennung, die über ihre Lebenszeit, insbesondere während der Produktion, rund 150.000 Tonnen Treibhausgase verursachen. Hält man die Bestandteile im Kreislauf, bekommt man einen großen Mehrwert und eine Reduktion bei den CO₂-Äquivalenten. Zudem sind Matratzen in der thermischen Verwertung nicht wahnsinnig erwünscht, ein Verbrennungsverbot steht auch im Raum. Im Lab haben wir Unternehmen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zusammengebracht, vom Schäumer bis zum Entsorger. Gemeinsam haben wir erarbeitet, wie man die Lebensdauer der Produkte verlängern, sie besser recycelbar designen und den Matratzenkreislauf schließen kann. Im Herbst 2024 entstand aus diesem Prozess die Österreichische Matratzen Allianz. Inzwischen haben zwei Mitglieder auch ein Joint Venture gegründet, das mit Loop-it die erste Matratzenrecyclinganlage Österreichs errichtet.
Inwieweit hat das Projekt Relevanz für andere Innovationsprogramme?
Markus Palzer-Khomenko
Die Themen sind für fast jede Produktgruppe dieselben. Es geht um erweiterte Herstellerverantwortung, den digitalen Produktpass, Öko-Design und die Fragen, wie man den Kreislauf finanziert. Das Matratzenprojekt veranschaulicht exemplarisch systemische Lösungen, die sich auch auf Elektrogeräte, Möbel, Textilien, sogar das zirkuläre Bauen übertragen lassen. Apropos Bauen: Im Rahmen des BMMI-Leitprojekts „KrAIsbau“ erproben 32 Konsortiumpartner mit insgesamt 40 verschiedenen Projekten in der Praxis verschiedenste Möglichkeiten, um Gebäude umzunutzen, zu sanieren oder zirkulär zurückzubauen – sprich: Gebäudeteile oder Materialien wiederzuverwenden. Dieses sogenannte Urban Mining erfolgt mit KI-Unterstützung. Die Erkenntnisse daraus bereiten wir für die gesamte Baubranche auf.
Es gibt viel zu tun. Wie werden Projekte ausgewählt und ihr Erfolg gemessen?
Inmann
Wir konzentrieren uns auf die Sektoren mit dem größten Potenzial zur Verringerung der Treibhausgasemissionen und zum Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft: Energie, Mobilität, Bauen, Wohnen. Den Erfolg messen wir in der Reduktion von Treibhausgasemissionen und Materialverbrauch. Anhand dieser Ziele treffen wir mit unseren Partner:innen auch die konkrete Projektauswahl.
Wirtschaftlichkeit ist kein KPI?
Pattermann
Impact first. Wir denken die Wirtschaftlichkeit natürlich mit, machen Potenzialerhebungen, überlegen uns zukünftige Geschäftsmodelle. Funktionierende Kreisläufe und Recycling sind ja sowieso immer mit Wertschöpfung vor Ort verbunden. Im Grunde geht es darum, durch die erarbeiteten Innovationen heimische Unternehmen zukunftsfit und zu Vorreitern in ihrer Branche zu machen und so den Wirtschafts- und Produktionsstandort Österreich auf lange Sicht zu stärken und zu sichern. Und das lohnt sich dann auch ökonomisch, reduziert unsere Rohstoffabhängigkeit, schafft Jobs.
Wir brauchen keine moralischen Gründe für die Klimawende. Sie hat ökonomische und soziale Vorteile.
Was wirtschaftlich ist, ist ja immer auch eine Frage der Rahmenbedingungen und Anreize für die Transformation …
Pattermann
Ganz klar. Nehmen wir wieder die Matratzen: Es mag sich lohnen, in China neu zu produzieren. Noch. Denn die Ökodesign-Verordnung hat ja auch das Ziel, diese Preisunterschiede durch höhere Abgaben auf weniger nachhaltige Produkte auszugleichen.
Palzer-Khomenko
Ein Fokus des Labs ist, Rahmenbedingungen für ganze Branchen zu verändern, sodass die nachhaltigen Dinge auch die wirtschaftlichen sind. Die Ergebnisse unserer Studien und Pilotprojekte fließen daher auch in Förderprogramme und Gesetzesinitiativen ein.
Woran wird zukünftig gearbeitet?
Inmann
Wir definieren gerade mit unseren Partnern die Themen für 2026 aus den Bereichen Energie, Mobilität, Bauen und Kreislaufwirtschaft – im Konsum- wie Industriebereich. Einen Schwerpunkt werden wir auf Branchen legen, die nicht so im Fokus von anderen Programmen stehen. Wir nehmen zudem nicht nur einzelne Produktgruppen, sondern den Rohstoffkreislauf selbst ins Visier. Nach dem Motto „Abfälle sind Wertstoffe am falschen Ort“ wollen wir Unternehmen mit Restwertstoffen und solche, die diese Wertstoffe brauchen, zusammenbringen.
Wo sieht das Climate Lab generell noch Hebel für die Klimawende?
Inmann
Wir brauchen ein positives Bild der Veränderung. Hier ist die Politik gefragt, aber auch Führungskräfte in Wirtschaft, Verwaltung, Gesellschaft. Wie in allen Change-Prozessen geht es um eine Kommunikation der Vorteile: Leute, das wird cool! Dann können wir auch die Schnelligkeit erreichen, die nötig ist.
Palzer-Khomenko
Und es wäre auch gut, das Thema Transformation ein bisschen zu entpolitisieren und entpolarisieren. Klimaschutz ist ein Gemeinschaftsprojekt – im doppelten Sinn. Wir müssen alle wie nie zuvor zusammenarbeiten.
Text & Interview: Daniela Schuster