Ingrid Brodnig

#brodnig: Ist Gelächter die passende Reaktion auf den Kapitol-Sturm?

Der Sturm auf das Kapitol löste auch viel Häme aus: Aber ist Gelächter die passende Reaktion?

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Der Angriff auf das Kapitol in Washington kennzeichnet das unwürdige Ende einer unwürdigen Amtszeit. Eines bleibt aber womöglich besonders stark von diesen turbulenten Stunden in Erinnerung, als ein wütender Mob das Kapitol stürmte: wie albern einiges aussah. Wir alle kennen mittlerweile den "Mann mit den Hörnern", jenen Eindringling, der mit Fellhaube und Hörnern durch das Kapitol lief. Fotos von ihm und anderen skurril aussehenden Trump-Fans machten prompt die Runde. Viele haben wahrscheinlich auch jenes Bild gesehen, auf dem ein Typ mit Haube (auf der "TRUMP" steht) in die Kamera grinst und winkt-und nebenbei dem Anschein nach gerade ein Rednerpult stiehlt. Wenig überraschend sorgten solche Aufnahmen für Gelächter. Einige Fotos sind mittlerweile Memes: Das heißt, diese Bilder wurden immer wieder auf Social Media geteilt, mit witzigen Überschriften versehen oder kreativ umgewandelt. Eine Bildmontage zeigt ein angebliches "Capitol Invasion"-Lego-Set. Der Mann mit den Hörnern wird dabei als Lego-Figur abgebildet, und die Bildmontage suggeriert, man könnte jetzt den Angriff auf das Kapitol mit Lego-Teilen nachspielen. Der Sturm auf das Parlament der Vereinigten Staaten löste also unzählige Gags und witzige Postings im Internet aus-mich beschäftigt aber eine Frage: Kann man über diese Vorfälle wirklich lachen? Oder sollte einem das Lachen eher im Hals stecken bleiben?

Witzig ist es bei näherer Betrachtung ja nicht, dass der amtierende Präsident der Vereinigten Staaten nicht bereit ist, das demokratische Wahlergebnis zu akzeptieren; dass er wiederholt Falschmeldungen verbreitet, behauptet, die Wahl sei ihm gestohlen worden; und seine Fans online dazu aufgerufen hat, am 6. Jänner 2020 sich in Washington zu versammeln-mit dem Hinweis: "Das wird wild."Es ist auch nicht witzig, dass einige dieser aufgebrachten Fans des Präsidenten zum Teil mit Waffen den Sitz des amerikanischen Parlaments aufsuchten; dass sie Fenster einschlugen und gewaltvoll in Büros und Sitzungsräume von Abgeordneten eindrangen; dass sie jene Sitzung stürmten, in der das offizielle Ergebnis der Präsidentschaftswahl ausgezählt werden sollte - und dass bei diesem Tumult fünf Menschen starben.

Ich muss hier kurz als Spaßbremse auftreten. Denn ich habe durchaus die Sorge, dass die skurrilen Bilder vom Kapitol zwar viel Gelächter auslösten, aber der Ernst der Lage teilweise untergeht. Schauen wir uns eine dieser Szenen näher an: Der Mann, der das Rednerpult im Arm davontrug, heißt Adam Johnson. Er ist mittlerweile angeklagt, unter anderem wegen Diebstahl (es gilt die Unschuldsvermutung).Das Leserpult, das er davontrug, ist jenes von Nancy Pelosi, Sprecherin des Repräsentantenhauses, eine der wichtigsten demokratischen Politikerinnen und ein Feindbild der Rechten. Über sie wurden auch schon viele Falschmeldungen im Internet gestreut. Nicht nur Pelosis Rednerpult wurde entwendet, auch ihr Computer wurde gestohlen. Trump-Fans haben die Tür zu Pelosis Büroräumen eingeschlagen, einen Spiegel zerschlagen, amüsiert Fotos gemacht. In einem Nebenraum haben sich zweieinhalb Stunden lang Mitarbeiter der Demokratin verbarrikadiert, während der wütende Mob versuchte, auch in diesen Raum einzudringen.

Über viele Postings über den Angriff auf das Kapitol habe ich selbst gelacht. Ich kann Galgenhumor und dunklem Humor sehr viel abgewinnen-auch wie er im Netz oft praktiziert wird. Nur frage ich mich gleichzeitig, ob wir diese vehementen Trump-Fans, indem wir über sie lachen, zu sehr verharmlosen. Auch bei Donald Trump bestand oft die Gefahr, dass das Gelächter über ihn überdeckt, welche politischen Ungeheuerlichkeiten dieser Mann bereits angestellt hat.

Ich sehe Humor in dieser Situation differenziert: Natürlich kann und soll man über die absurden Bilder lachen, die der Angriff auf das Kapitol hervorbrachte. Aber wichtig ist eben, dass neben dem Gelächter auch eine ernsthafte Debatte passiert. Lachen ist richtig, denn Humor ist eine Bewältigungsstrategie, um besser zu verkraften, wenn sich furchtbare politische Situationen ereignen. Humor hilft uns, solche Zustände zu ertragen. Er kann auch Mittel der Aufklärung sein, wenn man zum Beispiel politische Missstände damit aufzeigt und verständlich macht. Gleichzeitig glaube ich aber, dass neben dem Gelächter auch eine nüchterne und ausführliche Debatte stattfinden muss. Zum Beispiel wird in den kommenden Wochen die Aufarbeitung wichtig sein: Wie konnte es passieren, dass die Polizei vor Ort so schlecht vorbereitet war? Und wie groß ist die Gefahr, dass im rechtsextremen Spektrum in den USA weitere gewaltvolle Aktionen geplant werden?


Ich denke, Humor ist ein wichtiger Teil der politischen Debatte-und das spektakuläre Auftreten von Trump und seinen Fans bietet notgedrungen umso mehr Anlass für Satire oder gar Häme. Wichtig ist am Ende aber, dass man Trump und seine vehementen Fans nicht rein als Witzfiguren darstellt: Denn die Gefahr, die solche Strömungen für die Demokratie darstellen, die ist ernst.

 

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.