#brodnig: Schau mir in die Augen!

Warum ist es so anstrengend, den Tag in Zoom zu verbringen?

Drucken

Schriftgröße

Man nennt es „Zoom Fatigue“, wenn Menschen geschlaucht sind, nachdem sie viel Zeit in Videokonferenzen verbracht haben. Man starrt den ganzen Tag auf einen Bildschirm, der einige Gesichter anzeigt, und ist danach streichfähig. Woran liegt das?

In einem wissenschaftlichen Aufsatz ging der Wissenschafter Jeremy Bailenson von der Universität Stanford dieser Frage nach – er zählt vier Gründe auf, die solche Zoom-Sitzungen potenziell belastender machen könnten: Erstens besteht das Problem, dass man Menschen intensiv in die Augen sieht. Wenn alle Teilnehmenden einer Besprechung ihre Kamera permanent eingeschaltet haben, dann starrt man potenziell stundenlang Menschen in die Augen (zumindest ähnelt dieser Austausch dem Augenkontakt aus der Nähe). Im Vergleich dazu sind Offline-Sitzungen etwas weniger starr: Man schaut nicht immer gebannt auf die Vortragenden, die Augen wandern oft durch den Raum.

Zweitens könnte es sein, dass Videokonferenzen zusätzliche kognitive Anstrengungen bedeuten. Wenn wir offline Leute treffen, kommunizieren wir unbewusst mittels nonverbaler Signale. Man lächelt, man nickt, man runzelt die Stirn. Im Videoformat ist man womöglich stark darauf bedacht, die angemessenen nonverbalen Signale zu vermitteln – sichtbar genug zu nicken, zentral genug im Bild zu sitzen. Dieses ständige Mitdenken kann anstrengend sein.

Dazu passt auch drittens: Wer bei Zoom die Kamera eingeschaltet lässt, sieht sich die ganze Zeit selbst. Hier wirft Bailenson die Frage auf, ob man sich dadurch intensiver selbst evaluiert. Sie merken es wahrscheinlich schon: Der Wissenschafter hat keine definitive Antwort, wieso es zu „Zoom Fatigue“ kommt, aber er liefert interessante Denkanstöße. Er gibt auch Empfehlungen ab: Man kann bei Zoom die Anzeige des eigenen Bildes ausschalten, dann läuft zwar die Kamera, aber man muss sich nicht selbst beobachten.

Mir gefällt auch folgender Tipp: Manche Gespräche einfach telefonisch abhalten. Am Anfang der Corona-Krise lernten wir: Videokonferenztools können einige Offline-Meetings ersetzen. Nur glaube ich, sehen wir auch zunehmend: Man muss nicht immer per Video kommunizieren. Das gute alte Telefon reicht manchmal völlig, um entspannt zu sprechen. Es ist toll, unbeobachtet durch den Raum laufen zu können und eben nicht darüber nachdenken zu müssen, welches Bild man abgibt. 

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.