Children of the Revolution

Guten Morgen!

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„Schnee von gestern“ – so kommentiert Ex-FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus jene am Dienstag veröffentlichten Bilder, die ihn beim mutmaßlichen Kokain-Konsum zeigen. Natürlich könnte man die Angelegenheit, die derzeit auf so ziemlich allen Social Media-Plattformen ausgeschlachtet wird, als rein private Verfehlung eines Ex-Politikers abtun. Als etwas, das in der öffentlichen Debatte nichts verloren hat. Doch hier geht es nicht um irgendeinen x-beliebigen Ex-Politiker, sondern eben um Johann Gudenus. Um jenen Johann Gudenus, der bis vor einem Jahr als hochrangiger Vertreter der selbsternannten „Law & Order“-Partei FPÖ agierte und wiederholt eine härtere Drogenpolitik gefordert hatte. Eine Haltung, die sich retrospektiv als politische Scheinheiligkeit der übelsten Sorte erweist.

Mangelnde Haltung – und zwar im Sinne von fehlendem Revoluzzertum – attestiert wiederum der Schriftsteller und Kinderpsychiater Paulus Hochgatterer (in einem äußerst lesenswerten Interview mit Sebastian Hofer) der Jugend von heute: „Es gibt eine hohe Bereitschaft, brav zu sein.“ Und weiter: „Die Revolution ist nicht mehr wichtig, das Neue im Sinn des radikal anderen wird nur noch selten gedacht.“ Wenn man davon absieht, dass Verallgemeinerungen dieser Art natürlich immer etwas problematisch sind, fühlte ich mich beim Lesen des Interviews durchaus dazu geneigt, Hochgatterers Analyse zuzustimmen. Ich erinnerte mich mit einem unterschwelligen Gefühl der Überlegenheit an meine eigene Jugend, als wir – so rekonstruierte ich es vor meinem geistigen Auge - mit bunt gefärbten Haaren und „Smash capitalism!“-T-Shirts kiffend und am Gehsteig lungernd Nirvana-Songs zum Besten gaben. Ja, früher war tatsächlich alles besser!

Dann fiel mir eine Begebenheit aus dem März dieses Jahres ein. Das vierzehnjährige Mädchen aus der Wohnung gegenüber von mir hatte während des Lockdowns einen handgeschriebenen Zettel in das Stiegenhaus gehängt: „An alle Nachbarn über 65 und/oder mit Vorerkrankungen: Erledige gerne Einkäufe für Sie, gehe mit dem Hund spazieren oder mache andere Besorgungen. Natürlich kostenlos. Melden Sie sich gerne jederzeit bei mir (Tür 16).“ Darunter war ein großes, rotes Herz gemalt.

Vielleicht tun wir unverbesserlichen Nostalgiker der Jugend von heute unrecht, wenn wir sie als zu angepasst und stromlinienförmig darstellen. Vielleicht sieht wahres Revoluzzertum in Zeiten wie diesen einfach nur etwas anders aus als vor 25 Jahren. Und nein, damit ist ganz sicher nicht Johann Gudenus gemeint!

Bleiben Sie rebellisch – auf Ihre eigene Art!

Clemens Engert

 

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