Fußball

ÖFB-Dilemma trotz Erfolg: Weiterentwicklung unerwünscht

Der ÖFB hat sich mit Teamchef Franco Foda in eine Zwickmühle gebracht. Er ist der Falsche für den Posten, aber zu erfolgreich. Eine große Baustelle liegt brach. Die goldene Spielergeneration muss da jetzt durch.

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Der Österreichische Fußballbund (ÖFB) erlebt derzeit etwas Einmaliges in seiner jüngeren Geschichte: Das Nationalteam hat sich für die Europameisterschaft und die oberste Etage der Nations League qualifiziert – erntet aber heftigere Kritik als nach langen Pleiteserien. Der Kritikpunkt: Fodas Defensiv-Wahn.

Mittlerweile ist das für alle ersichtlich: Gegen eine norwegische Ersatz-Truppe (die aufgrund von Corona-Fällen aus Nicht-Teamspielern zusammengestoppelt und überhastet in den Flieger nach Wien gesetzt wurde) versuchte Österreich lange das 0:0 zu halten. Und weil gar eine 0:1-Niederlage zum Gruppensieg gereicht hätte, wurde nach dem Führungstreffer der Norweger selbst das 0:1 verteidigt. Eine Abwehr-Orgie sozusagen, ohne Offensivplan – gegen eine zusammengeschusterte Truppe, die bloß einmal davor trainieren konnte.

Tatsächlich steckt der ÖFB in einer Zwickmühle: Der vorsichtige Franco Foda ist offensichtlich der Falsche für diese mutige Spielgeneration. Gleichzeitig ist er zu erfolgreich, als dass sein Wirken ernsthaft hinterfragt werden würde. Noch schlimmer: Die große Baustelle wird von Teamchef und Sportdirektor heruntergespielt.

Begonnen hat das Missverständnis vor drei Jahren mit einer zankenden Männerpartie: dem ÖFB-Präsidium. Dort sahen einige Funktionäre nach ausbleibendem Erfolg einen guten Zeitpunkt gekommen, um den ungeliebten Sportchef und den eigentlich lange geliebten Teamchef gleichzeitig abzusägen. Rasche Entscheidungen nach genauer Bestandsaufnahme müssen kein Fehler sein. Noch dazu gab es auch Gründe: Marcel Koller zeigte sich etwas stur und ratlos. Und Sportchef Willi Ruttensteiner sah dem drohenden Stillstand tatsächlich zu lange zu. Doch die im Präsidium kursierenden Ablöse-Gründe waren nicht fachlicher Natur: Ruttensteiner hatte sich bei einigen unbeliebt gemacht und Koller hatte ein stolzes Gehalt ausverhandelt. Man sah einen guten Zeitpunkt für Rache (durch Ruttensteiners Ablöse) und Einsparungen (durch Kollers Abgang).

 

Ohne Sorgfalt eine Baustelle geschaffen

Durch den Wegfall des allmächtigen Sportdirektors Ruttensteiner entstand ein Vakuum im Verband. Eigentlich hätte bei der folgenden Personalwahl auf fachliche Kriterien geachtet werden müssen: Welche Spieler stehen zur Verfügung? Welche Art von Fußball kann mit ihnen gespielt werden? Welches Personal kann das bestmöglich umsetzen?

Der ÖFB wäre zu großer Sorgfalt verpflichtet gewesen, da dem Verband ein Geschenk zuteil wurde: man kann auf eine goldene Spielergeneration zurückgreifen. Bei der Personalwahl aber wurden alten Rechnungen beglichen anstatt das Nationalteam zukunftsfit aufzustellen. Der als Nachwuchstrainer beim ÖFB beschäftigte Peter Schöttel wurde in ein Duell mit Ruttensteiner geschickt, um danach zu erklären, was nicht zu erklären ist. Schöttel hatte kein Konzept parat, während Ruttensteiner überzeugte (was auch alle Entscheider betonten) –trotzdem erhielt Ersterer den Posten. Schöttel präsentierte kurz darauf eine Liste mit drei Teamchef-Kandidaten: Andreas Herzog, Thorsten Fink und Franco Foda standen darauf. Das ÖFB-Präsidium durfte über den neuen Teamchef abstimmen. Ein Kriterium: Weil der Verband Zuschauer-Rückgänge zu verzeichnen hatte, forcierte man eine günstige Lösung.

ÖFB-Team rettet Remis gegen Notelf

Nun war damals schon klar, dass ein Gros der Spieler mit Red Bull-Powerfußball aufgezogen wurde und auch bei ihren Vereinen dominant spielte. Das Problem: alle drei Teamchef-Kandidaten waren keine Experten für die sich aufdrängende Spielweise. Franco Foda hatte mit Sturm Graz über weite Strecken vorsichtigen Fußball praktiziert. Die Diskrepanz zwischen Spielerqualitäten und Trainerstrategie wurde schnell deutlich. Oft schien es, als würde Foda seine Spieler an die Leine nehmen. Anfangs äußerten einige ihren Unmut darüber, nicht so spielen zu dürfen wie im Verein. Aktuell klingen die Aussagen vieler Spieler gleichgeschaltet als hätte sie Foda getätigt.

Ausreden-Vielfalt: Corona, hohe Belastung, feige und mutige Gegner

Was kann man nun tun? Das Nationalteam hat sich gegen europäische Hinterbänkler wie Israel, Lettland, Nordirland, Norwegens A- und C-Mannschaft, Rumänien und Nordmazedonien für die Europameisterschaft sowie die „Liga A“ der Nations League qualifiziert. Österreich musste gegen unterlegene Gegner das Spiel gestalten – und scheiterte dabei zumeist. Fodas Idee wäre dann gut, wenn man (nahezu) keine Tormöglichkeiten des Gegners zulässt und vorne durch gutes Passspiel zu Chancen kommt. Fodas Umsetzung jedoch bringt oft das Gegenteil. Wer vorsichtig sein will und dem Gegner dabei mehr Torchancen gewährt als sich selbst, hat ein Problem. Allzu oft retteten talentierte Spieler und glückliche Spielverläufe das Team vor dem offensichtlichen Scheitern der devoten Strategie. Doch das Problembewusstsein wurde in den Wortmeldungen nach den Spielen nicht deutlich.

Teamchef Foda verwies auf die Corona-Situation und verschwieg, dass andere Nationalteams und sogar die zusammengewürfelten Norweger besser damit zurechtkommen. Gar der LASK oder der kleine Wolfsberger AC spielten zuletzt trotz hoher Belastung in Holland, Belgien oder Portugal groß auf. Auch Sportdirektor Peter Schöttel führte im „Kurier“ die hohe Belastung als Grund für fehlende Offensivaktionen an. Was er dabei verschwieg: dass Nordirland drei Tage vor dem Spiel in Wien 120 Minuten EM-Playoff gespielt hatte. Und die Norweger eine Odyssee ohne Training hinter sich hatten.

Seltsam wurde die Argumentation als nach dem mühevollen 2:1 gegen Nordirland von Teamkapitän Julian Baumgartlinger der feige, destruktive Gegner beklagt wurde – und nach dem 1:1 gegen Norwegen der mutige. Demnach hat Österreich immer ein Problem – gegen feige und mutige Mannschaften.

 

Des Sportdirektors Hoffnung: offensive Gegner, um defensiv spielen zu können

„Wir hatten in diesem Herbst acht Länderspiele, wo wir agieren mussten“, beklagte Sportdirektor Peter Schöttel im „Kurier“. Nun würde man erwarten, dass das Team an Lösungen bastelt, um defensive Gegner künftig knacken zu können. Doch falsch gedacht: Das Allheilmittel soll kein besseres Offensivspiel, sondern die Europameisterschaft sein, „weil da andere Gegner sein werden, wo zum Teil auch wir reagieren können“, erklärt Schöttel. Sprich: Man will mit einer offensiv veranlagten Mannschaft nicht das Offensivspiel forcieren, sondern auf offensive Gegner warten, um besser defensiv spielen zu können. Was aber würde passieren, wenn ein offensiver Gegner gegen Österreich in Führung geht und daraufhin defensiv spielt? Dann stünde das ÖFB-Team wohl erneut vor einer Baustelle, die man partout nicht diskutieren möchte.

Franco Foda betonte zuletzt, dass er Änderungen plane. Auf Nachfrage erklärte er, künftig öfter rotieren zu wollen – also müden Spielern mehr Pausen zu gönnen. Was auffällt: Je mehr die Nationalmannschaft zu verlieren hat, desto defensiver legt Foda seine Strategie an. Zuletzt zeigte der LASK in Antwerpen wie man gar mit einem Mann weniger aktiv verteidigt. Die Kritik am Nationalteam richtet sich nicht gegen defensive Spielphasen, sondern eine irritierende Passivität, die Gegnern bislang in die Karten spielte. Nicht Harakiri-Fußball ist gefordert, sondern ein aktives Fußballspiel – egal ob man gerade verteidigt oder stürmt.

Der ÖFB beraubt sich durch Angsthasen-Strategien der wohl einmaligen Chance mit einem nach Powerfußball-Prinzipien aufgezogenen Kader eine große Ära zu prägen – und die für den Verband nicht unwesentliche Marke der „mutigen Österreicher“ zu schärfen. Manch deutscher Journalist, der viele Spieler Woche für Woche in der Deutschen Bundesliga beobachtet, rieb sich aufgrund der passiven ÖFB-Mannschaft zuletzt verwundert die Augen: man hätte nicht gedacht, dass eine Mannschaft mit Alaba, Hinteregger, Lainer, Sabitzer & Co. zu destruktivem Fußball fähig wäre.

Fakt ist: Der Teamchef ist (samt Los- und Spielglück) erfolgreich, Marcel Sabitzer und Co. kommen wieder an die Leine. Es wird wohl weiterhin gespielt wie der Trainer will, nicht was die Mannschaft kann. Vor drei Jahren wurden die offensichtlichen Voraussetzungen im ÖFB-Präsidium nicht im Detail bedacht. Die goldene Generation muss da jetzt durch.