Was ist Österreich? Was wollen wir von uns erzählen? Und vor allem: Was lockt möglichst viele Menschen aus dem Ausland an? Das sind die Fragen, über die man als ÖW-Chefin so nachdenken muss, und wenn es nach Astrid Steharnig-Staudinger geht, dann ist klar, dass wir zuallererst eine Wintersport-Destination sind. Nach wie vor kommen mehr Menschen im Winter als im Sommer, sie wollen hier „Schneeerlebnisse“, wie Steharnig-Staudinger sagt. Sie sagt nicht „Skifahren“, obwohl das wohl die größte Motivation ist: „63 Prozent der Menschen, die im Winter kommen, kommen natürlich wegen dem Skifahren. Aber eben nicht alle. Deswegen sollten wir Angebote schaffen, die über das Skifahren hinaus gehen“, sagt sie, „und vor allem müssen wir diese Produkte bewerben. Wir haben seit einem Jahr eine Kampagne, in der ein ‚NoSki Instructor‘ Tipps für Erlebnisse abseits des Skifahrens gibt.“ Das wären zum Beispiel Wandern, Sightseeing oder auch die sogenannte Masterclass Wellness. Auch Kulinarik ist ein wichtiger Punkt.
Und auch deshalb hat die Österreich-Werbung den Marketingauftritt insgesamt umgestellt. Klassische Landschaftsaufnahmen sind nicht mehr zu sehen, sondern Emotionen. „Mit schöner Landschaft kriege ich heute keine Touristen mehr“, sagt die ÖW-Chefin, „weil ehrlich: Schön ist es woanders auch. Die Menschen wollen Erlebnisse. Und die geben wir ihnen.“
Aber apropos Erlebnisse: Ist Skifahren mittlerweile nicht einfach zu teuer? Also so teuer, dass sich das Erlebnis nur noch die wenigsten leisten können? Nein, sagt Steharnig-Staudinger da ganz schnell. Es mag ja sein, dass die Preise für die Tagespässe am Arlberg oder in Sölden heuer locker die 80-Euro-Grenze knacken und das in wirtschaftlich unsicheren Zeiten die eine oder andere Nase abschreckt. Aber gleichzeitig gebe es immer noch Möglichkeiten, billiger Ski zu fahren, sagt sie, und rechnet dann schnell aus, dass das Skifahren am Tag ja durchschnittlich nur 36 Euro kostet – wenn man in Winzskigebieten unterwegs ist oder vor allem Mehrtages- oder Saisonkarten nimmt. Das ist zwar ein Sparen wie aus der Marie-Antoinette-Masterclass („Sollen die Arbeitslosen halt eine Saisonkarte kaufen“), aber ja, im Ski-Kernland hat das durchaus seine Berechtigung. Außerdem gibt es für den österreichischen Wintersport sowieso andere Zukunftsmärkte: Inder, Chinesen, Menschen aus Südostasien. („In Singapur gibt es mittlerweile einen Skiclub“, so Steharnig-Staudinger.) Außerdem kommen immer mehr Brasilianer und Mexikaner zum Skifahren, weil sich auch dort eine immer größere Mittelschicht herausbildet, die Geld für Reisen ausgibt. Und dann seien da vor allem auch noch die Amerikaner, ein weiterer Hoffnungsmarkt für die Österreich-Werbung.
Nicht umsonst ist zum Beispiel die Skiregion Saalbach seit Kurzem Mitglied im „Epic Pass“, einer gebietsübergreifenden Saisonkarte der amerikanischen Vail Resorts. Fünf Tage kann man damit in Salzburg Ski fahren, wenn man davor über den Atlantik geflogen ist, was offenbar immer mehr Menschen machen – weil Winterurlaub in Österreich in der Woche das kostet, was man in Colorado für eine Nacht ablegt. „70 Prozent der Gäste sagen, dass in Österreich das Preis-Leistungs-Verhältnis passt“, sagt Steharnig-Staudinger. Ich denke kurz darüber nach, ob das jetzt wirklich für die österreichische Tourismusindustrie spricht oder doch gegen die internationale Konkurrenz, verkneife mir die Frage aber.
154 Millionen Nächtigungen, 74 Prozent der Gäste kommen aus dem Ausland. 42 Prozent der Wiener Bevölkerung haben migrantische Wurzeln und sind mit Wintersport noch nie in Berührung gekommen. Zehn Millionen Chinesen wollen Schneeerlebnisse in Europa sammeln. 1,3 Millionen Holländer verbringen ihre Winterferien in Österreich, 88 Prozent von ihnen sind Stammgäste. Wenn man sich mit Astrid Steharnig-Staudinger über Tourismus unterhält, dann prasseln die Zahlen nur so auf einen ein. Es gibt keine Aussage, die sie nicht sofort mit Daten unterfüttern kann, und je länger ich ihr zuhöre, desto mehr habe ich den Eindruck, dass ich bei einer speziellen Form des Powerpoint-Karaoke sitze, Fremdenverkehrs-Edition, aber ich finde keine Charts und Slides an der Wand, offenbar hat sie die Zahlen wirklich alle im Kopf. Ich finde das beeindruckend.
Mittlerweile haben wir den Schweinsbraten aufgegessen, vor mir steht eine Buchweizen-Cremeschnitte, eine Spezialität des Hauses, wie überhaupt Buchweizen, Kärntnerisch „Hadn“, das Signature-Produkt der Gegend ist. Wir reden über ihre Kindheit hier im slowenischen Teil Kärntens und darüber, wie sehr das Gasthaus ihrer Eltern sie geprägt hat – noch heute hilft sie gerne hier aus und serviert Biere, wenn im Service Not an der Frau ist, was häufiger vorkommt, weil man nur noch schwer Personal bekommt. Wir landen dann bei der Wichtigkeit von Tourismus und Fremdenverkehr, der „immer noch drei bis fünf Prozent Wachstum bringt und dafür sorgt, dass es in vielen Tälern Arbeit und Wertschöpfung gibt, die es sonst nicht gäbe“, und dass man dafür aber auch die Bevölkerung erreichen müsse, damit sie den Tourismus als solches nicht ablehne. Steharnig-Staudinger denkt viel darüber nach, wie man Besucherströme entzerren und lenken kann, damit nicht alle Gäste zur gleichen Zeit am gleichen Ort aufschlagen und so den Einheimischen auf den Nerv gehen. „Overtourism“ nennt man das, und wer auch immer schon mal in Hallstatt war, der weiß, was damit gemeint ist.
Steharnig-Staudinger war dort noch nie.